Welche Pflanze angebaut wird, ist entscheidend: Ist der THC-Anteil besonders hoch, kann es für manche Konsumenten gefährlich werden.

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Juri Scotland kennt sich aus mit Cannabis. Er weiß um die gesundheitsfördernde Wirkung von Hanf in allen seinen Spielformen, er kennt sich aus mit dem Verhältnis seiner Wirkstoffe, mit allen Spielarten der legendären Pflanze, und er kann sogar über das Endocannabionid-System in jeder Zelle des menschlichen Körpers parlieren.

Scotland (33), Österreicher mit schottischen Wurzeln weit zurück, hat Molekularbiologie, Genetik und Neurowissenschaften studiert. Im Laufe seiner Studien ist er auf die Auswirkungen der Hanfpflanze auf die neuronalen Funktionsweisen des Gehirns gestoßen, das Thema und die Pflanze haben ihn seither nicht mehr losgelassen.

Scotland: "Hanf ist eine großartige Wunderpflanze mit vielfältigen positiven Wirkungen." So gesehen wirkt es überraschend, dass Scotland vor der unregulierten Legalisierung von Anbau und Handel von Cannabis warnt, wie sie derzeit von der neuen deutschen Regierung, aber auch in Luxemburg und Malta diskutiert wird. Scotland: "Man sollte Genuss und Gebrauch von Cannabis freigeben – aber gleichzeitig den Anbau streng regulieren."

Auf den Anbau kommt’s an

Das sei klar eine staatliche Aufgabe – darüber werde aber nicht gesprochen. Seine Warnung: Werde nicht streng überwacht, welche chemische Zusammensetzung die angebauten Pflanzen haben, könne das für psychisch gefährdete Konsumenten, vor allem Jugendliche, schwere psychische Auswirkungen haben. Daher müsse man bei zwei Punkten ansetzen: Einerseits darauf schauen, welche Pflanzen angebaut werden – und andererseits darauf achten, dass die Personen, die sie konsumieren, diese auch gut vertragen und mit ihren Wirkungen vertraut sind.

Scotland ist auch Unternehmer – und auch da ein großer Freund der Hanfpflanze, vor allem, was ihre unbedenklichen Wirkstoffe betrifft. Gemeinsam mit einer Partnerin und einem Partner hat er Magu gegründet, ein Unternehmen, das Hanf in Nahrungsergänzungsmitteln und Kosmetikprodukten anbietet.

Wichtig für die Qualität der Öle, Tropfen, Riechkräuter und sonstigen Produkte ist unter anderem der Cannabidiol-Anteil in der Pflanze (CBD). CBD ist ein Phyto-Cannabinoid aus dem weiblichen Hanf – eines von 144 bisher identifizierten Cannabinoiden. CBD macht bis zu 40 Prozent des Pflanzenextrakts aus.

Gestiegener THC-Wert

Ein anderes Cannabinoid, "das" Cannabinoid schlechthin in der öffentlichen Wahrnehmung, ist Tetrahydrocannabinol (THC): Es ist psychoaktiv und für die Rausch- und Chill-Zustände beim Rauchen der Pflanze verantwortlich.

Der THC-Wert in Cannabispflanzen ist in den vergangenen Jahren weltweit stark gestiegen, das im Handel befindliche "Gras" ist immer stärker geworden. Das macht unbeschränkten Cannabis-Konsum nicht so harmlos, wie er auf den ersten Blick erscheint – und von Befürwortern einer Cannabis-Legalisierung oft dargestellt wird.

"Man sollte Genuss und Gebrauch von Cannabis freigeben – aber gleichzeitig den Anbau streng regulieren." Juri Scotland, Wissenschafter und Hanf-Unternehmer
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Im Gegenteil: Es gibt einen Zusammenhang zwischen Psychosen und regelmäßigem Cannabis-Konsum, wie etwa auch in einer Langzeitstudie der Universität Cambridge dargelegt wird. 16 Jahre lang haben die Forscherinnen und Forscher an 1087 Teilnehmenden untersucht, ob ein Zusammenhang zwischen dem THC-Anteil in der Hanfpflanze und psychiatrischen Erkrankungen besteht.

Unter anderem haben sie dabei festgestellt, dass der THC-Anteil allein zwischen der Jahrtausendwende und dem Jahr 2004 von durchschnittlich 8,62 auf 20,38 Prozent stieg. Bis 2015 sank dieser Anteil wieder auf knapp über 15 Prozent, dennoch lag er damit mehr als doppelt so hoch wie vor der Jahrtausendwende.

Ein heikler Zusammenhang

Gleichzeitig stieg die Zahl junger Menschen, die nach erstmaligem Cannabis-Konsum drogentherapeutisch behandelt werden mussten, auf fast 20 Prozent. Das Cambridge-Expertenteam stellte einen klaren Zusammenhang zwischen hohem THC-Wert und dem Anstieg von Drogentherapien bei Cannabis-Konsumenten her. Die Studie ist 2020 im Fachblatt "Jama Psychiatry" erschienen.

Freilich muss man relativieren: Zwar nimmt das Risiko, eine Psychose zu entwickeln, mit Stärke und Frequenz des Cannabis-Konsums zu. Zur Risikogruppe zählen aber nach wie vor nur Menschen, die von Haus aus eine diesbezügliche Gefährdung in sich tragen. Bei ihnen kann Cannabis den Verlauf der Krankheit beschleunigen und verstärken. CBD kann die Stärke der Droge ausgleichen. Der Wirkstoff wird derzeit von Forschern als Mittel gegen Angststörungen und Psychosen getestet.

Vernünftiges Verhältnis

Hanf-Anbauer haben es jedoch in den vergangenen Jahren zunehmend aus der Pflanze herausgezüchtet, weil es nicht high macht – und dagegen den THC-Anteil hochgezüchtet. Das ist gefährlich und kontraproduktiv. Dass Cannabis in den meisten Ländern verboten ist, macht die Sache nicht besser, wie auch das Beispiel der Prohibition im Amerika der 1930er-Jahre zeigt. Dass Alkohol damals strikt verboten war, hatte den Effekt, dass in der Illegalität vor allem harter, hochprozentiger Alkohol hergestellt wurde – das verstärkte noch das Elend der Alkoholabhängigen.

Juri Scotland etwa plädiert für eine Zusammenarbeit von Gesetzgeber und Ärzten: Grundsätzlich sollten THC- und CBD-Wert in der Pflanze in einem vernünftigen Verhältnis zueinander vorkommen. Wer Cannabis mit einem höheren THC-Wert kaufen will, braucht dafür eine ärztliche Bestätigung, dass er dies auch gut verträgt.

Scotland schlägt als Schlüssel für eine fortschrittliche und sichere Cannabis-Politik einen dreifachen Sicherheitspuffer vor – drei Kategorien, in denen das Verhältnis von CBD zu THC geregelt wird und entsprechend denen Cannabis in den Handel kommt: je nach THC-Stärke in den freien Verkauf, lizenziert für spezielles (medizinisches) Fachpersonal oder, für besonders THC-starke Produkte, nach Vorlage eines ärztlichen Attests, dass man dies auch gut verträgt.

Differenzierte Debatte gefragt

Rauchwaren ließen sich so sicher machen und entsprächen den geltenden Bestimmungen für Jugend- und Konsumentenschutz. Für den Lebensmittel- und Kosmetikbereich ist das kompatibel mit bestehenden Regelungen.

In Österreich, aber auch in anderen Ländern Europas werde keine differenzierte Debatte geführt, beklagt Experte Scotland. Das wäre aber notwendig, um mögliche gesundheitliche Gefahren vor allem für junge Konsumenten zu minimieren – und sie vor allem zu informierten, mündigen Konsumenten zu machen.

Scotland und seine Kolleginnen und Kollegen von Magu haben diese Idee schon 2017 dem Justiz- und dem Gesundheitsministerium übermittelt. Im Justizressort sei man damals durchaus aufgeschlossen gewesen, der damaligen Gesundheitsministerin der rot-schwarzen Regierung, Pamela Rendi-Wagner, war das Thema allerdings zu heiß.

Seither hat sich, anders als in Deutschland, in der Cannabis-Frage nicht viel getan. Debatten über Hanflegalisierung sind höchstens theoretischer Natur. Nur die Neos fordern sie, alle anderen Parteien sind skeptisch, und der Gesundheitsminister der Grünen sieht derzeit "überhaupt keinen Handlungsbedarf", wie er anlässlich der Ankündigung in Deutschland dem STANDARD sagte. Cannabiskonsum wird in Österreich wohl noch länger nicht legal sein, Anbau und Handel unkontrolliert und im Graubereich ablaufen – und das Kraut unvermindert psychoaktiv stark bleiben. (Petra Stuiber, 6.2.2022)