So nah sind sie sich noch nie gekommen. Nur zwei Meter Abstand sind im Centre Pompidou zwischen Piet Mondrians Komposition aus Rot, Blau, Weiß von 1937 und Yves Saint Laurents Mondrian Kleid aus der Herbstkollektion 1965. Das 75 x 60,5 Zentimeter große Manifest in Öl auf Leinwand und das Cocktailkleid aus Wolljersey werden im fünften Stock des Centre Pompidou so selbstverständlich nebeneinander platziert, dass man sich fragt: Warum ist das nicht viel früher passiert?

Zwar war das Mondrian-Kleid schon vor zwanzig Jahren im Centre Pompidou zu sehen, als einer von fast 280 Entwürfen anlässlich von Yves Saint Laurents letzter, bombastischen Couture-Show. Doch es brauchte das 60. Laufsteg-Jubiläum des französischen Designers, bis ihm in der Sammlung des Museums ein Platz eingeräumt wurde.

Piet Mondrians "Komposition in Rot, Blau und Weiß, II" von 1937 inspirierte Yves Saint Laurent in den 1960er-Jahren zu seiner Mondrian-Kollektion.
Foto: EPA/Mohammed Badra

Am 29. Jänner 1962 hatte Yves Saint Laurent, damals Mitte zwanzig, in der Rue Spontini unter großem Wirbel seine erste Show, ein zweistündiges Defilee, gezeigt. Fast auf den Tag genau sechs Jahrzehnte später steht im Musée Yves Saint Laurent im 16. Arrondissement der Mann, der die Schau Yves Saint Laurent aux Musées angestoßen hat: Madison Cox, Präsident der Stiftung Pierre Bergé – Yves Saint Laurent, Witwer von Saint Laurents einstigem Geschäftspartner und früherem Lebensgefährten Bergé. Neben ihm die beiden Kuratoren Mouna Mekouar und Stephan Janson und etliche Mitorganisatoren. Für das Großprojekt hat sich das Haus mit fünf Pariser Ausstellungshäusern, gewichtigen Kunsttankern wie dem Louvre, dem Musée d’Orsay, dem Centre Pompidou sowie dem Musée d’art moderne und dem Picasso-Museum, zusammengetan.

Hat die Schau angestoßen: Madison Cox, Präsident der Stiftung Pierre Bergé – Yves Saint Laurent, Witwer von Saint Laurents einstigem Geschäftspartner und früherem Lebensgefährten Bergé.
Foto: STEPHANE DE SAKUTIN / AFP

Die Zeit der Pandemie habe man für Gespräche mit den Institutionen genutzt, erklärt Madison Cox, Hornbrille, gepunktete Krawatte unter Weste und Pullover, die Arme locker vor der Brust verschränkt. Das Ergebnis des Austauschs: 50 Kleidungsstücke verteilen sich über fünf Pariser Kunstinstitutionen, ein solcher Clou ist in der Modehauptstadt bislang keinem Designer gelungen. Dass die Zusammenarbeit ein großes Ding und eine emotionale und auch sehr französische Angelegenheit ist, das ist am Tag der Eröffnung spürbar.

Schnitzeljagd

Dass sich die Mode des französischen Designers nun als Parcourslauf durch die Kunstsammlungen erleben lässt, ist ungewöhnlich. Doch neue Präsentationsformen von Mode machen Sinn, insbesondere im Fall des dauerausgestellten Nationalheiligtums Yves Saint Laurent. Wurde nicht schon jedem Knopf des 2008 verstorbenen Modedesigners ein Denkmal gesetzt? Sind die Smokings, die Mondrian-Kleider, die Trenchcoats, die Pop-Art-Entwürfe nicht oft genug ausgepackt worden?

Die Mode des 1936 in der algerischen Küstenstadt Oran geborene Yves Saint Laurent wurde früh ausgestellt. Er war der erste Modemacher, dem 1983 zu Lebzeiten eine Einzelausstellung im New Yorker Metropolitan Museum gewidmet wurde, 2010, zwei Jahre nach seinem Tod, stürmten 300.000 Menschen seine Retrospektive im Pariser Petit Palais. Ganz zu schweigen von den Ausstellungsaktivitäten des 2017 gegründeten Musée Yves Saint Laurent mit seinem überbordenden Archiv in der Avenue Marceau und der Dependance in Marrakesch: Im ersten Jahr verzeichnete man allein in Paris 250.000 Besucher.

Yves Saint Laurents Satinkleider aus der Herbstkollektion 1992 werden im Musée d'Art Moderne von Raoul Dufys Fresko "La Fée Électricité" ummantelt.
Foto: STEPHANE DE SAKUTIN / AFP

Im Mittelpunkt der mehrteiligen Schau in Paris stehen nun die Verbundenheit des französischen Modemachers mit der Kunst, sein Sinn für das Zusammenspiel von Farben, das Übersetzen von Bildern ins Dreidimensionale.

Sechs gleichwertige Ausstellungen sind allerdings nicht entstanden. Während man sich im Stammhaus des Modedesigners auf den Entstehungsprozess von Saint Laurents Mode, auf die Skizzen, die Schnittmuster, die hölzernen Hutblöcke, die Modelle aus hellem Nesselstoff, die Ende der Achtzigerjahre als Hommage an Braque gefertigt wurden, konzentriert, warten die kooperierenden Museen mit Interventionen auf. Die fallen mal mehr, mal weniger spektakulär aus. In großen Häusern kommt die Suche nach den Kleidern des Designers einer Schnitzeljagd gleich: Wo steckt er bloß, der Yves?

Das Jäckchen aus der Herbstkollektion 1981 strahlt im Louvre mit den französischen Kronjuwelen um die Wette.
Foto: STEPHANE DE SAKUTIN / AFP

Dafür entschädigt so manch Instagram-taugliche Inszenierung zwischen Dekor und moderner Aufgeräumtheit: Im Louvre schimmern goldene YSL-Jäckchen hinter Glas mit der Ausstattung des prunkigen Apollosaals und den dort ausgestellten französischen Kronjuwelen um die Wette. Im Musée d’Orsay sind die cremefarbenen Kleider, die der Designer 1971 für den Proust-Ball entwarf, vor dem Schattenriss der Uhr des Musée d’Orsay aufgestellt – hierher verirrt sich auch der letzte Tourist, wenige Meter weiter hängt schließlich Manets Frühstück im Grünen. Im Picasso-Museum stiehlt Picassos Porträt Nusch Éluard in ihrer Jacke Yves Saint Laurents Bolerojäckchen aus der Herbstkollektion 1979 die Show. Und im Musée d’art moderne führen drei Kleider vor Matisse’ Arbeit La Danse vor, wie sehr Yves Saint Laurents Entwürfe ganz altmodisch als Verbeugung vor dem Künstler zu verstehen sind.

Bilder, die im Gedächtnis bleiben

Es sind Bilder wie diese, die im Gedächtnis bleiben. Und die an den unterschiedlichen Standorten eine Klientel erreichen dürften, die Yves Saint Laurents Knopfsammlung, eine klassische Modeausstellung, sicher links liegen gelassen hätte. Nicht zuletzt wäre es an der Zeit, das Verlinken und Verschränken zweier Welten so selbstverständlich anzugehen wie Yves Saint Laurent aux Musées. In der Hinsicht könnte die mehrteilige Schau ohne weiteres als Modell für künftige Modeausstellungen taugen. (Anne Feldkamp, 1.2.2022)