Rechts, links, links, links: Mit kleinen Handbewegungen zeigt mir Johannes Gosch, in welche Richtung ich laufen soll, um nicht mit telefonierenden Menschen, herumtollenden Hunden und Parkbänken zu kollidieren. Johannes Gosch ist mein Begleitläufer. Er joggt gemütlich hinter mir, während ich vor ihm dahinhopple und dabei wie gebannt auf seine Hände schiele. Keine Sorge, wenn Sie dieser Beschreibung bisher nicht so ganz folgen können, denn ein wichtiges Detail sollte noch erwähnt werden: Ich laufe rückwärts.

Beim Rückwärtslaufen mit Begleitläufer Johannes Gosch ist der Blick über die Schulter unnötig – theoretisch.
Foto: J.J.Kucek

"Und Stopp", sagt Gosch nach etwa hundert Metern. Ich komme eineinhalb Meter vor einer Straßenlaterne inmitten des Grazer Stadtparks zum Stehen. Mein Hindernis sehe ich natürlich erst, als ich mich danach umdrehe. "Das hat teilweise schon ganz gut geklappt", sagt Gosch.

Er muss es wissen: Das Laufen in die – vermeintlich – falsche Richtung hat der 58-jährige Sportwissenschafter und Mentalcoach vor mehr als 20 Jahren bei der Recherche für ein Buch über kreatives Laufen für sich entdeckt. Später hat er sich mit der internationalen Rückwärtslaufszene – ja, die gibt es! – vernetzt. Gemeinsam organisierten sie sogar Weltmeisterschaften.

Siegeszug der Disziplin?

Auch einen ganzen Marathon ist er einmal rückwärts gelaufen. Seiner Zielzeit von 4:54 Stunden kriegen manche nicht einmal ganz regulär im Vorwärtslauf hin. Mittlerweile geht der Steirer es allerdings ein wenig ruhiger an.

Das Rückwärtslaufen wird in schöner Regelmäßigkeit auf Sportblogs oder von Fitnessgurus als der neue Trend ausgerufen. Eine britische Fitnessstudiokette hat erst zum Jahreswechsel anhand von häufigen Suchbegriffen auf Google wieder einmal den Siegeszug des Rückwärtslaufens ausgerufen.

Folgt auf HIIT und Hula-Hoop nun also der Rückschritt? Sicher nicht. Beim Gedanken daran, dass im Grazer Stadtpark die dahintrabenden Joggerinnen bald schon rückwärts dahinstolpern, müssen Johannes Gosch und ich lachen.

So sieht Rückwärtslaufen aus, wenn es ein Profi macht.
Foto: J.J.Kucek

Doch dann muss ich mich wieder konzentrieren, um die Bewegung richtig hinzukriegen. Manche Rückwärtsläuferinnen, die ich mir auf Youtube angeschaut habe, schauen aus wie zurückgespult. Gosch macht das ein bisschen anders: Er wirft die Beine aus der Hüfte seitwärts nach hinten. Das macht er in einem Höllentempo und mit einem beneidenswerten Vertrauen, dass sich ihm nichts und niemand in den Weg stellt.

Es wird leichter, ein wenig

Dieses Vertrauen habe ich nicht: Ich schaffe nur wenige Schritte ins Ungewisse, bevor ich mich, ohne es zu wollen, über die rechte oder linke Schulter drehe und nach hinten luge. Ich will mich permanent vergewissern, dass ich auf kein Hindernis zusteuere – und laufe trotzdem in ständiger Furcht, mit dem Rücken gegen etwas zu prallen. Immerhin stehen im Park ganz schön viele Mistkübel und Straßenlaternen herum, bemerke ich beim Vorbeilaufen. Das größte Hindernis, das wird mir bei meinem Lauf in sehr überschaubarem Tempo klar, ist aber vermutlich mein Kopf.

"Das Rückwärtslaufen macht etwas mit einem. Das Vertrauen in den Körper wächst."
Foto: J.J.Kucek

Gosch wird zu meinem Begleitläufer und deutet mir den Weg. So wird es leichter, Kontrolle abzugeben und in die Richtung zu laufen, die er mir deutet. Zumindest manchmal, bevor ich meinen Kopf wieder automatisch nach hinten drehe, sobald sich Stimmen nähern. Aber diese kurzen Momente, in denen ich loslasse und einfach renne, ohne darüber nachzudenken, die fühlen sich wahnsinnig befreiend an. Ich kann nicht aufhören, zu lachen.

Und bevor Sie fragen: Nein, wir haben für unsere Fitnesseinheit keine verwunderten Blicke geerntet. Die meisten Menschen wichen uns aus, wenn wir ihnen nicht vorher schon ausgewichen waren, und gingen einfach weiter. Früher, sagt Gosch, habe man mit dem Laufstil noch für Aufsehen gesorgt. Vielleicht ist man im Grazer Stadtpark aber auch sehr viel Seltsameres gewohnt.

Mehr Selbstvertrauen

"Das Rückwärtslaufen macht etwas mit einem", ist Gosch überzeugt. "Das Vertrauen in den Körper wächst." Der Rücken, der ansonsten erst dann Beachtung findet, wenn er wehtut, ist auf einmal vorn und im Idealfall leicht nach hinten gebeugt, anstatt, wie im Alltag oft, nach vorn gekrümmt.

Auch der Blick auf die Welt verändert sich: Wer rückwärts läuft, sieht nicht, was auf einen zukommt, sondern was schon hinter einem liegt. Das ist nach zwei Jahren Pandemie und einer epidemiologisch eher ungewissen Zukunft vielleicht kein so schlechter Ansatz.

Auch der Sportwissenschafter Michael Koller von der Sportordination in Wien muss beim Gedanken an eine Hauptallee voller Läuferinnen und Läufer im Rückwärtsgang lachen. Davon, kilometerweit rückwärts zu laufen, rät er Ungeübten ab. Er findet es aber grundsätzlich sinnvoll, regelmäßig kurze Rück- und Seitwärtspassagen beim Lauftechniktraining einzubauen.

"Dabei geht es darum, dem Gehirn eine neue Bewegungsrichtung beizubringen und variantenreiche Trainingsanreize zu setzen", sagt Koller. Ganz wichtig: "Solche Übungen sollte man durchführen, wenn man noch nicht ermüdet ist."

Schonend für die Knie

Die Übungen sind für Ungeübte außerdem in flachem Gelände – also weit weg von Gehsteigkanten, Gegenverkehr und Schlaglöchern – empfehlenswert. Sonst drohen gefährliche Stürze, im schlimmsten Fall auf den Hinterkopf.

Die Richtungsänderung könnte sich aber auszahlen: Studien legen nahe, dass das Rückwärtslaufen zum Beispiel sehr schonend für die Knie ist. Das liegt laut Koller aber daran, dass man im Rückwärtsgang das Knie nicht, wie beim Schritt voran, abbiegen kann. Daher sind nur kleine Schritte möglich, was die Gelenkbelastung reduziert.

Daraus sollte man nun aber nicht folgern, dass man künftig den Berg beim Wandern rückwärts runterlaufen sollte. Es bedeutet aber, dass man auch bei der Vorwärtsbewegung kleinere Schritte machen könnte, wenn das Knie schmerzt. "Unsere Anatomie ist eindeutig auf die Vorwärtsbewegung ausgerichtet", sagt Koller und bringt ein eindrückliches Argument für seinen Standpunkt. "Sonst hätten wir ja am Hinterkopf Augen."

Das wäre auf unserer Rückwärtslaufstrecke durch den Stadtpark zwar praktisch, würde aber mit meiner Frisur seltsam ausschauen.

Nach Hause geht es später im Vorwärtsgang. Endlich sehe ich, was auf mich zukommt. Aber ich weiß jetzt auch, dass manches, was man als Hindernis wahrnimmt, am Ende nur ein Mistkübel ist. Und der sich im Rückblick gut umschiffen lässt. (Franziska Zoidl, 8.2.2022)