Wenn es nach der EU-Kommission geht, ist Erdgas als nachhaltig einzustufen – zumindest vorübergehend. In einem am Mittwoch veröffentlichten Rechtsakt werden Investitionen in Gas- und Atomkraft unter bestimmten Bedingungen als klimafreundlich gewertet, um einen Beitrag zum Übergang zur Klimaneutralität Europas zu leisten: Erdgaskraftwerke, die unter anderem schmutzigere Kohlekraftwerke ablösen, sollen zumindest bis 2035 als grüne "Brückentechnologien" gelten.

Dass Erdgas aber alles andere als klimafreundlich ist, liegt auf der Hand: Wie bei allen fossilen Brennstoffen werden bei seiner Verbrennung klimaschädliche Gase freigesetzt, vor allem Kohlendioxid. Zwar sind die Emissionen geringer als bei Kohle oder Öl. Aber es gibt noch ein anderes Problem: Ein Hauptbestandteil von Erdgas ist Methan (CH4), ein weitaus stärkeres Treibhausgas als CO2. Wie viel Methan aus Lecks in Förderanlagen und Pipelines weltweit entweicht und in die Atmosphäre gelangt, ist die große Unbekannte, die bei der Bewertung des Brennstoffs zu wenig berücksichtigt wird, warnen Forscherinnen und Klimaschützer seit langem. Eine aktuelle Studie im Fachblatt "Science" lässt nun befürchten, dass das Problem noch größer ist als angenommen.

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Bei der Verbrennung von Erdgas wird CO2 freigesetzt, doch bei Förderung und Transport gelangen oft auch große Mengen an Methan in die Luft.
Foto: Reuters/Vasily Fedosenko

Ultraemittenten aus dem All identifiziert

Ein Team um Thomas Lauvaux von der Universität Paris-Saclay nutzte erstmals umfangreiche Satellitendaten, um den Methanausstoß durch die Öl- und Gasindustrie genauer zu quantifizieren. In Aufnahmen des europäischen Erdbeobachtungssatelliten Sentinel-5P konnten für den Zeitraum von 2019 bis 2020 weltweit 1.800 Methanquellen identifiziert werden, aus denen zumindest zeitweise sehr große Mengen des Treibhausgases emittiert wurden.

Während etwa ein Drittel dieser Quellen auf landwirtschaftliche Aktivitäten und Mülldeponien zurückgingen, stammte der Großteil – rund 1.200 "Ultra-Emittenten" – aus unmittelbarer Nähe von Infrastruktur der Öl- und Gasindustrie: Rund acht Millionen Tonnen Methan könnten aus Förderung und Transport der Brennstoffe jährlich in die Luft gelangen, schreibt das Forschungsteam.

Der meistens dieser Emissionen kommen demnach aus Russland, Turkmenistan, den USA, dem Iran, Kasachstan und Algerien. Die Wissenschafterinnen betonen aber, dass das Bild noch keineswegs vollständig sei: In den Satellitenaufnahmen waren nur Lecks zu erkennen, aus denen mehr als 25 Tonnen Gas pro Stunde strömten – wie viele kleinere Quellen es geben könnte, sei also nicht berücksichtigt. "Es ist die Spitze des Eisbergs", schreiben Lauvaux und Kolleginnen.

Die wichtigsten Gaspipelines (in Blau) und die Verteilung der beobachteten Methanquellen im Überblick.
Illustration: Kayrros Inc./Esri/HERE/Garmin/FAO/NOAA/USGS/OpenStreetMap contributors/GIS User Community

Dringende Investitionen

Der Großteil des Methans dürfte aus Lecks und undichten Anlagen stammen, bessere Instandhaltung und Wartungsprotokolle würden hier einen großen Unterschied machen. Doch auch bei der Suche und Bohrung nach Öl wird Gas freigesetzt – und meist aus Kostengründen nicht aufgefangen.

Ein großer Fehler, wie die Forschenden betonen: Berücksichtige man den Wert des verschwendeten Gases und die enormen sozialen Kosten des Klimawandels und der schlechteren Luftqualität, zeige sich, dass Investitionen in wirksame Maßnahmen gegen die unnötigen Methanemissionen den betreffenden Ländern in Wirklichkeit hohe Milliardensummen ersparen würden. (David Rennert, 4.2.2022)