In ihrem Gastblog blicken Karina Grömer und Katrin Vohland vom Naturhistorischen Museum Wien auf die Geschichte der Welterbekonvention zurück.

Für eine Kulturinstitution wie das Naturhistorische Museum Wien ist das 50-jährige Bestehen der Welterbekonvention ein guter Grund, dies würdig zu begehen. Das Haus selbst ist Teil des Welterbes "Historisches Zentrum von Wien". Die archäologischen Sammlungen, die es beherbergt, stammen ebenso aus bedeutenden österreichischen Welterbestätten.

Dennoch – das Naturhistorische Museum hat noch eine weitere Verbindung zur Welterbekonvention selbst, zum Anlassfall seiner Entstehung. Die Welterbekonvention ist ein Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Menschheit und wurde am 16. November 1972 von der Generalkonferenz der Unesco verabschiedet.

Entstehung der Konvention

Das Unesco-Welterbe verdankt seine Entstehung einem Großbauvorhaben – dem Assuan-Staudamm, der ab 1960 gebaut wurde. Als die beim Bau aufgestauten Fluten immer mehr kulturelle Stätten in "Ägyptisch-Nubien", wie es damals genannt wurde, bedrohten, startete die Unesco ein beispielloses Rettungsprogramm. Dies gipfelte darin, dass die weltberühmten Tempel von Abu Simbel und andere Denkmäler zersägt und an höherer, geschützter Stelle oder in anderen Ländern wiederaufgebaut wurden.

Der Tempel von Kalabscha wird zersägt, 1962.
Foto: F. E. Barth

Derartige spektakuläre Aktionen waren nur ein Teil des Rettungsprogramms, galt es doch das gesamte archäologische Erbe, das durch den Stausee unterging, zu retten, zu bergen, oder zumindest zu dokumentieren. Dazu wurden archäologische Institutionen aus der ganzen Welt zur Hilfe herbeigerufen.

Österreich gräbt für die Unesco

Auch Österreich beteiligte sich und bekam den Distrikt Sayâla in Unternubien, 130 Kilometer südlich von Assuan, zugewiesen. Das Naturhistorische Museum wurde von der damaligen Geschäftsführerin des Österreichischen Nationalkomitees der Unesco-Aktion für die Rettung der Nubischen Altertümer, Gertrud Thausing, mit den Ausgrabungsarbeiten vor Ort betraut. Der damalige Leiter der Prähistorischen Abteilung, Karl Kromer, leitete ab 1961 die archäologischen Grabungen, bei denen auch der spätere Abteilungsdirektor der Prähistorischen Abteilung, Fritz Eckart Barth, beteiligt war sowie der bekannte Ägyptologe Manfred Bietak (damals noch Student), der ab 1965 die Ausgrabungen leitete. Gegraben wurde mit Unterstützung von 23 einheimischen Spezialarbeitern aus dem Dorf Kuft.

Spezialarbeiter aus dem Dorf Kuft unterstützen die Österreicher bei der Ausgrabung, 1962.
Foto: F. E. Barth

Barth, späterer Direktor der Prähistorischen Abteilung des Naturhistorischen Museums, erinnert sich an die Tätigkeiten in Sayâla: "Es war damals eine große Kameradschaft und gute Beziehungen zu den einheimischen Arbeitern. Wir haben auch die Baustellen besucht, wo verschiedene Denkmäler zersägt wurden, um sie wiederaufzubauen. Wirklich eine außergewöhnliche logistische Leistung damals."

Fritz Eckart Barth vom Naturhistorischen Museum Wien bei der Sayala-Expedition und das Mannschaftslager, 1962.
Foto: Archiv Barth

Bei der wissenschaftlichen Bearbeitung der Materialien waren neben anderen Wissenschaftern von der Akademie der Wissenschaften, vom Institut für Ägyptologie und vom Österreichischen Archäologischen Institut auch Mitarbeiter der Anthropologischen, Zoologischen, Botanischen und Mineralogischen Abteilungen des Naturhistorischen Museums involviert.

Sayâla und seine archäologischen Schätze

Die Expeditionen nach Sayâla fanden zwischen 1961 und 1965 jeweils zwischen Dezember und April statt. Das Hauptaugenmerk lag auf der Ausgrabung der archäologischen Objekte, dem Studium und Bergung der menschlichen Skelette sowie der Aufnahme der über 5.000 Felsbilder in der Region.

Bei den Ausgrabungen wurden die unterschiedlichsten archäologischen Befunde freigelegt, darunter Gräberfelder verschiedener Zeitperioden, eine römische Weinstube oder verschiedene christliche Monumente. Barth dazu: "Ein toller Fund war in der koptischen Kirche, wo unter einer lockeren Bodenplatte ein Weihrauchgefäß versteckt war. Und bei der Einsiedelei, wo sich ein Büßer einmauern ließ und nur mittels einer Durchreiche Kontakt zur Außenwelt hatte. Da hat er seine Nahrung erhalten – wir haben zum Beispiel Hunderte von Dattelkernen gefunden, und eine Ratte hat er auch gegessen."

Die Funde aus Sayâla wurden aufgeteilt: Ein Teil verblieb in Ägypten, über 1.200 Artefakte wurden nach Wien verbracht und zunächst im Naturhistorischen Museum von Karl Kromer und Manfred Bietak inventarisiert, bevor sie 1977 an das Kunsthistorische Museum übergeben wurden.

Die Sammlungen der Prähistorischen Abteilung und das Welterbe

Verschiedene Mitarbeiter des Naturhistorischen Museums Wien waren nicht nur beim Anlassfall für die Welterbekonvention involviert, sondern die archäologischen Sammlungen des Museums selbst beherbergen zahlreiche Artefakte von Fundstellen, die heute zum Welterbe zählen. Die Region Hallstatt-Dachstein ist auch durch ihr reiches archäologisches Erbe vor 25 Jahren in die Unesco-Welterbeliste aufgenommen worden – ein archäologisches Erbe, das vom Naturhistorischen Museum Wien in Kooperation mit der Salinen Austria AG und der Salzwelten GmbH beforscht, vermittelt, und bewahrt wird.

Die Region Wachau wurde im Jahr 2000 in die Welterbeliste eingetragen. Als uralte Kulturlandschaft zwischen Melk und Krems sind aus der Wachau viele archäologische Fundstätten wesentlich, die sich teils in den Beständen des Naturhistorische Museums befinden und nach wie vor Gegenstand wissenschaftlicher Forschung sind. Prominent darunter ist Willendorf mit der Venus, die als frühes Kunstwerk der Menschheit auch Aufschlüsse über das symbolische Denken des frühen Homo sapiens zulässt.

Für Österreich gibt es mit Stand Beginn 2022 insgesamt zwölf Eintragungen in das Welterbe: Dazu gehören auch die Prähistorischen Pfahlbauten um die Alpen – wie der römische Limes ein transnationales, serielles Welterbe. Das Kuratorium Pfahlbauten, das in Österreich für Schutz, Vermittlung und Erforschung der österreichischen Pfahlbaufundstellen zuständig ist, hat seinen Hauptsitz am Naturhistorischen Museum. Auch die Sammlungen der Prähistorischen Abteilung beherbergen zahlreiche Funde von den Pfahlbauten.

Welterbestätten in Österreich, rot in Beziehung zum Naturhistorischen Museum Wien.
Grafik: K. Grömer

Der Auftrag für die Zukunft

Wie aktuell ist die Idee des Welterbes angesichts nationalistischer Tendenzen weltweit noch? International werden Debatten laut, die den Begriff des globalen Erbes nicht mehr akzeptieren wollen, sondern Wissen ausschließlich einzelnen Gemeinschaften oder Ländern zuschreiben. Erste Anzeichen gab es bereits in den 1990ern, als beispielsweise im Rahmen des Abkommens zur biologischen Vielfalt (CBD) die Biodiversität inklusive des tradierten Wissens als Eigentum der jeweiligen Länder definiert wurde.

Wir denken hingegen dennoch, dass das Teilen von Wissen und die Bewahrung entsprechender Natur-Kultur-Erbestätten wichtig für die Menschheit sind. Sie tragen nicht nur zur Kenntnis und Reflektion nachhaltiger Mensch-Natur-Beziehungen angesichts des Klimawandels, des Verlustes an biologischer Vielfalt und demografischen Veränderungen bei, sondern sind auch Ausdruck gemeinsamer kultureller Werte und damit einer Identität des Menschen als kulturelles Wesen an sich.

Das Naturhistorische Museum Wien trägt zur Bewahrung und Kenntnis des Welterbes bei und unterstützt den Zugang zu seinen materiellen und immateriellen Erscheinungsformen. Das passiert in den Ausstellungen und Bildungsprogrammen, auf Veranstaltungen oder in Dialogen. Durch eine Digitalisierungsoffensive machen wir unsere Sammlungen in den großen Archiven des NHM nicht nur Forschenden, sondern auch der Öffentlichkeit zugänglich. (Karina Grömer, Katrin Vohland, 3.2.2022)