Sich an einer strengen Halbe-halbe-Lösung abzuarbeiten ist laut Nils Pickert nicht der Weg für eine Beziehung mit feministischen Ansprüchen.

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Es gibt keine 50/50-Lösung. Ja, Sie haben gerade richtig gelesen. Ich, der Befürworter und Verfechter von Gleichberechtigung sage, dass das unmöglich ist. Ein echtes 50/50-Prinzip würde nicht nur bedeuten, dass man unterschiedliche Leben vollständig synchronisiert, sondern auch, dass äußere Einflüsse entweder gleichgeschaltet oder ausradiert werden. Das wird niemals passieren. Egal wie ausgefeilt Ihr Beziehungsvertrag ist, egal wie wohlwollend Sie sich lieben. Sie werden niemals jeden Bereich Ihres Paarlebens so aufteilen können, dass wirklich immer beide zur Hälfte daran beteiligt sind. Nun mag man daraus schließen, dass man es dann ja auch gleich sein lassen könnte. Wenn eine faire 50/50-Aufteilung nicht möglich ist, warum dann der ganze Stress? Wieso ersparen wir uns nicht die ganze Arbeit, lieben uns einfach und schauen, was passiert? Das wiederum wäre mit Blick auf meine Beziehungsvertragstheorie noch absurder.

Mit der Begründung, sich nicht vollständig absichern zu können, überhaupt keine Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, gar nicht mehr zu planen und keine Beziehungsregeln aufzustellen, ist keine Alternative. Nach dieser Logik müssten wir alle Sicherheitsmaßnahmen einstellen, weil Leben immer gefährdet ist und tödlich endet. Lieber gar keine statt ein bisschen Entlastung macht nicht wirklich Sinn. Also versuchen wir es. Wir versuchen es und stellen dabei fest, dass eine gleichberechtigte Beziehung nicht daraus besteht, in allen Bereichen das exakt Gleiche zu leisten. Es geht nicht darum, dass beide die gleiche Anzahl von Mahlzeiten zubereiten, gleich oft putzen, gleich viele Windeln wechseln oder die Kinder gleich häufig ins Bett bringen. Das würde ja bedeuten, es gleichzumachen, nicht gleich zu berechtigen. Eine Lebenskomplizinnenschaft versucht nicht, es gleichzumachen. Sie verschwört sich vielmehr gegen die Umstände, die gerade das verunmöglichen, und operiert mit Gleichwertigkeit. Und selbst wenn es möglich ist: Wer sagt, dass Gleichmachen unbedingt erwünscht ist?

Sie erinnern sich doch noch, dass ich vor der Corona-Pandemie meine vier Kinder neun Monate lang allein betreut habe? In einem "Windel um Windel, Betreuungszeit um Betreuungszeit"-Szenario wäre jetzt also meine Lebenskomplizin dran. Ich will die nächsten neun Monate aber gar nicht ohne sie und ohne meine Kinder verbringen! Auch nicht in naher Zukunft. Das war alles schon anstrengend und ätzend genug, ich möchte möglichst viel Zeit mit ihnen haben. Trotzdem habe ich diese Betreuung innerhalb unserer Beziehung für unsere gemeinsame Familie geleistet. Es hat mich viel Zeit, Kraft und Nachtarbeit gekostet. Ich brauche dafür eine Form der Wertschätzung. Andernfalls würde ich bei möglicher Wiederholung einer solchen Situation darüber verbittern, dass mein Beitrag nicht gesehen und/oder für selbstverständlich genommen wird. Die Art der Wertschätzung ist wie so vieles Aushandlungssache. Sie muss darüber hinaus multidimensional sein. Das heißt, sie darf nicht nur den nackten Wert meines Einsatzes bemessen, sondern muss sich an den Personen orientieren. Was zum Beispiel überhaupt noch nicht in die Wertschätzungserwägung mit einbezogen wurde, ist der Umstand, dass dieselbe Leistung uns beiden unterschiedlich viel abverlangt.

Nicht alles sind gluckige Sorgenbären

Um es kurz zu machen: Ich würde eingehen, wenn ich so lange von meinen Kindern getrennt wäre. Ich bin ein gluckiger Sorgenbär, der lieber einmal zu viel in das Zimmer der Kleinen guckt, wenn lange keine Geräusche mehr zu hören waren, als einmal zu wenig. Und auch wenn meine Lebenskomplizin das deutlich besser kann als ich, leistet sie trotzdem Familienarbeit, indem sie in der für sie auch schmerzlichen Abwesenheit ihrer Kinder es schafft, eine berufliche Existenz aufzubauen. Weder simples Aufwiegen funktioniert noch die eher leistungsbezogene einseitige Betrachtung des Aufwands. Die Frage ist also weniger, was man verdient, sondern was man braucht, um sich in seinem Einsatz für die Familie gesehen und wertgeschätzt zu fühlen. Ob nun am Arbeitsplatz, in der zeitweisen Kinderbetreuung in Fernbeziehung oder beim alltäglichen Kümmern und Haushaltschmeißen. Selbst wenn Sie einander sehr gut kennen, können Sie niemals ganz absehen, wo der oder die andere kräftemäßig steht. Wenn jemand von Ihnen besonders gut und gerne kocht, dann mag es sein, dass diese Person das freiwillig übernimmt und Spaß daran hat. Das bedeutet nicht, dass es nicht auch anstrengende Arbeit ist. Und vielleicht hat man irgendwann auch die Schnauze voll davon, durchgehend für andere zu kochen. Dass man gerne selbst kocht, heißt ja nicht zwangsläufig, dass man nicht hin und wieder auch gerne bekocht werden würde.

Sie sind also mehr denn je auf gegenseitiges Wohlwollen und daraus resultierende Fairness angewiesen. Aber zum einen ist Wohlwollen eine knappe Ressource. Und zum anderen haben sich wie bereits erwähnt die Umstände derart verändert, dass die gleiche Menge Wohlwollen nicht mehr ausreicht, um ihre Liebesbeziehung zu tragen. Und wenn wir hier schon einmal unter uns sind, kann ich es ja sagen: Es ist sogar noch ein bisschen schlimmer. Denn die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Sie im Laufe Ihrer Elternschaft irgendwann so miteinander umgehen, als hätten Sie sich gegenseitig betrogen. Sprich: vorsätzlich den Beziehungsvertrag verletzt. Und im Prinzip tun Sie das als Eltern auch. Sie betrügen sich beide willentlich und wissentlich um das Paar, dass Sie ohne Kinder wären. Um die Zeit, die Sie miteinander hätten. Um das Geld, das Ihnen zur Verfügung stünde. Um die Urlaube, die sexuellen Begegnungen, die Momente intimer Zweisamkeit. Um den verdammten Schlaf! Früher oder später werden Sie an den Punkt kommen, an dem Sie jemandem dafür die Schuld geben wollen. Wie kommen Sie da raus? Wie kann man sich verzeihen, wenn doch klar ist, dass niemand etwas falsch gemacht hat? Die Antwort, die Sie meistens auf diese Fragen erhalten, stimmt leider nicht. Mit der wird versucht, nett zu Ihnen zu sein und Sie zu schonen. Mit dem Ergebnis, dass am Ende alles noch viel gemeiner ist.

Ja, ja – von wegen "Inseln erschaffen"

Der Ratschlag, den Sie sich an sehr vielen Stellen holen können, lautet für gewöhnlich, dass Sie in Ihrer Elternschaft Inseln für Ihre Paarbeziehung schaffen sollen, um nicht vollkommen durchzudrehen. Andernfalls fangen Sie an, sich nach und nach gegenseitig alles vorzuwerfen, was es überhaupt nur vorzuwerfen gibt. Wie gesagt: Nett, aber funktioniert nicht. So viele Inseln können Sie gar nicht erschaffen, wie Sie in Ihrer Elternschaft nach Ihrer Paarbeziehung brauchen werden. Und groß genug sind sie auch nicht.

Nils Pickert, "Lebenskompliz*innen
Liebe auf Augenhöhe". 19 Euro / 288 Seiten. Beltz-Verlag, 2022
Foto: Beltz Verlag

Mein Vorschlag ist ein anderer: Akzeptieren Sie den Wandel. Sie sind ab dem ersten Kind und für alle Zeit unwiederbringlich ein Elternpaar. Das gilt auch, wenn Sie sich trennen. Das gilt selbst, wenn Ihr Kind sterben sollte. Erschaffen Sie Ihre Liebesbeziehung neu als Elternliebesbeziehung. Andernfalls werden Sie irgendwann auf einer dieser kostbaren Inseln stehen, auf das Chaos der Elternschaft blicken und es verfluchen. Sie werden nicht mehr dorthin zurückwollen und stattdessen immer wieder zu dem Gefühl zurückkehren, dass Sie sich mit Ihrer gemeinsamen Elternschaft gegenseitig und ohne Not um Ihre Existenz als Liebespaar betrogen haben. Dass diese kleine Insel kein adäquater Ersatz für Ihre Liebesbeziehung ist, weil Sie so viel mehr brauchen als das. Schließlich stehen Sie nicht einmal mehr gemeinsam als Paar auf einer dieser Inseln, sondern allein. Und am Ende stiehlt sich jemand aus diesem Archipel der einstigen Liebesbeziehung davon.

Die Alternative ist, sich alltäglich zu lieben. Sich in Gewöhnlichkeiten zu küssen. Die Banalität des Zusammenlebens so zu gestalten, dass sie sich meistens ziemlich gut anfühlt. Die Alternative ist, gemeinsam bei dem Satz anzukommen: Ich liebe es, an deiner Seite für unsere Familie zu schuften. Das gelingt Ihnen nur, wenn Sie aufeinander achtgeben, sich nicht übervorteilen und Bedürfnisse weder schauspielern noch ignorieren. Wenn Sie wie ich eine Form der Wertschätzung für neun Monate Kinderbetreuung oder etwas anderes wollen, dann sagen Sie es. Warten Sie nicht darauf, dass Ihr Beziehungsmensch Ihre Gedanken lesen kann. Das wäre nämlich doch eher ungewöhnlich. Und wir wollten es doch zur Abwechslung mal mit dem Gewöhnlichen versuchen. Formulieren Sie, was Sie brauchen: Dankbarkeit. Nähe. Zeit für sich. Flirtsituationen. Mehr Engagement des oder der anderen im Haushalt und bei der Kinderbetreuung. Sex. Nie wieder Elternabende. Ein Jahr ohne Messenger-Nachrichten mit "lustigen" Weihnachtselchen und "niedlichen" Osterhäschen aus der Klassengruppe. Versuchen Sie, die Anforderungen an Sie als Elternliebespaar fair aufzuteilen und nicht kleinlich zu sein:

"Stimmt, du bringst immer den Müll raus. Aber dafür mache ich den Kindern jeden Morgen das Essen für die Kita und die Schule."

"Ist mir gar nicht aufgefallen, hast du recht. Mein Problem ist nicht der Aufwand, sondern dass es einfach eklig ist."

"Gibt es sonst etwas, worauf du keinen Bock hast?"

"Spiegelputzen nervt. Die Kleinen sprühen beim Zähneputzen dauernd ihren Zahnpastaregen darauf."

"Gut, dann mach ich das ab jetzt für eine Weile alleine. Wenn es zu schlimm wird, schreie ich um Hilfe und du kommst mich retten. Versprochen?"

"Versprochen."

Inmitten des Gewöhnlichen ist eine Elternliebesbeziehung etwas sehr Besonderes. Sie ermöglicht es, dass Sie sich nicht trotz der banalen Alltäglichkeiten als Liebespaar sehen, sondern in ihnen. In den nervigen Putzeinsätzen. In den gemeinsamen Abendmahlzeiten. In diesen unglaublichen Momenten, in denen man sich am Freitagabend nach einer unfassbar anstrengenden Woche kurz nach Mitternacht müde in die Augen schaut und sich selbst oder den Herzensmenschen die sechs Worte sagen hört, die alle Eltern hören wollen: Morgen bist du mit Ausschlafen dran. (Nils Pickert, 3.2.2022)