Eine Frage, die Karin Mölling und Benjamin Heisenberg im Gespräch diskutieren, lautet: Was sagen Viren und unser Umgang mit ihnen über uns aus?

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In der Veranstaltungsreihe "Journal des Scheiterns" von Martin Prinz, Stefan Gmünder und Pavel Cuzuioc (in Kooperation mit OGL) reden jeweils zwei Gäste aus der Kultur und anderen Lebensbereichen über Prozesse und Potenziale des Misslingens. Auszüge aus der fünften Folge des "Journals" mit der Virologin Karin Mölling und dem Regisseur, Autor und bildenden Künstler Benjamin Heisenberg im Kunsthistorischen Museum Wien.

STANDARD: Was empfinden Sie in Ihrem Leben als gelungen?

Karin Mölling: Was mir wirklich gelungen ist: Den Lebensweg so zu bestehen, wie ich es getan habe, dass ich forschen konnte, dass ich Wissenschaft betreiben konnte, dass ich hochinteressante und liebe Menschen getroffen habe. In der Wissenschaft ist mir drei, vier Mal etwas gelungen – und sicher neunzig Mal nicht. Komischerweise merkt man das am Bauchgefühl, das sagt: Das ist gut! Das Gelingen in der Forschung ist selten, Misserfolge sind an der Tagesordnung. Man muss eine hohe Resistenz gegen das Schiefgehen von Experimenten entwickeln.

STANDARD: Wie ist das bei Ihnen, Herr Heisenberg?

Benjamin Heisenberg: Die Frage nach dem Gelingen ist interessant, weil wir das Gelingen immer an Erfolgen messen, die nach außen sichtbar werden, oder an Preisen, Anerkennung etc. Es gibt aber auch eine persönliche Seite des Gelingens, wenn man zum Beispiel sagt, dass die Ehe, die Kinder den größten Teil des Gelingens ausmachen. Beruflich hat für mich Gelingen immer damit zu tun, das Gefühl zu haben, dem gefolgt zu sein, was am stärksten mit meiner Beziehung zur Welt zu tun hat, zu einer Welt, zu der ich etwas zu sagen habe. Ich empfinde es als ein Gelingen, wenn ich merke, dass die Form, in der ich gerade arbeite – egal, ob es Schreiben, Bildermachen oder was auch immer ist –, eine Struktur findet, die das hervorbringt, was ich als das Wesentliche an meiner persönlichen Wahrnehmung als Mensch empfinde.

STANDARD: Man hat Sie, Frau Mölling, in einem Interview gefragt, wie entscheidende wissenschaftliche Erkenntnisse zustande kommen. Sie haben geantwortet, oft habe es mit Anstößen von außen zu tun, einem Gespräch auf dem Gang, einem gemeinsamen Essen.

Mölling: Symposion heißt von seiner Wortbedeutung her gemeinsames, geselliges Essen, das ja bei Wissenschaftskollegs auch praktiziert wird. Über solche Essen hat Jim Watson, der Entdecker der Doppelhelix, einmal gesagt: "Never be the smartest at the table." Sitze nie als Klügster am Tisch. Das heißt: Such dir immer Leute in der Umgebung, die klüger sind als du und die dir etwas zu sagen haben, das habe ich unbewusst immer gemacht.

Heisenberg: Das kann ich nur unterschreiben, Spaziergänge, Gespräche, teilweise auch banale Einflüsse des Alltags führen oft zu neuen Ideen. Ich habe aber eine Frage an Frau Mölling. Ich habe in der Recherche für unser Gespräch den Eindruck gewonnen, dass Sie eine große Offenheit für die Randbereiche der Wissenschaft haben. Ich habe das Gefühl, Sie stellen immer wieder Fragen, zu denen andere sagen: "Das ist keine Wissenschaft mehr." Ich meine damit etwa jene Stuhlinjektionen bei Ihrer Patientin, von der Sie im Buch sprechen.

Mölling: Sie meinen die Stuhltransplantation, also den Ersatz des Stuhls von Patienten mit chronischen Durchfällen durch den gesunder Spender. Das ist 100 Jahre alt, heute macht das fast jede Klinik. Doch meine Interessen waren immer breit gestreut, und ich bin bis zum heutigen Tag offen für das, was sich an den Rändern abspielt. Ich bin seit zehn Jahren emeritiert und konnte gerade in dieser Zeit Dinge anstoßen, die auf Resonanz stießen wie den Stuhltransfer, die Forschung an Viren im Darm oder deren Rolle bei der Entstehung des Lebens. Unbedingt möchte ich Viren noch im Kampf gegen multiresistente Keime einsetzen!

Heisenberg: In der heutigen Zeit spielt, gerade was Corona betrifft, die Frage, wie wir Wissenschaft interpretieren und welcher Studie wir Glauben schenken, eine riesige Rolle. Die Frage, was ist Verschwörungstheorie, was begründeter Zweifel, spaltet extrem. Die WHO spricht in dem Zusammenhang ja mittlerweile von einer Infodemie.

Mölling: Ich halte es für einen Irrtum zu glauben, dass man die Welt mit wissenschaftlichen Fakten überzeugen kann. Erst einmal ist Wissenschaft komplex, ich habe mich aus diesem Grund darum bemüht, Bücher zu schreiben, die verständlich sind. Trotzdem, denke ich, glauben 30 Prozent der Menschen nicht an die Wissenschaft.

STANDARD: Frau Mölling, Sie haben im Frühjahr 2020 zu bedenken gegeben, dass man Corona nicht überschätzen dürfe, die Pandemie in Relation zu großen Grippewellen setzen müsse. Im Herbst haben Sie das dann revidiert.

Mölling: Ja, ich habe in jenem Frühling auf meine Aussagen hin Schelte bekommen, Shitmails, wie man das so nennt. Zu jenem Zeitpunkt war aber noch nicht so bekannt, dass die Lombardei, wo viele Chinesen in der Textilindustrie arbeiten, auch in Sachen Luftverschmutzung das China Europas ist. Dazu habe ich dann selber publiziert. Über die Krankheit und ihren Verlauf wusste man damals noch wenig. Im Vergleich zur Grippe ist aber das Sterben mit Corona um einiges schrecklicher und der Krankheitsverlauf länger. Vielleicht gab es Forscher, die das bereits ahnten, ich aber wusste es nicht besser – und habe ja meine Meinung geändert.

Heisenberg: Ich finde es wichtig, Zweifel zuzulassen. Ich hatte anfangs keine Ahnung von den mRNA-Impfstoffen und fragte meinen Vater als Neurobiologen und Genetiker, für wie gut oder gefährlich er sie hält. Darauf hat er geantwortet, es gibt bisher keine Evidenz, dass die mRNA-Impfstoffe auf lange Sicht gefährlich für den Menschen sind. Interessant an der Aussage fand ich, dass er nicht gesagt hat "Es ist ungefährlich", sondern "Es gibt bisher keine Evidenz, dass es gefährlich ist". Das ist für mich ein großer Unterschied, weil es die Erkenntnis einbezieht, dass auch die Wissenschaft einen Horizont des Wissens hat, der nicht unendlich ist.

STANDARD: Wie sehen Sie das, Frau Mölling?

Mölling: Ich bin der absoluten Überzeugung, dass eine RNA- oder auch DNA-Impfung, die ich ja schon vor 30 Jahren machte, keinerlei Schwierigkeiten in Bezug auf lange Sicht mit sich bringt, wie etwa in Bezug auf die Schwangerschaft. Wenn, dann treten Nebenwirkungen zum Beispiel als allergische Reaktion auf die Zusammensetzung des Impfstoffs schnell auf. Genetische Impfungen werden schon Jahrzehnte erprobt. Es gibt keine langfristigen Folgen, zumal fast alle Viren den Weg ins Erbgut schaffen! Auch die RNA-Viren können ins Erbgut eindringen und werden von uns vererbt. Aber das ist ein Schutz, denn das, was wir im Erbgut haben, schützt uns gegen die äußeren Viren. Der Impfstoff ist außerdem kein intaktes Virus! Also, meiner Ansicht nach: Impfen, ja. Keine Gefahr.

STANDARD: Was macht die Pandemie mit unserer Welt? Zunächst rückt sie uns auseinander, könnte auch das Gegenteil passieren?

Mölling: Also erst mal ist das Einzige, was man als Maßnahme gegen Viren machen kann: Abstand. Das bringt uns alle in die Distanz. In biblischen Zeiten hatten die Aussätzigen eine Rassel, damit die gesunden Leute auf die andere Seite der Straße auswichen. Abstand ist die Grundregel für eine Pandemie. Und das trennt. Ob wir auf lange Sicht etwas lernen? Ich fürchte, die Menschen vergessen schnell.

Heisenberg: Wie hätte sich das Virus in der Welt heute ohne die moderne Medizin ausgebreitet? Was, glauben Sie, wäre passiert?

Mölling: Also man kann jetzt zurückschauen in der Geschichte: Es gab ja anscheinend schon einmal eine Coronavirus-Erkrankung, 1889 bis 1896, die wird als Russische Grippe bezeichnet. Es gab hundert Millionen Tote, wobei damals sehr viel weniger Menschen auf der Welt waren. 1889 hat es sieben Jahre gedauert, bis das Virus zu einem "normalen" Virus wurde – heute ist es eines der vier Winterviren, die nicht mehr Schlimmes anrichten. Darauf warten wir nun!

Heisenberg: Ich glaube aber, dass wir die sozialen Probleme dieser Pandemie unterschätzen, zugunsten der Verhinderung von Todesfällen. Wenn ich sehe, wie wir in den Lockdowns Stunden um Stunden vor dem Bildschirm sitzen – oft nicht, um zu arbeiten, sondern um uns abzulenken. Das kann auch eine Art Entwöhnung vom aktiven, realen Leben bedeuten und schwierig werden, wenn man selbst in eine Krise gerät oder wenn es gilt, den nächsten Schritt im Leben zu machen. Ich fürchte, das wird uns nach dieser Pandemie noch verfolgen.

STANDARD: Frau Mölling, Alexander Kluge hat Ihnen die Frage gestellt: "Was erzählen uns die Viren?" Was können wir von ihnen lernen?

Mölling: Ohne Viren gäbe es uns gar nicht! Sie waren lange vor uns da. Wenn ich Ihnen zwölf Eigenschaften aufzähle, zum Beispiel Betrug, Vortäuschen, Helfen, Gemeinsam-etwas-Bewirken, dann denken Sie, ich rede von Menschen, ich rede aber von Lebewesen UND von Viren. Viren sind im Grunde genommen für uns eine Warnung, sie werden nur zu solchen virulenten Pandemieereignissen, wenn irgendetwas nicht stimmt, und da sollten wir uns schon Gedanken machen, was es ist, das wir verkehrt machen. Viren bringen uns bei, dass wir ein Teil der Natur sind und in dieser Natur auch eine Verantwortung tragen. Und Viren – und das ist gute Botschaft – werden die Menschheit nicht umbringen. Wenn aber die Pandemie vorbei ist, sollte man sich bewusst werden, dass es Mächte gibt, die wir nicht ganz kontrollieren können. (Stefan Gmünder, Martin Prinz, ALBUM, 5.2.2022)