Spotify kämpft zurzeit an mehreren Fronten. Der Tech-Riese steht vor der Herausforderung, seine Inhalte rechtschaffen zu überprüfen. Sonst könnten ihm weiter große Musiker und Musikerinne aus seinem Angebot abhanden kommen.

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Der Freiheitsbegriff mancher Internetplattformen erlaubt großzügige Interpretationen, wie der Musikstreaminganbieter Spotify beweist. Er will Fake News auf seiner Plattform künftig kennzeichnen. Also Lügen nicht unterbinden und so dafür sorgen, dass sie nicht weiterverbreitet werden, sondern sie online lassen, wo ein Fake-News-Hinweis für das dafür empfängliche Publikum wie eine Einladung, wie ein Qualitätssiegel fungiert.

Der Musikstreamingdienst macht das, weil er unter Druck steht. Der US-kanadische Musiker Neil Young ließ vergangene Woche seine Musik von der Plattform nehmen. Der Grund: Joe Rogan, der Star der Spotify-Podcaster, verbreitet in seinen millionenfach abgerufenen Sendungen Corona-Falschinformationen.

Am Wochenende folgte Folklegende Joni Mitchell Youngs Beispiel. Mitchell schrieb, sie wolle niemanden unterstützen, der mit dem Verbreiten von Falschinformationen das Leben anderer gefährde, und veranlasste den Abzug ihrer Musik von Spotify. Am Sonntag rückte deshalb der Geschäftsführer von Spotify aus und bemühte sich um Schadensbegrenzung.

Regelkonform oder nicht?

Der 38-jährige Schwede Daniel Ek sagte, Spotify wolle keine Inhalte zensurieren, werde aber alle Covid-Beiträge mit Hinweisen versehen, die User zu wissenschaftlich fundierten Informationen aus verlässlichen Quellen führen sollen. Außerdem habe das Unternehmen seit Beginn der Pandemie rund 20.000 Podcast-Episoden mit Bezug auf Covid-19 aus dem Angebot entfernt. Nicht aber jene von Joe Rogan, dem Spotify 100 Millionen Dollar für die Exklusivrechte an dessen Arbeit gezahlt haben soll. Laut den jetzt veröffentlichten Plattformregeln sollen die kritisierten Sendungen zulässig gewesen sein.

Diese Regeln sehen vor, "dass gefährlich falsche oder gefährlich irreführende medizinische Informationen, die offline Schaden zufügen können oder eine direkte Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen", verhindert werden sollen. Das ist vielen zu schwammig.

Gegenwind von Usern

In den USA haben über 200 Wissenschafter die Plattform aufgerufen, irreführende Informationen über Covid zu entfernen; darunter waren die Podcasts von Rogan gelistet. Rogan meldete sich derweil auf Instagram zu Wort: "Es tut mir sehr leid, dass sie sich so fühlen, das ist ganz sicher nicht, was ich möchte. Ich bin ein großer Neil-Young-Fan." Über seine Show sagte er: "Ich plane alles selbst und mache es nicht immer richtig."

Gegenwind kam auch von den Usern selbst: Der Kundendienst soll vergangene Woche derart mit Anfragen überhäuft worden sein, dass Spotify die Website mit dem Hinweis versah, man könne nicht mehr direkt antworten. Tech-Medien begannen, Anleitungen mit Titeln wie "So löscht man seinen Spotify-Account" zu veröffentlichen.

Schlechte Zeichen

Auf Twitter nahm der Hashtag #DeleteSpotify Fahrt auf, unter dem die Kundschaft den Austritt verkündete. Für das schwedische Unternehmen sind das schlechte Zeichen, zumal die große Userzahl das stärkste Argument im Kampf gegen die US-Riesen ist: Der jüngsten Bilanz zufolge hatte Spotify zuletzt 381 Millionen User, davon 172 Millionen zahlende Premium-Abonnenten. Zum größten Konkurrenten Apple Music gibt es keine belastbaren Zahlen, in Schätzungen wird aber von 100 Millionen Kundinnen und Kunden ausgegangen.

Moralisch sauber?

Apple wirbt nun aktiv um Neil-Young-Fans, denn dort ist seine Musik verfügbar. Dies kommt ergänzend zu der Tatsache, dass Apple – parallel zu anderen Playern der Branche – zuletzt auch technologisch an Spotify vorbeizog: Mit "Spatial Audio" bieten die Amerikaner seit Sommer vergangenen Jahres eine neue Form der dreidimensionalen Audioausspielung, die man bei den Schweden vergeblich sucht.

Angesichts dieser Entwicklungen fragt sich die Kundschaft ohnehin: Ist das europäische Unternehmen eigentlich moralisch sauberer als die so oft gescholtenen US-Giganten? Denn auch Spotify verdient sein Geld neben Abos mit personalisierter Werbung, und wer in den Datenschutzeinstellungen die "personalisierte Werbung" nicht deaktiviert, dessen Daten werden mit externen Werbepartnern geteilt.

Mitgründer Daniel Ek selbst sorgte vergangenes Jahr zudem für Unmut, weil er 100 Millionen Euro in das deutsche Start-up Helsing investierte. Diese entwickelt künstliche Intelligenz für den militärischen Einsatz – will damit aber, so sagt das Unternehmen, nur liberale Demokratien unterstützen. (Karl Fluch, StefanMey)