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Ein US-Berater schult in der Nähe der westukrainischen Stadt Lwiw (Lemberg) ukrainische Soldaten im Gebrauch einer bunkerbrechenden Waffe.

Foto: Ukrainian Defense Ministry Press Service via AP

Es kommt nicht oft vor dieser Tage, aber in einem Punkt sind sich Kiew und Moskau ausnahmsweise einmal einig: Die von den Medien und der Politik in Washington skizzierte Gefahr eines unabwendbaren und noch im Februar bevorstehenden russischen Angriffs auf die Ukraine entspreche nicht der Realität.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte schon vor Tagen vor Panikmache gewarnt. In seinem Telefonat mit US-Präsident Joe Biden ist es Medienberichten zufolge zu Unstimmigkeiten über die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs gekommen. Zwar dementierten anschließend beide Seiten diese Differenzen, die Berichte über anhaltende Meinungsverschiedenheiten rissen aber auch danach nicht ab.

So hieß es, das Weiße Haus sei irritiert darüber, dass Selenskyj die drohende Gefahr unterschätze. Diesem wiederum wird nachgesagt, er halte die Reaktion der USA für "übertrieben". Die Folge seien vor allem Panik und ein Abzug der Investoren, was sich schädlich auf die ukrainische Wirtschaft auswirke.

Angriff nicht jetzt

Dabei bestreitet Kiew nicht grundsätzlich die Gefahr einer Eskalation des Konflikts. Verteidigungsminister Alexej Resnikow erklärte, dass Moskau verschiedene Angriffspläne erarbeitet habe. Russland könne sowohl vom Meer als auch von Süden und Osten aus sowie über die Separatistengebiete attackieren. "Aber ich verstehe, dass es Stand heute unwahrscheinlich ist", sagte er. Es gebe wenig Anzeichen dafür, dass Moskau jetzt aktiv eine Offensive vorbereite.

Ähnlich sieht das die Präsidentenfraktion Diener des Volkes in der Rada, dem ukrainischen Parlament: Fraktionschef David Arachamija verwies darauf, dass die Militärlager der Russen nahe der Grenze halb leer seien.

Das Innenministerium rapportierte derweil über die Vereitelung von Massenunruhen in Kiew. An den Ausschreitungen sollten der Polizei nach 5.000 Menschen teilnehmen, doch hätten die Sicherheitsorgane rechtzeitig die Rädelsführer festgenommen. Laut Polizei sei eine Provokation mit Kunstblut geplant gewesen, um die Unruhen auf an Russland grenzende Regionen auszuweiten und die Lage landesweit zu destabilisieren.

Kiew gibt mit diesen Meldungen zu verstehen, dass Russland einerseits durchaus aggressive Absichten hegt, andererseits die Ukraine aber die Lage im eigenen Land unter Kontrolle habe.

Für Selenskyj gibt es gute Gründe, die Kriegsstimmung zu dämpfen: Kiew hat kein Interesse, zum Bauernopfer einer geopolitischen Schachpartie zu werden. Zudem würde eine durch Panik erzeugte Investorenflucht die Lage weiter destabilisieren. Ukrainische Staatsanleihen lassen sich unter diesen Umständen schwer verkaufen. Die Ukraine ist aber auf die Einnahmen angewiesen – um ihre Schulden zu bezahlen, aber auch um soziale Transfers zu tätigen, ohne die die Unzufriedenheit im Land steigt.

Auch die russische Führung betont die Schattenseiten der ständigen Kriegsrhetorik. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow machte dafür in erster Linie US-Medien verantwortlich, die "in den vergangenen Monaten ungeprüfte, verzerrte und bewusst falsche und provokante Informationen veröffentlichen". Dass diese Hetze zu "Hysterie in der Ukraine führt, wo die Leute teilweise schon Sandsäcke für die Front" vorbereiteten, sei eine der Schattenseiten der Stimmungsmache, so Peskow.

Separatisten im Fokus

Wann Präsident Wladimir Putin seine Reaktion auf die Antwort der USA auf die russischen Sicherheitsforderungen bekanntgebe, wollte Peskow nicht verraten. Viele Anzeichen deuten darauf hin, dass Moskau seine sichtliche Unzufriedenheit über das angebliche Ignorieren seiner zentralen Forderungen mit der Stärkung der Separatisten in der Ostukraine verdeutlicht.

Zuletzt hatte es in der Duma sowohl Forderungen nach einer Anerkennung der Separatistenrepubliken gegeben als auch die nach verstärkten Waffenlieferungen. Zudem machen paramilitärische "Freiwilligenverbände" in Russland mobil. Es seien bereits Einheiten formiert worden, die im Fall einer Eskalation sofort ins Konfliktgebiet entsandt werden könnten, sagte der Duma-Abgeordnete und Ex-Premier der international nicht anerkannten Donezker Volksrepublik Alexander Borodai. Ergebnisse einer für Montagabend geplanten Sitzung des UN-Sicherheitsrats standen zunächst noch aus. (André Ballin, 31.1.2022)