Der Kulturanthropologe Matti Bunzl leitet das Wien-Museum seit 2015: "Wir bauen ein Museum, in dem zivilgesellschaftlicher Austausch ein ganz wichtiger Aspekt ist."

Andy Urban

Das Wien-Museum am Karlsplatz ist seit 2020 eine Großbaustelle. Es wird für 108 Millionen Euro um- und ausgebaut und ist Ende 2023 fertig.

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Das im Großumbau befindliche Wien-Museum hat sein Programm für 2022 bekanntgegeben: Im Ausweichquartier Musa zeigt man ab 19. Mai Straßenfotografie und ab 24. November eine Ausstellung zu den Bauhausvertretern Friedl Dicker und Franz Singer. Noch bis 24. April läuft die seit Oktober gezeigte Schau Auf Linie über die NS-Kunstpolitik in Wien.

Die Endphase des Umbaus des Haupthauses am Karlsplatz erwartet man Ende 2022, die Wiederöffnung im Jahr 2023. Direktor Matti Bunzl ist guter Dinge, dass man dann sogar den Eintritt in die Dauerausstellung gratis anbieten kann.

STANDARD: Ursprünglich hätte das Wien-Museum von Otto Wagner im Ringstraßenstil erbaut werden sollen. Hätte Ihnen das gefallen? Oder bevorzugen Sie den Oswald-Haerdtl-Bau aus der Nachkriegszeit?

Bunzl: Visuell wäre das Otto-Wagner-Design großartig, auch das Haerdtl-Design hat seinen Charme. Das größere Problem, und das war Anlass für unseren Umbau: Beide Entwürfe entsprechen nicht mehr dem MuseumsStandard des 21. Jahrhunderts. Museen sind heute keine reinen Tempel des Kulturkonsums mehr, sondern Orte der Teilhabe. Ich brauche Orte, wo etwas los ist, Orte für Gespräche, Vermittlung, Events, Kulinarik. Das Museumscafé hatte Anfang des 20. Jahrhunderts keine Priorität – auch das Kunsthistorische Museum Wien hatte es schwer, nachträglich eines einzubauen.

STANDARD: Vom Haerdtl-Bau wird nach einer kompletten Entkernung eigentlich nur noch das Gerippe übrig bleiben. Hätte man den Denkmalschutz auflösen sollen?

Bunzl: Da muss ich Sie korrigieren, denn das stimmt so nicht. Ja, es wurde entkernt, das ist Bestandteil des Umbaus, aber es wird der Inhalt ja auch wieder rückgebaut, so, dass er dem Original entspricht. Ich kenne natürlich den Vorwurf: Warum habt ihr es denn nicht gleich abgerissen? Das hätte die Politik schon beschließen können, ja. Aber ich bin froh, dass man dabei geblieben ist, das Design zu erhalten, denn es ist der bedeutendste Kulturbau der Nachkriegszeit. Oswald Haerdtl war ein großer Gestalter. Er hat zum Beispiel das Café Prückel entworfen.

STANDARD: Ende 2023 wollen Sie wieder öffnen, mit einer komplett erneuerten Dauerausstellung zur Geschichte Wiens. Worauf richten Sie dabei besonderen Fokus?

Bunzl: Für mich ist das eine Lebensaufgabe. Wir haben die Chance, auf 3200 Quadratmeter die Geschichte der Stadt Wien neu zu erzählen, chronologisch von der Urgeschichte bis zur Gegenwart, bis zur Pandemie. Wir wollen herausfinden: Wie ist Wien von einer mittelgroßen Stadt des Mittelalters zu einer global relevanten Metropole geworden? Das späte 19. Jahrhundert ist natürlich sehr relevant, die prägende Migrationsgeschichte der Stadt, auch die Geschichte der Donauregulierung wird uns sehr interessieren.

STANDARD: Wenn die Stadt Wien die Finanzierung sicherstellt – Sie rechnen derzeit mit ein paar Hunderttausend Euro –, wollen Sie die Dauerausstellung gratis zugänglich machen. Sind die Eintritte in Wien überteuert?

Bunzl: Es ist weniger eine Frage, ob wir zu teuer sind. Ich bekenne mich aber zu einer Kulturpolitik, die möglichst niederschwellige Teilhabe ermöglicht. Außerdem vertrete ich die Ansicht, dass die Öffentlichkeit sowieso schon dafür bezahlt, weil diese Sammlungen der Öffentlichkeit gehören. Das Ziel ist das britische Modell. Das hat sich sehr bewährt. Es ändert sich das Nutzungsverhalten: Man kommt öfter, aber für kürzere Zeit, kann sich gezielter in Teilbereiche der Ausstellung vertiefen und muss nicht alles in einem Zug durchackern. Wenn es Schule machen würde, freut es mich, aber das lässt sich so pauschal nicht fordern. Jedes Museum ist ein Einzelfall.

STANDARD: In den letzten Jahren flammte die Debatte über Karl Lueger neu auf. Es geht ja nicht nur um das eine Denkmal auf dem Lueger-Platz, die Stadt ist übersät mit Lueger-Huldigungen. Was sagen Sie zur Debatte?

Bunzl: Ich bin da auf Linie der Wiener Kulturstadträtin: Eine völlige Tilgung solcher Orte kann problematisch sein, weil man dann so tut, als hätte es die schlimmen Dinge nie gegeben. Aber natürlich braucht es eine Kontextualisierung, eine Kommentierung, ich bin gespannt, was der künstlerische Wettbewerb dazu bringen wird. Im Wien-Museum werden wir das Thema Karl Lueger jedenfalls umfassend behandeln: die infrastrukturellen Errungenschaften, ja, vor allem aber, wie sein populistischer Stil den Antisemitismus zum Politikum gemacht hat und zur Vorlage für Hitler wurde.

STANDARD: Die neue Denkmaldebatte ging stark von der Black-Lives-Matter-Bewegung aus. Sie haben ihr halbes Leben in den USA verbracht: Lässt sich die US-Identitätspolitik so einfach auf Europa übertragen?

Bunzl: Ich finde, die Debatte um das Karl-Lueger-Denkmal in Wien ist gar nicht unähnlich zu Debatten in den USA über Denkmäler für rassistische Südstaaten-Generäle oder sklavenhaltende Präsidenten wie Thomas Jefferson. Das kann man schon vergleichen. Ich würde das aber gar nicht der Identitätspolitik zuordnen, denn man muss sich keiner bestimmten Identität zugehörig fühlen, um gegen unkritische Huldigung historischer Persönlichkeiten im öffentlichen Raum zu sein. Anders gesagt: Ich muss kein Jude sein, um eine heroische Statue von Lueger problematisch zu finden.

STANDARD: Geht es Ihnen bei der Befragung historischer Denkmäler oder Werke auch manchmal zu weit?

Bunzl: Natürlich gibt es Momente, wo man zu dem Schluss kommen könnte: bisserl übers Ziel hinausgeschossen. Aber man muss sich jeden Einzelfall genau anschauen. Als Museum verstehen wir uns als Bühne, wo diese Debatten geführt werden können, nicht als politischer Akteur. Wir bauen daher ein Museum, in dem zivilgesellschaftlicher Austausch ein ganz wichtiger Aspekt ist.

STANDARD: Die Wiener Geschichtsmuseen sind allgemein im Transformationsprozess begriffen: Wie soll die Zukunft von Haus der Geschichte und Heeresgeschichtliches Museum aussehen?

Bunzl: Vergessen Sie das Volkskundemuseum in der Laudongasse nicht! Es hat sich auf großartige Weise inhaltlich neu erfunden und erhält nun endlich einen größeren Umbau. Man versucht dort, das Museum als organischen Teil der Stadtgesellschaft neu zu denken, dort trifft sich die Nachbarschaft. Im Wien Museum sehen wir uns ähnlich.

STANDARD: Und die anderen?

Bunzl: Das Team vom Haus der Geschichte leistet tolle Arbeit unter schwierigen Bedingungen, sie brauchen mehr Platz, wo genau, ist eher nachrangig, als totaler Pragmatiker, der ich bin, glaube ich, dass es viele reizvolle Möglichkeiten gäbe. Das Heeresgeschichtliche ist ein schwieriges Thema, man muss sehr grundsätzlich diskutieren, was man damit will und wie man diese sehr wichtige Sammlung präsentiert. International gibt es da alles: Vom Military-Theme-Park bis zum kritischen Geschichtsmuseum und Friedensmuseum. Das Thema ist zu komplex, als dass ich da einfache Lösungen anzubieten hätte.

STANDARD: Sowohl das Haus der Geschichte als auch das Wien Museum haben sich zuletzt in Ausstellungen mit dem Umgang mit NS-Objekten befasst: War das koordiniert?

Bunzl: Wir haben uns schon abgesprochen, ja. Es gab auch in Holland und Deutschland Ausstellungen zu dem Thema. Es ist gerade der Moment, wo sich die Museen nach Jahrzehnten fragen: Was machen wir mit dem ganzen Nazizeug? Wir haben in unserer Sammlung ca. 1.000 NS-Kunstwerke. Wir werden dazu im März auch ein großes museumsübergreifendes Symposium machen.

STANDARD: Sie haben von der Wiener Kulturstadträtin auch den Auftrag erhalten, die Bezirksmuseen zu revitalisieren, viel ist noch nicht davon zu sehen. Eine zu große Herkulesaufgabe?

Bunzl: Es ist schon etwas passiert, in der Josefstadt, der Wieden. Aber wegen Corona ist vieles bislang nicht gegangen. Klar ist: Es gibt kaum eine Stadt, die so ein einmaliges Netz an Bezirksmuseen hat, das überwiegend von Ehrenamtlichen betrieben wird. Das ist ja ein Wahnsinn, im Guten wie im Schlechten, denn die waren leider auch immer sehr auf sich allein gestellt. Die Idee ist nun, dass wir als Museumsprofis zentrale Anlaufstelle sind, helfen und Expertise liefern. Im Hintergrund arbeiten wir zum Beispiel gerade das Inventar aller Sammlungen der Bezirksmuseen auf. Das ist nicht so sexy wie eine Ausstellungseröffnung, aber essenziell wichtig. (INTERVIEW: Stefan Weiss, 1.2.2022)