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Als Umweltschutzaktivistinnen 1980 in New York auf die Straße gingen, wurde in Konzernzentralen schon daran gearbeitet, die Klimaforschung zu diskreditieren.

Foto: Picturedesk / Barbara Rios

"Wir stehen in der vollen Verantwortung für die künftigen Generationen; es geht hier nicht um Argumente für einen Wahlkampf in der kurzatmigen Zeitskala der Politik, es geht um das Schicksal unserer Kinder und Enkel auf der ganzen Erde." Diese Worte stammen nicht von Fridays-for-Future-Aktivistinnen oder aus einem Statement des Weltklimarats, sondern wurden in der Fachzeitschrift "Physikalische Blätter" abgedruckt – im Jahr 1981. Verfasst hat sie der Klimaforscher Hermann Flohn, der bereits in den 1940er-Jahren erkannt hatte, dass ein menschengemachter Klimawandel drohen könnte.

Heute sind die Folgen dieses Klimawandels längst unübersehbar geworden. Und die Menschheit muss sich der unangenehmen Frage stellen: Warum haben wir nicht viel früher reagiert?

In der Treibhausfalle

"Man muss feststellen, dass wir jahrzehntelang in der Treibhausfalle gefangen waren, obwohl die wesentlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse längst auf dem Tisch lagen", sagt der Schweizer Klimahistoriker Christian Pfister. Wie lange die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Erwärmung der Erde zurückreicht, beschreibt Pfister in seinem Buch "Klima und Gesellschaft in Europa" (Haupt Verlag 2021), das er vergangenen Herbst gemeinsam mit dem Klimatologen Heinz Wanner veröffentlicht hat. Im Rückblick zeigt sich eine erstaunliche Diskrepanz zwischen dem Wissensstand in Fachkreisen und dem öffentlichen Diskurs über das Klima. Von politischen Handlungen ganz zu schweigen.

Vor inzwischen fast 200 Jahren kam der französische Physiker Joseph Fourier dem Prinzip des Treibhauseffekts auf die Spur: Er erkannte 1824, dass die Erdatmosphäre Strahlungswärme der Sonne zurückhält und unser Planet ohne diese Barriere viel kälter wäre. Hinweise darauf, wodurch die Wärme eingefangen wird, fanden sich einige Jahrzehnte später: Die amerikanerische Wissenschafterin Eunice Foote identifizierte Mitte der 1850er-Jahre CO2 als wirksames Treibhausgas. Davon unabhängig zeigten bald auch Experimente des Iren John Tyndall, dass Wasserdampf, CO2 und Ozon eine Rolle im Treibhauseffekt spielen. Tyndall kam auch zu dem Schluss, dass Schwankungen der Zusammensetzung dieser Gase in der Erdatmosphäre vergangene Klimaveränderungen bedingt haben dürften.

Hoffnung auf besseres Klima

Alarmiert war die Fachwelt von diesen Erkenntnissen nicht, sagt Pfister. Das änderte sich auch nicht, als der Mensch in den Verdacht geriet, selbst beim Treibhauseffekt mitzumischen. Lange Zeit galt es als völlig unvorstellbar, dass menschliche Aktivitäten das globale Klima merklich beeinflussen könnten.

Doch dann stellte der schwedische Chemiker Svante Arrhenius 1896 eine Verbindung zwischen der Industrialisierung und einem Anstieg des CO2-Gehalts in der Atmosphäre her und legte erste Modellrechnungen vor: Für eine Verdoppelung der CO2-Konzentration errechnete er einen Temperaturanstieg von fünf bis sechs Grad Celsius.

Der Chemiker konnte vom explosionsartigen Emissionsanstieg ab Mitte des 20. Jahrhundert nichts ahnen und nahm an, dass so eine Entwicklung viele Jahrhunderte dauern würde. Und sah darin positives Potenzial: Es bestehe Hoffnung, "in den kälteren Regionen der Erde künftighin ein gleichmäßigeres und besseres Klima zu genießen", schrieb Arrhenius – für die Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung eine vorteilhafte Aussicht.

Unterschätzter Faktor Mensch

Vielen Forschenden entlockte Arrhenius’ These einer menschengemachten Erderwärmung maximal ein müdes Lächeln: Die Rolle unserer Spezies sei vernachlässigbar gegenüber den Kräften der Natur, lautete der Tenor. Die Öffentlichkeit nahm nicht Notiz von der Debatte. Frühe Umweltschutzbewegungen, die sich im 19. Jahrhundert formiert hatten, waren angesichts von Holznot oder um seltene Vogelarten besorgt. Aber das Weltklima bereitete niemandem schlaflose Nächte.

Aus heutiger Perspektive ist bemerkenswert, wie nahe Arrhenius an aktuelle Modelle herankam, die bei einer CO2-Verdoppelung von drei Grad Erwärmung ausgehen. Doch seine Berechnungen blieben selbst dann noch umstritten, als erste Messdaten in den 1930er-Jahren andeuteten, dass eine menschengemachte Erderwärmung womöglich schon im Gange war.

Fieberkurve der Erde

Einen klimatologischen Durchbruch brachte ein Langzeitexperiment des US-amerikanischen Forschers Charles Keeling: Er errichtete eine CO2-Messstation auf dem hawaiianischen Vulkan Mauna Loa in 3397 Meter Höhe, fernab von Verkehr und Industrieproduktion. Von 1958 an sammelte er dort Daten – und dokumentierte eine rasante Zunahme des Treibhausgases in der Erdatmosphäre. "Damit erhielt das CO2-Problem erstmals ein Gesicht – nämlich die Kurve der steigenden Konzentration", sagt Pfister.

Durch die Untersuchung von Eisbohrkernen zeigte sich, dass der CO2-Gehalt viel schneller anstieg als in den vorangegangenen Jahrhunderten. Nicht von ungefähr: "In den 1950er-Jahren kam eine gigantische Schwemme von mittelöstlichem Öl auf den Markt, mit der Folge, dass die Energiepreise zusammengekracht sind", sagt Pfister. "Der Preis hat überhaupt keine Rolle mehr gespielt, Energie konnte einfach verschwendet werden – und das wurde auch gemacht."

Ein geophysikalisches Experiment

Immer mehr Details der möglichen Folgen der massenhaften Nutzung fossiler Brennstoffe kamen ans Licht, besorgte Klimaforschende alarmierten die Politik: 1965 wurde etwa in einem Bericht an den US-Präsidenten Lyndon B. Johnson vor einem "riesigen geophysikalischen Experiment" gewarnt, dessen Ausgang für die Menschheit zur Katastrophe werden könnte. Erste Computersimulationen zeigten, was bevorstehen könnte: schmelzende Polkappen, steigende Meeresspiegel, häufigere Unwetterkatastrophen.

Langsam wuchs das Bewusstsein für das Problem. 1972 trafen sich Vertreter aus 113 Staaten zur ersten UN-Konferenz, die sich Umweltthemen widmete, 1979 tagte die erste Weltklimakonferenz. Doch bis das Thema Erderwärmung auf der politischen Agenda großer Industrienationen landete und für Schlagzeilen sorgte, dauerte es noch Jahre.

Auch in Österreich erlebte die Umweltbewegung ab den 70ern eine Renaissance. Während frühere Naturschützer vor allem Heimatliebe hochgehalten hatten, nahm die junge Generation globale Fragen in den Fokus. Der Ölpreisschock 1973, die Volksabstimmung über das Atomkraftwerk Zwentendorf 1978 oder die Besetzung der Hainburger Au Mitte der 1980er-Jahre wirkten als politisierende Initiationsmomente.

Vorbild Tabakindustrie

Als es Klimaforscherinnen und Umweltschützern weltweit im Lauf der 1980er-Jahre endlich gelang, eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, setzten gezielte Desinformationskampagnen ein. Dass die Weltgemeinschaft so lange keine Maßnahmen gegen den Klimawandel getroffen hat, war weder Forschungsdefiziten noch dem Zufall geschuldet, sondern einer strategischen Anstrengung, die öffentliche Meinung zu torpedieren – finanziert von Öl- und Kohlekonzernen mit besten Verbindungen in die Politik.

Wie sie dabei vorgingen, hat die US-Wissenschaftshistorikerin Naomi Oreskes rekonstruiert. Die Förderer fossiler Energieträger verfolgten dieselbe Strategie, die zuvor schon der Tabaklobby großen Erfolg beschert hatte: Sie säten Zweifel am wachsenden Konsens der Wissenschaft, den ihre eigenen Forschungsergebnisse eigentlich stützten. Eine interne Studie der heutigen Exxon Mobil Corporation kam etwa 1979 zum klaren Resultat, dass der Emissionsanstieg zu einer Erderwärmung und dramatischen Umweltschäden führen werde.

Zweifel als Strategie

Um die geschäftsschädigenden Befunde zu verschleiern und klimapolitische Entscheidungen hinauszuzögern, wurden Wissenschafterinnen persönlich diskreditiert, emotionale Werbekampagnen gestartet und "Forschungsinstitute" gegründet, die in der Öffentlichkeit ein Gegengewicht zu den Erkenntnissen der Klimaforschung bilden sollten. Medien, die im Sinne einer vermeintlich ausgeglichenen Berichterstattung begannen, "beiden Seiten" gleichermaßen Platz einzuräumen, verzerrten das Bild.

Die Saat der Zweifel ging auf, die Verzögerungstaktik wirkt bis heute, sagt Klimahistoriker Pfister. "Die wissenschaftlichen Fakten sind eindeutig, aber selbst wenn wir heute bindende Beschlüsse auf internationaler Ebene erreichen, müssen diese national umgesetzt werden. Da liegt der Hase im Pfeffer." (David Rennert, 6.2.2022)