Die Corona-Maßnahmen machen Olympia zum bizarren Spektakel, werden aber Chinas Goalie nicht vor vielen Gegentoren bewahren.

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Willkommen in Peking.

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Die olympische Familie, die dieser Tage in Peking eintrifft, findet ein eigenartiges Empfangskomitee vor. Am Flughafen warten Dutzende in Ganzkörperanzügen mit Schutzbrillen, die in ihren plumpen Bewegungen entfernt an Teletubbies erinnern, um die Gäste in ihr Hotel zu begleiten und darauf zu achten, dass diese die Kontaktbeschränkungen einhalten. Nicht einmal in die Nähe von Einheimischen sollen sie kommen. "Closed Loop System" heißt das offiziell.

Noch daheim mussten die Einreisewilligen zwei Wochen lang täglich ihre Temperatur messen und in eine App eintragen. Impfungen und mehrere PCR-Tests waren außerdem erforderlich. Dafür wurde die sonst für Einreisende notwendige dreiwöchige Quarantäne im Hotelzimmer gestrichen. Sollte sich einer der Gäste trotzdem infizieren, sind für ihn die Spiele erst einmal gelaufen. In dem Fall wird Quarantäne angeordnet. Und doch ist Pekings Zero-Covid-Strategie nicht der einzige Faktor, der diese Spiele zu einem bizarren Spektakel werden lässt.

Im Sommer 2008 fanden die Spiele zum ersten Mal in der Volksrepublik China statt. Menschenrechtsverletzungen, ein autoritäres und korruptes Regime und ignorante Politik aus dem Westen gab es vor 14 Jahren auch schon. Aber damals herrschte noch das Prinzip Hoffnung. 2008 versprach der damalige IOC-Präsident Jacques Rogge, dass sich die Spiele zu einer "Kraft für das Gute entwickeln" würden. Das klang auch damals schon für viele wie Hohn. Doch der Belgier brachte gut auf den Punkt, was die allermeisten über China dachten – eine Diktatur mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen, aber auch ein Land, das sich öffnet und vom Westen dabei unterstützt werden könnte.

Von Tibet nach Xinjiang

Diese Strategie ist gescheitert. Die Menschenrechtsbilanz Chinas ist verheerend. 2008 noch stand die Unterdrückung des tibetischen Volkes im Vordergrund. Da Journalisten die Region seit Jahren nicht mehr bereisen dürfen, ist es um sie nur stiller geworden. Ab 2014 hat Peking in der Region Xinjiang "Umerziehungslager" errichtet, in denen Folter, Gehirnwäsche und Zwangssterilisierungen an der Tagesordnung sind. Damit will die KP die kulturelle Identität der Uiguren, eines moslemischen Turkvolks, auslöschen. Bis zu zwei Millionen Menschen haben diesen Albtraum bisher erlitten. Die Überlebenden finden sich in einem Freiluftlabor wieder, in dem Peking die neuesten Überwachungstechniken testet.

2008 gab es noch Kritik aus der chinesischen Gesellschaft selbst heraus. Der Künstler Ai Weiwei sorgte immer wieder für Aufsehen, indem er mit seinen Werken auf Missstände hinwies. Der Schriftsteller und Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo lebte noch, und zwar in Freiheit. Der uigurische Professor Ilham Tohti lehrte in Peking. Kritik am Kurs des Regimes war schwierig, aber möglich. Spätestens mit dem Amtsantritt von Xi Jinping 2012 hat die Partei einen anderen Weg eingeschlagen – Zensur, Menschenrechtsverletzungen, Kontrolle der Wirtschaft. Und ihr Einfluss macht längst nicht mehr vor den eigenen Landesgrenzen halt.

Heute verschwindet Ex-Tennisspielerin Peng Shuai, weil sie einem mächtigen Politiker sexuellen Missbrauch vorgeworfen hat. Der Einzige, der mit ihr sprechen durfte, war der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Thomas Bach. "Erleichtert" ob des Zustands der Sportlerin zeigte sich der Deutsche im November. Während der Spiele soll er Peng Shuai sogar treffen.

Bachs Rolle versinnbildlicht die Naivität des Westens gegenüber China. Wer 2008 nicht hoffte, das Land würde sich öffnen und das Regime wanke, war ein Pessimist. Wer 2022 noch immer optimistisch ist, läuft Gefahr, sich zum Handlanger zu machen. (Philipp Mattheis aus Schanghai, 1.2.2022)

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