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In Dänemark kann wieder ohne Maske Fisch gekauft werden – und vieles mehr.

Foto: AP / Sabroe

Im Rückblick ist der 16. Dezember wohl so etwas wie der Tag des ersten Aufatmens. Es war jener Tag, als sich in Südafrika erstmals verdeutlichte, dass auch die Omikron-Variante nicht unbesiegbar ist. Nach teils astronomischen Wachstumsraten in den Tagen zuvor begann sich die Kurve der Fallzahlen an diesem Tag landesweit abzuflachen. Was sich zuvor schon in der besonders betroffenen Provinz Gauteng abgezeichnet hatte, ließ sich endlich auch im Rest des Landes beobachten – und das, obwohl die Regierung auf harte Lockdown-Maßnahmen verzichtet hatte.

Was Südafrika damals war, sind heute Staaten wie Irland, Malta, Italien oder Frankreich: Mancherorts gehen die Omikron-Fälle schon recht deutlich zurück, anderswo noch eher zaghaft. Sie verkörpern jenes Denkmodell, das der Europa-Chef der Weltgesundheitsorganisation WHO, Hans Henri Kluge, angesprochen hat, als er sich Mitte Jänner ungewöhnlich optimistisch geäußert hatte: Es sei "plausibel, dass die Region sich auf die Endphase der Pandemie zubewegt", hatte er damals gesagt – im deutlichen Widerspruch zu seinem Chef, Generalsekretär Tedros Adhanom Ghebreyesus, der zu Protokoll gab, dass die Pandemie "noch lange nicht vorbei" sei und vor Verharmlosung warnte.

Eine Frage des Blickwinkels

Grund für die scheinbare Zwietracht ist weniger eine echte Meinungsverschiedenheit, als eine unterschiedliche Perspektive auf dasselbe Problem. Tedros ging es vor allem um das falsche Bild einer "milden" Erkrankung durch Omikron – obwohl die hohen Fallzahlen fast überall den Spitalsbelag steigen lassen. Kluge hingegen sprach die Folgeschäden an, die sich durch die Konzentration auf Corona ergeben: Wartezeiten für Operationen, die Belastung der Gesellschaft, mangelnde Vorsorge.

Es ist eine Diskussion, die so ähnlich auch in Dänemark gerade geführt wird. Die Regierung hatte in der Vorwoche das Ende fast aller Maßnahmen verkündet. Es ist eine Entscheidung, die auch Kritik ausgelöst hat – zumal die Infektionszahlen zu diesem Zeitpunkt noch nicht sanken. Der in Kalifornien tätige dänische Immunologe Kristian G. Andersen twitterte fast sarkastisch, er wünsche Dänemark "viel Glück mit dieser Strategie. Es ist nicht die, die ich gewählt hätte, und ich denke, sie wird mit beträchtlichen Konsequenzen scheitern." Allerdings: Er wisse, dass die Alternativen schwer durchzusetzen seien.

Der Politikwissenschafter Michael Bang Petersen, Leiter eines Regierungsprojekts zum Verhalten der Menschen in der Pandemie, trat dem, ebenfalls via Twitter, entgegen. Oder besser gesagt: Auch er legt einen anderen Fokus. Ja, es gebe noch immer viele Ansteckungen und steigenden Krankenhausbelag. Der Zustrom in die Intensivstationen gehe aber zurück, und vor allem: Umfragen würden zeigen, dass die Menschen nun mehr Angst vor neuen Lockdowns als vor Erkrankungen hätten. Dass Kopenhagen Maßnahmen lockere, wann immer es möglich sei, sei ein Geheimnis des großen Vertrauens in die Regierung – was wiederum die hohe Impfquote erkläre.

Gemischter Erfahrungsschatz

Kann das gutgehen? Erfahrungen anderer Länder sind zwiespältig. Großbritannien, das seit einer Woche auf die meisten Regeln verzichtet, verzeichnet eine Stagnation der Infektionen auf hohem Niveau. In Irland, das am 22. Jänner Lockerungen zuließ, ist die Inzidenz auch danach weiter gefallen. Und Südafrika? Mit dem Rückgang der Fälle, der Mitte Dezember begann, war es im Jänner vorbei. Seither gibt es jeden Tag etwa 3000 Infektionen. Immerhin: Die Spitalszahlen sinken weiter – vorerst. (Manuel Escher, 3.2.2022)