Ganz bis zu Ende hat das Carsharing noch keiner gedacht. Das ist so ziemlich das Erste, was einem einfällt, wenn man ein Rail-&-Drive-Auto anstartet. Zumindest war es in meinem Fall so. Und das lag gar nicht nur daran, dass aus dem Autoradio ein vermeintlich katholischer Priester die Sünde der Welt auf den Schultern jener verdammten Hörerinnen und Hörer abgeladen sah, die der modernen Technik hörig sind – während seine Rede über das neue digitale Radio DAB+ an mein Ohr drang.

Da stand er, der Nissan Leaf, in Wiener Neustadt, vollgeladen und bereit für eine kleine Proberunde.
Foto: Guido Gluschitsch

Ich habe den Vergeistlichten erhört und ihm das Medium genommen; Radio Arabella übernahm fortan die Berieselung. Weil der Sender sich selbst in der Bedienleiste anbot – und zur Gegend passte. Wir probierten den Service zum ersten Mal in Wiener Neustadt aus. Und schmuddelig waren dabei nicht nur Wetter und Radio, sondern auch die Autos. Keiner der angebotenen Wagen war frisch gewaschen, jedem sah man das Winterwetter an. Und innen war es sogar noch schlimmer.

Gebrauchsspuren

Der Türgriff des Nissan Leaf, der für den Test herhalten musste, war speckig, die Sitze fleckig, das Lenkrad pickert. Mag sein, dass die Liebe zum Auto bei einem leidenschaftlichen Bahnfahrer halt von Natur aus nicht so ausgeprägt ist. Und bei manch anderem Sharing-Anbieter schaut die Sache ja auch nicht anders aus. Aber es gibt einen Grund, warum es in diesem Fall verwunderlich war.

Von innen konnte der Sharing-Nissan nicht grad begeistern.
Foto: Guido Gluschitsch

Bis dahin verlief nämlich alles nicht nur reibungslos, sondern regelrecht galant. Die Registrierung macht man in wenigen Minuten online, die App ist schnell auf dem Smartphone installiert und lässt sich intuitiv bedienen, der Zug nach Wiener Neustadt war pünktlich, nicht gerammelt voll, und kurz hat sogar die Sonne rausgeblinzelt. Sogar der noch notwendige Papierkram am Bahnhof in Wiener Neustadt war schnell erledigt.

400 Fahrzeuge umfasst die Flotte und reicht vom Kleinwagen bis zum kleinen Transporter.

Die Dame hinter dem Schalter kopierte den Führerschein, tippte kurz in die Tastatur, lächelte und überreichte, gemeinsam mit dem Führerschein, die Rail-&-Drive-Karte, mit der sich die Autos öffnen und verschließen lassen. Sie gab noch sinnvolle Tipps – wo ich die Fahrzeuge finde und wo ich am besten aus dem Parkplatz rausfahre. Alles lief so geschmeidig, freundlich und selbstverständlich, dass man auch als Laie keine Bedienungsanleitung für das ganze Prozedere braucht. Den Teil des Carsharings dürfte also doch jemand genau durchdacht haben. Bis hin zum Guthaben, wenn man schon ein Klimaticket hat.

Klimabonus

60 Euro bekommt man als Besitzerin oder Besitzer eines Klimatickets gutgeschrieben, und die Registrierungskosten von 19,90 Euro werden einem auch erlassen. Wer seine eigene Vorteilscard hat, kriegt ebenfalls einen Bonus gutgeschrieben und zahlt keine Registrierungsgebühr. Sogar den Mitgliedern eines der größeren Automobilklubs wird Letztere erlassen. Die Kosten fürs Fahren richten sich nach dem Fahrzeug und der Mietdauer.

Ein Klein-Pkw wie der VW Polo kostet während der Woche tagsüber 5,80 Euro pro Stunde, 58 Euro am Tag und 17 Cent pro Kilometer. Ein Business-Kombi, wie die ÖBB im Tarifmodell etwa den VW Passat nennt, ein Van wie der Seat Alhambra, oder ein Neunsitzerbus kosten im Vergleich dazu 9,10 Euro pro Stunde, 91 Euro am Tag und bis zu 27 Cent pro Kilometer. Dazwischen gibt es Allrad-SUVs, kleine Vans wie den VW Caddy und auch Kasten wägen von VW oder Opel. Ja, selbst wenn andere Marken auch vertreten sind, einen leichten Hang zum VW-Konzern kann man dem Fuhrpark nicht absprechen.

So günstig wie beim Carsharing kommt man sonst nicht an ein E-Auto.
Foto: Guido Gluschitsch

Die Autos sind nicht alle topmotorisiert und vollausgestattet – also keine Christbäume, wie man sagen würde –, haben aber alles, was man braucht, an Bord. Oder auch mehr.

Gute Ausstattung

Hätte das DAB+ im Nissan Leaf gefehlt: Jede Wette, es wäre es noch keinem abgegangen. Die Sitzheizung aber war an diesem Tag Gold wert – und damit zu den E-Autos der Flotte.

Da gehört der Nissan Leaf wie auch der BMW i3 oder der VW ID.3 zu Kategorie Premium, auch wenn das eine oder andere Fahrzeug im aktuellen Zustand gar nicht so nach Premium aussieht, und kostet ebenfalls 9,10 Euro pro Stunde. Bei den E-Autos sind die gefahrenen Kilometer schon inkludiert.

19 Standorte gibt es inzwischen, an denen man die E-Autos von Rail & Ride mieten kann.

In der Mittelklassekategorie E-Pkw gibt es den VW e-Golf oder den Topseller Renault Zoe um 7,60 Euro pro Stunde. Der Seat Mii fällt in die kleinste Kategorie und kostet pro Stunde 6,90 Euro.

Am Wochenende sowie in der Nacht sind alle Fahrzeuge billiger, und es gibt in jeder Kategorie Pauschalen für einen oder mehrere Tage. Allerdings muss man schon bei der Reservierung des Wagens wissen, wie lange man ihn brauchen wird. Überzieht man, wird es teurer, bringt man den Wagen früher zurück, gibt es einen Teil des Geldes zurück.

Seit inzwischen vier Jahren bietet die ÖBB diesen Service an, betreibt aktuell 38 Standorte in 33 Städten, und am weiteren Ausbau wird gearbeitet. Demnächst kommt etwa Lienz dazu. Rund 400 Autos sind bereits im Fuhrpark, davon sind etwa 50 Fahrzeuge E-Autos, die man an 19 Standorten abholen kann.

Unterschiedliche Auswahl

Es gibt also nicht alles überall. In Wien ist die Auswahl sehr groß. Am Hauptbahnhof etwa wählt man vom Neunsitzerbus und Transporter bis zum e-Golf – in Eisenstadt ist die Flotte überschaubarer und umfasst einen Polo und einen Caddy. Jetzt würde hier normalerweise stehen, dass man sich am besten vorab mit der App anschaut, was im gewünschten Zeitraum verfügbar ist – aber in Eisenstadt zeigte uns nur die Homepage railanddrive.at die Fahrzeuge an, die App nicht – bei der Anreise mobil zu buchen ging also über die App auch nicht.

Anders als in anderen Städten gibt es in Eisenstadt keine E-Autos zum Sharen.
Foto: Guido Gluschitsch

Dafür stehen die Autos in der kleinsten Großstadt der Welt dann so nah am Bahnsteig, dass man sie gar nicht übersehen kann. Und gepflegter waren die Autos in Eisenstadt auch. Nicht zuletzt an der Anzahl der verfügbaren Sharing-Autos merkt man, dass im Burgenland, dem Bundesland mit der höchsten SUV-Dichte und den meisten Pkw pro Haushalt, Mobilität ein wenig anders verstanden wird als im Rest von Österreich. Doch zurück nach Wiener Neustadt – und das müssen wir unweigerlich.

Die Rückgabe

Rail & Drive sieht nämlich vor, dass das Auto genau dort zurückgegeben wird, wo man es geholt hat. In diesem Fall war das hinter unüberwindbaren Schranken. Jeder Versuch, sie zu öffnen, schlug fehl – nicht einmal fluchen half. Was half, war den Notruf, der auf dem Fahrzeugschlüssel notiert ist, zu wählen. Der freundliche Mann am anderen Ende der Serviceleitung dürfte die Bedienungstexte im Gegensatz zu mir gelesen haben – er wusste genau, wo der Chip für den Schranken liegt.

15.000 Kundinnen und Kunden sind bei der Sharingplattform Rail & Drive registriert.

Am Ende ging sich alles aus, der Zug in Richtung Norden stand zwar schon auf dem Gleis, aber wir fuhren gemeinsam ab. Ein paar Stationen später, in Pottendorf, war das anders. Da fuhr der Bus los, als der Zug noch einfuhr. Der nächste würde in einer Stunde kommen. Darauf zu warten, dauert zwei Minuten länger, als die knapp sieben Kilometer bis nach Hause zu Fuß zu gehen.

Am Bahnhof der kleinsten Großstadt der Welt ist es vom Zug zum Carsharing nur ein Katzensprung – wer nicht aufpasst, könnt sogar in eins der beiden Leihautos rennen.
Foto: Guido Gluschitsch

Weil es gerade nicht stark regnete, die gastronomische Kurzweil am Bahnhof Pottendorf enden wollend und eine Rail-&-Drive-Station nicht vorhanden ist, ging ich los.

Wenn man Carsharing-Stationen nur dorthin baut, wo ohnedies eine gute öffentliche Infrastruktur vorhanden ist, und die Leihwagen dorthin zurückmüssen, wo man sie hergeholt hat, dann kann einem, beim Gehen, der Verdacht kommen, dass das Carsharing noch keiner zu Ende gedacht hat. (Guido Gluschitsch, 3.2.2022)