Zerstörung nach der US-Militäroperation im nordwestsyrischen Dorf Atmeh.

Foto: EPA/YAHYA NEMAH

Damaskus – Bei einem Einsatz des US-Militärs im Nordwesten Syriens wurde laut US-Angaben der Anführer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) getötet. Er habe den Einsatz in der vergangenen Nacht gegen Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurashi angeordnet, erklärte US-Präsident Joe Biden am Donnerstag. Seinen Angaben zufolge sei al-Qurashi zu Beginn der Operation im Nordwesten Syriens gestorben, als er sich in einem "finalen Akt der Feigheit" selbst in die Luft sprengte. Dabei habe er auch Familienmitglieder mit in den Tod gerissen.

Im Schutz der Nacht hätten Hubschrauber US-Spezialkräfte in den Nordwesten Syriens gebracht, um mit einem "unglaublich komplexen und hochriskanten Einsatz" den Anführer der Terrormiliz zur Strecke zu bringen. So schilderte ein ranghoher Vertreter der US-Regierung am Donnerstag den Einsatz, den Biden und seine Stellvertreterin Kamala Harris demnach live im Weißen Haus mitverfolgten.

Dem US-Beamten zufolge warnten die Einsatzkräfte vor dem Zugriff auf Al-Qurashi die Anrainer zudem mit Hilfe von Lautsprechern. Einige hätten sich schnell in Sicherheit gebracht, etwa eine Familie aus dem ersten Stock des Wohnhauses und mehrere Kinder. Dann soll Al-Qurashi einen Sprengsatz gezündet haben. "In diesem Fall war die Explosion so heftig, dass Leichen aus dem Haus in das umliegende Gebiet geschleudert wurden", sagte er. Das US-Militär habe mit einer Explosion gerechnet, deshalb hätten sich die Spezialkräfte noch in sicherer Entfernung befunden.

Bei einem der Hubschrauber habe es ein technisches Problem gegeben, deshalb sei dieser zerstört und anschließend im Einsatzgebiet zurückgelassen worden, erklärte der US-Beamte. Der Einsatz sei seit Monaten vorbereitet worden. Der IS-Anführer soll seine Wohnung nie verlassen haben und Einsätze nur über Kuriere befehligt haben.

Die Überreste des Black-Hawk-Hubschraubers.
Foto: AFP/RAMI AL SAYED

Alle an der Operation beteiligten Amerikaner seien unverletzt geblieben, sagte Biden in seiner Erklärung. Man habe sich statt eines Luftangriffs zu einem Einsatz von Spezialkräften entschlossen, um zivile Opfer zu vermeiden. Biden bezeichnete al-Qurashi als verantwortlich für den Angriff auf ein Gefängnis Ende Jänner in al-Hassaka sowie für den Genozid an den Jesidinnen und Jesiden. Der Einsatz habe dem Schutz der Bürger der Vereinigten Staaten und der Verbündeten gedient und "die Welt zu einem sichereren Ort gemacht". Man sende damit eine deutliche Botschaft an Terroristen weltweit, zeigte sich der US-Präsident überzeugt: "Wir werden kommen und euch finden."

Berichte über 13 zivile Opfer – Untersuchung angekündigt

Nach Angaben der in London ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte seien im Zuge des US-Einsatzes 13 Menschen getötet worden – unter ihnen auch sieben Zivilisten, darunter vier Kinder. Ersthelfer berichteten von sechs Kindern und vier Frauen. Unklar ist aber bislang, wer dafür verantwortlich ist.

Ersten US-Angaben zufolge waren alle Opfer auf die Explosion und den Widerstand eines IS-Kämpfers und dessen Frau zurückzuführen. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin erklärte, wegen der "Komplexität dieses Einsatzes" werde zudem geprüft, ob Zivilisten auch wegen des Handelns der US-Kräfte zu Schaden gekommen seien.

Wenig über IS-Führer bekannt

Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurashi war seit der – ebenfalls durch ein US-Kommando ausgeübten – Tötung des selbsternannten "Kalifen" Abu Bakr al-Baghdadi im Oktober 2019 Anführer der jihadistischen Terroristen. Al-Qurashi, der eigentlich Amir Mohammed Said Abd al-Rahman al-Mawla heißen soll, wurde Berichten zufolge 1975 in eine irakisch-turkmenische Familie geboren und machte in Saddam Husseins Sicherheitsapparat Karriere, bevor er sich erst Al-Kaida und schließlich dem IS anschloss.

Am Donnerstag kurz vor der Morgendämmerung soll er sich den Worten Bidens zufolge in einem Haus im nordwestsyrischen Dorf Atmeh nahe der Grenze zur Türkei aufgehalten haben, als sich zwei Dutzend US-Kommandosoldaten mit Kampfhubschraubern näherten. Auch Drohnen und Kampfjets standen Berichten zufolge zur Unterstützung der riskanten Operation bereit.

2019 besiegt

Nachbarn berichteten einem dpa-Fotografen in Syrien am Donnerstag, die Gefechte rund um das Haus hätten rund drei lang Stunden gedauert. Das Ziel des US-Militäreinsatzes befand sich nur wenige Kilometer vom Ort entfernt, wo US-Spezialkräfte im Herbst 2019 al-Bagdadi bei einem Einsatz getötet hatten. Die Rebellenhochburg Idlib wird von Islamisten kontrolliert, die gegen die Regierung des Machthabers Bashar al-Assad kämpfen.

Im Bürgerkriegsland Syrien kämpft eine Militärkoalition unter Führung der USA gegen die IS- Terrormiliz. Der IS hatte im Sommer 2014 große Gebiete im Norden des Irak in seine Gewalt gebracht. Kurz darauf riefen die Jihadisten ein Kalifat aus, zu dem auch Regionen im Nachbarland Syrien gehörten und dem sich auch Anhänger aus dem Ausland anschlossen. Militärisch wurde die Terrormiliz im März 2019 besiegt, ist jedoch weiter in beiden Ländern aktiv und verübt immer wieder Anschläge. (flon, maa, APA, 3.2.2022)