Scott Waitukaitis vom Institute of Science and Technology Austria geht im Gastblog einem physikalischen Phänomen nach.

Es gibt nur wenige Naturphänomene, die so bekannt sind wie statische Elektrizität. Jedes Mal, wenn man beim Berühren einer Türklinke einen Funken spürt, liegt das an der statischen Elektrizität. Jedes Mal, wenn Stofffasern an einem Hemd kleben bleiben, ist das ebenfalls auf statische Elektrizität zurückzuführen. Diese Liste an Beispielen lässt sich beliebig fortsetzen. Es sollte kein Problem sein, einen so alltäglichen Effekt wissenschaftlich zu verstehen. Oder? Nichts könnte der Wahrheit ferner liegen, wie sich herausstellt.

Verpackungsmaterial bleibt aufgrund statischer Elektrizität an einer frustrierten Katze haften. Obwohl fast jeder dieses Phänomen kennt, verstehen wir noch immer nicht, warum Materialien, insbesondere Isolatoren, elektrische Ladung austauschen.
Foto: Sean McGrath/Wikicommons CC 2.0 (https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=60287175)

Schon im antiken Griechenland erforscht

In der Wissenschaft nennen wir dieses Phänomen nicht "statische Elektrizität". Wir nennen es "Kontaktelektrisierung" und meinen damit den Austausch elektrischer Ladung, wenn sich zwei Materialien berühren. In diesem Kontext hat statische Elektrizität eigentlich auch nichts Statisches an sich. Damit sich zwei neutrale Materialien bei Kontakt elektrisch aufladen, muss etwas Dynamisches passieren: Ein elektrisch geladenes Teilchen muss von einem auf das andere Material übergehen. Hier wird unsere Ahnungslosigkeit deutlich. Wir wissen nicht einmal, welche Art von geladenem Teilchen übertragen wird. Es könnte ein negatives Elektron, ein positives Proton, ein Ion – also ein geladenes Atom – oder ein ganzes Molekül sein. Abgesehen davon, dass wir nicht wissen, was übertragen wird, wissen wir auch nicht, warum.

Unsere Unkenntnis liegt allerdings nicht an einem Mangel an Versuchen. Die Kontaktelektrisierung gehört zu den ältesten dokumentierten natürlichen Phänomenen. Die erste eindeutige Erwähnung stammt von keinem anderen als dem Philosophen Platon, der in seinem Werk Timaios die anziehenden Eigenschaften von Magneten und Bernstein erwähnt. Bernstein ist ein Stein, der aus dem versteinerten Harz von Kiefern besteht, und er eignet sich hervorragend für Kontaktelektrisierung. Tatsächlich ist die geschichtliche Rolle des Bernsteins so wichtig, dass unser Wort für Elektrizität von dem altgriechischen Wort für Bernstein – electron – abgeleitet ist.

Nachlassendes Interesse

Die ersten wichtigen konzeptionellen Entwicklungen zur Kontaktelektrisierung fanden im Zuge der wissenschaftlichen Revolution statt. Im Jahr 1733 schlug Charles Du Fay vor, dass es zwei Arten von Ladungen gibt, nämlich positive und negative. Johan Wilcke fand dann heraus, dass man Materialien danach ordnen kann, ob sie positiv oder negativ geladen werden können. Materialien, die keine Elektrizität leiten – Isolatoren –, laden sich am stärksten auf. Glasartige Materialien laden sich positiv und kunststoffartige Materialien laden sich negativ auf. Materialien, die Elektrizität leiten – Metalle –, laden sich wenig auf und liegen daher in der Mitte der Liste. Die Entwicklung dieser sogenannten "triboelektrischen Reihe" deutet auf einen grundlegenden Mechanismus hin, der die Kontaktelektrisierung steuert.

Auch Wissenschafterinnen und Wissenschafter des 18. und 19. Jahrhunderts, darunter Michael Faraday, Benjamin Franklin und Lord Kelvin, forschten an der Kontaktelektrisierung. Da sie jedoch nur über einfache Geräte verfügten und die Natur der zugrundeliegenden Teilchen nicht kannten, hatten sie kaum eine Chance, dieses Phänomen zu verstehen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnten die damals neue Atomtheorie und Quantenmechanik bei der Erklärung helfen, was jedoch nur zu begrenzten Fortschritten führte.

Bei Metallen stellten mehrere Forschende nach und nach fest, dass Elektronen bei Kontakt durch einen Mechanismus übertragen werden, der mit dem fotoelektrischen Effekt verwandt ist. Dieser Effekt ermöglicht uns, Sonnenenergie zur Stromerzeugung zu nutzen. Bei Isolatoren waren die Experimente jedoch weit weniger erleuchtend, und es wurden keine großen Durchbrüche erzielt. Das Interesse an diesem Thema ließ nach, und als es ganz aus der Mode kam, gingen Physikerinnen, Physiker und die Öffentlichkeit offenbar davon aus, dass es bereits verstanden worden war. Dies entspricht sicherlich auch meinen Erfahrungen, da ich immer wieder auf Überraschung treffe, wenn ich meiner Kollegenschaft erzähle, woran ich gerade arbeite.

Drei Hypothesen

In den letzten Jahren sind Wissenschafterinnen und Wissenschafter wieder motivierter, die Kontaktelektrisierung von Isolatoren zu verstehen. Es gibt dabei drei Hypothesen, die verfolgt werden: Die populärste Hypothese geht davon aus, dass der Mechanismus dem der Metalle ähnelt, dass also Elektronen beteiligt sind. Die konzeptionelle Schwierigkeit besteht darin, dass sich die Elektronen in Leitern frei bewegen können, während sie in Isolatoren an Ort und Stelle festgehalten werden.

Die zweite Vorstellung besteht darin, dass nicht einzelne Ladungen übertragen werden, sondern ganze Materialstückchen. Das Problem bei diesem Modell ist, dass nicht klar ist, warum sich die Stückchen positiv oder negativ aufladen sollten. In der letzten und exotischsten Hypothese wird angenommen, dass es nicht auf die einzelnen Materialien ankommt, sondern auf das, was sich auf ihrer Oberfläche befindet. Bei dieser Theorie wird vor allem Wasser untersucht, da es sich an fast jede Oberfläche anlagert. Dabei ist jedoch noch nicht klar, wie sich die Wassermoleküle in geladene Ionen aufspalten würden, um Ladung zu verteilen.

Die Waitukaitis-Gruppe am Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) geht dieser Hypothese nach und verwendet neueste Techniken, um den Ladungsaustausch bei Kontakt zu messen. Sie versucht dabei, die Rolle des Wassers auf der Kontaktoberfläche genau zu verstehen.

Die Waitukaitis-Gruppe setzt modernste Techniken ein, um den Ladungsaustausch bei Kontakt zu messen und die Rolle von Wasser an der Oberfläche zu untersuchen. Hier ist eine akustisch zum Schweben gebrachte Glaskugel (0,5 mm Durchmesser) zu sehen. Ihre Ladung wird gemessen, indem man sie mit High-Speed-Kameras beobachtet, während sie durch ein elektrisches Feld gestört wird.
Foto: IST Austria/Thomas Zauner

Was auch immer die Ursache der Kontaktelektrisierung sein mag, die aktuelle Forschung macht Hoffnung, dass wir nach 2.400 Jahren endlich das theoretische Verständnis, die technischen Hilfsmittel und die Motivation haben, sie zu entdecken. (Scott Waitukaitis, 9.2.2022)