Illustration: Fatih Aydogdu

Die "nachhaltigsten in der Geschichte" sollen die Olympischen Winterspiele sein, die diese Woche in Peking starten. Im "Pre-Games Sustainability Report", den das Internationale Olympische Komitee (IOC) kürzlich veröffentlicht hat, überschlägt man sich förmlich mit Superlativen: Auf dem angeblich "grünsten Eis" gleiten Sportlerinnen und Sportler in Peking in "Ultra-Niedrigenergiegebäuden", versorgt von den "fortschrittlichsten Technologien" im Bereich der erneuerbaren Energien, welche die Welt zu bieten hat.

Sportgroßveranstaltungen wie Olympia gehen an der Umwelt nicht spurlos vorüber: Es werden nicht nur jedes Mal tausende Tonnen Beton in neue Infrastruktur gepumpt, auch Massen an Menschen und Equipment müssen quer durch die Weltgeschichte bewegt und versorgt werden, damit die Spiele stattfinden können. Das IOC hat sich Nachhaltigkeit deshalb schon 2014 in die Zukunftsagenda geschrieben. Wie nachhaltig die Spiele sind, soll bereits bei der Bewerbung ausschlaggebend sein. Kontrolliert hat das IOC im Nachhinein aber kaum – etwaiges Fehlverhalten sanktioniert schon gar nicht.

Der Kreis jener, die sich die fünf olympischen Ringe und das olympische Feuer ins Land holen wollen, wird aber auch so schon von mal zu mal kleiner. Neben Peking stand für 2022 mit Almaty im von Unruhen gebeutelten Kasachstan zuletzt gerade mal ein einziger Mitbewerber im Raum. Beide Länder gelten nicht gerade als Wintersporthochburgen oder Vorreiter im Klimaschutz – sehr wohl aber als Staaten mit einem fragwürdigen Umgang, was Menschenrechte betrifft. Ausgerechnet die Olympischen Spiele, denen stets ein Mantel des Friedens und der Völkerverständigung umgehängt wird und welche in der Wiege der Demokratie, in Athen geboren wurden. Wie kann das sein?

Kaum Schnee in Peking

Eine mögliche Erklärung lieferte 2019 der langjährige Präsident des Internationalen Skiverbands Gian Franco Kasper. Der Schweizer, der im vergangenen Jahr verstarb, war auch knapp zwei Jahrzehnte Mitglied des IOC, das über die Vergabe der Spiele entscheidet. Dem Tages-Anzeiger sagte er: "Es ist nun einmal so, dass es für uns in Diktaturen einfacher ist. Vom Geschäftlichen her sage ich: Ich will nur noch in Diktaturen gehen, ich will mich nicht mit Umweltschützern herumstreiten." Ein krasser Widerspruch zu offiziellen Beteuerungen des IOC.

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2,5 Milliarden Dollar hat China für eine neue Bobbahn in Yanqing ausgegeben. Wird sie auch nach Olympia genutzt?
Foto: Reuters/Thomas Peter

Den Titel der nachhaltigsten Olympischen Spiele haben indes schon mehrere Austragungsorte für sich beansprucht. Wie hoch der ökologische Impact tatsächlich ist, lässt sich aber kaum quantifizieren. Nur die Winterspiele in Vancouver 2010 haben den Standardisierten Prozess durchlaufen, der die Nachhaltigkeit der Spiele im Nachhinein bewerten soll. Ankündigungen wie jene von Peking, die ersten CO2-neutralen Spiele auszutragen, lassen sich so schwer verifizieren. Oft gelingt die ausgeglichene Kohlenstoffbilanz nur durch den Zukauf von höchst umstrittenen CO2-Zertifikaten.

Wobei Olympia und Co wohl ohnehin mehr ein Umwelt- als ein Klimaschutzthema ist. Die Arenen der Gladiatorinnen und Gladiatoren sollen doch stets im Glanz erscheinen, weshalb Neubauten oder zumindest opulente Renovierungen bestehender Wettkampfstätten zum guten Ton gehören. Damit diese zumindest nicht offiziell in der unberührten Natur stehen, hat China kurzerhand die Grenzen des Naturschutzgebiets Songshan neu gezogen. Dass dort in den vergangenen Jahrzehnten weniger als acht Zentimeter Niederschlag pro Saison fielen, führt wiederum dazu, dass die Rennen in Peking die ersten sein werden, die komplett auf Kunstschnee angewiesen sind – in einem Gebiet, wo Wasser ohnehin knapp ist.

Die Bobbahn, die für die Olympischen Spiele 1984 in Sarajevo gebaut wurde, ist heute von Pflanzen überwuchert. Das liegt freilich auch am Krieg, der in den 1990ern dort wütete. Jegliche Sanierungsbemühungen scheiterten aber bisher.
Foto: Fabian Sommavilla

Andererseits kommen immer wieder neue Sportarten hinzu – immer wieder auch solche, die am Veranstaltungsort kaum verwurzelt sind. Nicht immer springt daher der Funke auf die Bevölkerung über, sodass Stadien, Bahnen oder Kurse nach den Spielen für den Breitensport genutzt werden könnten. In den besten Fällen bedarf es nur kleiner Umbauten. Im schlimmsten Fall verkommen und zerfallen die Sportstätten und werden langsam von der Natur aufgefressen.

Auch wenn wichtige Daten fehlen, hat ein Team aus Forschenden im vergangenen Jahr die 16 Olympischen Sommer- und Winterspiele seit 1992 hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit verglichen. Dabei flossen nicht nur ökologische, sondern auch soziale und wirtschaftliche Aspekte in die Bewertung ein, also etwa ob Menschen umgesiedelt wurden und wie teuer dem Veranstaltungsland die Spiele kamen.

Das Fazit der Studie: Olympia wurde in den vergangenen Jahren immer weniger nachhaltig. Am besten schnitten die Winterspiele in Albertville 1992 und Salt Lake City 2002 ab, am Ende der Liste rangieren Sotschi 2014 und Rio de Janeiro, wo 2016 die Sommerspiele ausgetragen wurden.

Ende der Protzerei

Als auch Tokio vergangenes Jahr wieder einmal die "nachhaltigsten Spiele aller Zeiten" austragen wollte, wurde vor allem von recycelten Medaillen aus Elektroschrott, Podien aus recyceltem Plastik und Betten aus Karton (die wegen ihrer Instabilität scherzhaft Anti-Sex-Betten genannt wurden) geredet. Um Sportgroßereignisse wirklich nachhaltiger zu machen, müsste man aber wohl viel grundlegendere Entscheidungen treffen: Ist es zum Beispiel wirklich notwendig, alle vier Jahre neue Sportkomplexe aus dem Boden zu stampfen?

Rund acht Milliarden Dollar haben die Gebäude für die Olympischen Sommerspiele 2016 in Rio gekostet. Heute sind viele davon verwaist.
Foto: EPA/Antonio Lacerda

Mitunter wurde etwa die Option diskutiert, je einen Austragungsort auf einem Kontinent zu bestimmen und die Spiele zwischen diesen rotieren zu lassen. Auch dass sämtliche Disziplinen in der gleichen Stadt ausgetragen werden müssen, ist nicht in Stein gemeißelt: Die Auslagerung mancher Sportarten an benachbarte Städte mit bestehender Infrastruktur gab es immer wieder, sie müsste aber vielleicht noch auf angrenzende Staaten ausgeweitet werden. Nicht zuletzt könnte auch das IOC Nachhaltigkeit einfordern, kontrollieren und mit Pönalen bestrafen.

Um die durch die Anreise einer Heerschar an Teilnehmenden und Fans entstehenden Treibhausgasausstöße zu minimieren, müsste man wohl auch nach Corona an Zuschauerobergrenzen festhalten – was niemand wirklich will und die Veranstaltung der Spiele noch unattraktiver und weniger lukrativ macht – oder auf eine rasche Dekarbonisierung der Luftfahrt hoffen.

Ein großes Umdenken würde langfristig jedenfalls den Fortbestand der Olympischen Spiele sichern. Denn von den 21 bisherigen Austragungsorten der Winterspiele wäre in einer wärmeren Zukunft laut Prognosen nur die Hälfte noch einmal bespielbar. (Philip Pramer, Fabian Sommavilla, 2.2.2022)