Foto: ARTE G.E.I.E./Merrick Morton

Der Valentinstag steht vor der Tür und bietet einmal mehr Anlass, sich über die Liebe Gedanken zu machen. Dieses Jahr fällt mir das besonders leicht, weil ich ein ganzes Buch über Liebe geschrieben habe. Ein Buch, in dem ich viele der Liebe heilige Ideale von ihrem Sockel geholt und in den alltäglichen Beziehungsschmutz gezerrt habe. Inmitten von Jammern über zu viel oder zu wenig Nähe, Kinderbedürfnisse, alternde Körper, angegriffene Nerven und Menschen, die einem irgendwie sehr viel geiler vorkommen als die Person, neben der man seit Jahren liegt. Nur um mir anzuschauen, ob wir das mit dem Lieben nicht besser, um nicht zu sagen gleichberechtigter hinbekommen, wenn wir diesen ganzen romantischen Firlefanz endlich beerdigen und uns anschauen, wie wir stattdessen lieben könnten. Wie wir wirklich lieben. Eines dieser heiligen Ideale ist das der bedingungslosen Liebe. Es findet sich nahezu überall. In Kunst und Literatur, in Tagträumen und Erinnerungen, in Artikeln und gut gemeinten Ratgebern. Ich hatte, was die bedingungslose Liebe angeht, einen Anfangsverdacht, dem ich lange nicht nachgeben wollte. Schließlich liebe ich selbst und werde geliebt. Diese Liebe als bedingungslos zu charakterisieren fühlt sich zunächst einmal wunderschön und tröstlich an. Aber irgendwann ließ sich dieser Verdacht nicht mehr ausräumen. Das was wir uns unter bedingungsloser Liebe vorstellen, diese säkularisierten Um- und Weiterformulierungen des biblischen Hohelieds der Liebe, existieren so nicht. Egal wie oft wir uns davon zu überzeugen versuchen, dass "Liebe keine Grenzen, keine Form und keine Bedingung kennt".

Liebe und Bedingungen

Denn Liebe ist begrenzt. Liebe hat Formen. Liebe kann nur unter bestimmten Bedingungen existieren, weil wir nur unter bestimmten Bedingungen existieren können. Wir sind von der fixen Idee besessen, dass die Liebe über uns Menschen in Ewigkeit und Unverbrüchlichkeit hinausweist. Dabei weist sie stets in uns hinein. Sie weiß und spricht doch immer nur von uns. Von unserer Bedürftigkeit, unserer Fehlbarkeit und unserer Endlichkeit. Nehmen Sie mich zum Beispiel. Meine Lebenskomplizin und ich sind seit über einem Vierteljahrhundert ein Liebespaar. Ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass sie meine große Liebe ist. Meine erste obendrein. Aber wenn sie mir oder meinen Kindern absichtlich Gewalt oder Schaden zufügen würde, wäre es um meine Liebe geschehen.

Wenn sie "kurz mal Zigaretten holen" gehen würde und ich meine Kinder die nächsten Jahre allein betreuen müsste, wäre meine Liebe zu ihr am Ende. Meine Liebe kann nur unter sehr konkreten Bedingungen existieren. Ich brauche Luft zum Atmen und meine Liebe Gewaltfreiheit. So wie ich Essen und Trinken benötige, ist meine Liebe auf Wohlwollen und Wertschätzung angewiesen. Andernfalls erlischt sie. Da helfen mir auch keine Spitzfindigkeiten darüber, dass ich mich ja nie auf meine Lebenskomplizin eingelassen hätte, wenn sie zu so etwas in der Lage wäre.

Lassen wir die Märchen

Menschen lassen sich jeden Tag auf Menschen ein, von denen sie dachten, dass sie zu liebeserstickendem Verhalten nie in der Lage wären. Menschen werden jeden Tag zu Menschen, die die Liebe anderer zu ihnen ersticken. Dafür braucht es nicht einmal das ganz große Drama. Oft reicht einfach der stinknormale Alltag. Die Bedingungen, an die wir unsere Liebe knüpfen, sind in überwältigendem Maße unscheinbar und gewöhnlich. Liebe löst sich auf in einer Lauge aus Missverständnissen, Unachtsamkeit, Egoismus und Wortlosigkeit. Liebe fällt unserer Sucht zum Opfer, das eigene Verhalten zu idealisieren und das der oder des anderen zu skandalisieren.

Anstatt Liebe also ein ums andere Mal valentinstagsmäßig zu überhöhen und dem Märchen aufzusitzen, dass sie glücklich und zufrieden bis an ihr Ende leben, tun wir gut daran, uns in ihren Niederungen gleich zu berechtigen. Pläne zu schmieden. Vereinbarungen zu treffen. Grenzen zu ziehen. Denn unser Flirt mit der bedingungslosen Liebe ist zwar viel glamouröser als etwaige Aushandlungsprozesse darüber, unter welchen Bedingungen Liebe existieren kann. Er ist aber im wahrsten Sinn des Wortes auch unmenschlich. Wenn ich Ihnen also einen Rat geben darf: Lassen Sie das mit der bedingungslosen Liebe. Versuchen Sie es lieber mit schonungsloser Offenheit darüber, unter welchen Bedingungen Ihre gemeinsame Liebe existieren kann. Und setzen Sie alles Ihnen Mögliche daran, diese Bedingungen zu realisieren. Eine belastbare Liebe wird Sie stets weiter tragen als eine Liebe, deren ewige Dauer und Unzerstörbarkeit immer nur Behauptung bleiben kann, weil wir Menschen bleiben müssen. (Nils Pickert, 6.2.2022)