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Was ein erfolgreiches Kinderlied ausmacht? Matthäus Bär faltet seine Hände im Schoß und schaut an die Decke, als würde er dort die Antwort auf die Frage finden. Das Thema ist ihm wichtig, dass er nicht wie aus der Pistole geschossen antwortet, fast ein wenig verblüffend.

Schließlich hat der Grazer die vergangenen acht Jahre Kindermusik gemacht. Er schrieb Lieder mit Textzeilen wie "Ich will jetzt ein Eis, warum krieg ich keins?" und begeisterte damit nicht nur die kleinen Leute, sondern auch große. Nun soll er an einem Nachmittag im Jänner bei einer Melange über die Gattung Kindermusik Auskunft geben.

Er sei zum Kinderrockstar geworden, weil er, als er Vater wurde, mit dem Angebot, das verfügbar war, unzufrieden war. "Zum Teil war das etwas lieblos gemacht, weil es eh nur für Kinder ist." An seine Songs setzte er also dieselben Maßstäbe wie an Musik für Erwachsene. Mit der Little Hipster Band gab Matthäus Bär Konzerte für Kinder in Österreich, aber auch in Hamburg und Berlin.

Matthäus Bär wird oft als Kinderrockstar bezeichnet. Nicht nur Kindern, sondern auch Eltern, Musikkritikerinnen und –Kritikern sagt seine Musik zu.
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Als der Sohn der Autorin dieses Textes kürzlich vom Baby zum Kleinkind wurde, fragte sie sich: Welche Musik hören die Kleinen eigentlich derzeit am liebsten?

Eine Umfrage im Freundeskreis ergab: Lieder wie Backe, Backe Kuchen oder Es tanzt ein Bi-Ba-Butzeman werden in den Kinderzimmern genauso rauf und runter gespielt wie schon vor Jahrzehnten. Auch Rolf Zuckowski und Co sind nach wie vor angesagt, ebenso wie die Schlümpfe. Aber es sind neue Stars dazu gekommen: Sie heißen Bummelkasten, Kiri Rakete, RatzFatz, Mai Cocopelli oder Suli Puschban. Auch die deutsche Hip-Hop-Band Deine Freunde hat offenbar viele kleine Fans.

"Die Musik für Kinder ist deutlich vielfältiger geworden", sagt Thomas Hartmann, der sich als Journalist, Medienpädagoge und Kulturwissenschafter seit Jahren mit der Gattung Kinderlieder beschäftigt. Es ist also längst nicht mehr nur lustige Mann mittleren Alters mit Gitarre, der fröhlich Kinderlieder klampft.

Sommerland und Bär

Einer der größten Stars auf dem Sektor ist aktuell Simone Sommerland. Obwohl fast nur Eltern ihren Namen kennen, zählt sie zu den absolut erfolgreichsten Musikerinnen Deutschlands. Im März 2021 hat sie mit ihrem ersten Album Die 30 besten Spiel- und Bewegungslieder sogar die Schlagerkönigin Helene Fischer in den deutschen Charts überholt – und war länger dort vertreten als die Beatles oder Abba. Auch in Österreich ist Sommerland so was wie die Rihanna der Kinderzimmer.

Matthäus Bär

Und sie legt laufend nach: Allein 2020 hat sie zehn Alben herausgebracht. Etwa die Hälfte ihrer Songs sind neue Versionen bereits bekannter Lieder, die andere Hälfte komponiert ein Team ihres Labels. Einige singt sie allein, bei anderen ist ihr Mann dabei, der ebenfalls Musiker ist. Zusammen sind sie "Simone Sommerland, Karsten Glück und die Kita-Frösche".

An einem Donnerstagnachmittag lächelt die sympathische Frau mit den blonden Locken auf dem Computerbildschirm. Mit bürgerlichem Namen heißt sie Simone Stiers, sie lebt mit ihrer Familie im deutschen Ruhrgebiet. "Mir war immer klar, dass ich Sängerin werde. Einen Plan B hatte ich nicht", erzählt Stiers. Sie nahm Gesangsunterricht, spielte in Musicals mit.

Mit 17 Jahren begann sie, für ein Plattenlabel die berühmten Schlümpfe-CDs zu singen. Später wurden sie und ihr Mann von einem befreundeten Produzenten angesprochen, ob sie nicht eine Kinder-CD aufnehmen wollen.

Alltagsthemen

Bei ihrer Musik setze sie nicht auf Jugendsprache, sie wolle kein "erwachsener Popstar auf Kinderebene" sein, sagt Stiers. Gleichzeitig möchte sie sich von alten Interpretationen klassischer Kinderlieder abheben, die sie zu gekünstelt findet. "So wie im Kirchenchor singt doch heute niemand mehr!"

Sie singe, wie sie spreche. Eine deutliche Aussprache sei ihr wichtig – sie sieht darin einen pädagogischen Auftrag. Ihre Musik zeichnet sich durch einfache, eingängige Rhythmen aus, in den Texten geht es viel um Alltagsthemen wie Händewaschen oder den Kindergarten.

Bei ihren Auftritten seien Eltern oft aufgeregter als die Kinder. Denn die hätten nicht so ein "Fantum", sagt Simone Sommerland. "Für sie bin ich einfach nur ,die Simone‘."
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Das kommt bei Familien gut an. Zu einem ihrer Konzerte in Brandenburg kamen im Vorjahr rund 1000 Besucherinnen und Besucher. Wer auf Youtube nach einem Kinderlied sucht, findet ihre Musik ganz oben bei den Treffern. Stiers hat in ihrer Karriere insgesamt 31 Preise für verkaufte Platten bekommen.

Kein großes Geschäft

Aber nicht bei allen sorgt Kindermusik für ein gutes finanzielles Auskommen, sagt Musikkritiker Hartmann: "Gerade die ambitionierten Kindermusikerinnen und -musiker arbeiten meist aus Leidenschaft und Idealismus, aber sicher nicht, um mit Kinderliedern reich zu werden." Selbst die Band Deine Freunde, die inzwischen große Konzerthallen mit kleinen Leuten füllt, mache kein Geheimnis daraus, erst seit kurzer Zeit nennenswerte Gewinne zu erwirtschaften.

Hartmann hält es für wichtig, Kinder mit stilistischer Vielfalt in Kontakt zu bringen. Auf seinem Blog Mama lauter!, wo er Musik für Kinder empfiehlt, stellt er auch unbekanntere Künstlerinnen und Künstler vor.

Gute Kindermusik nehme sie als anspruchsvolle Hörerinnen und Hörer ernst – "anders als in vielen kommerziellen Liedern, in denen es oft nur ums Singen, Tanzen und Springen geht, als ob sich das Leben von Kindern nur auf dem Spielplatz oder in der Kinderdisco abspielen würde. Tatsächlich durchleben sie ja tagtäglich ganz viele, ganz unterschiedliche Emotionen."

Simone Sommerland - Topic

Matthäus Bär bemüht sich, auch die bitteren Seiten des Kinderlebens zu besingen. In einem seiner Songs geht es zum Beispiel um die Wut, auf Schwester, Bruder, Mama, Papa und überhaupt die Welt im Allgemeinen. Er ist der Meinung, dass Kinder einen recht "breiten Musikgeschmack" haben, also vieles durchaus Unterschiedliches mögen.

Es sei ihm vor allem wichtig, Musik zu machen, hinter der er wirklich steht – und den Kindern nichts vorzugaukeln. "Ich habe mich auch immer bemüht, Kinder als mein Publikum ernst zu nehmen."

Spaß muss es machen

Das ist auch Simone Stiers ein Anliegen. Wenn sie im Studio ist, stelle sie sich immer vor, "selbst ganz klein zu sein", begebe sich mit Kindern auf Augenhöhe. Außerdem wolle sie selbst Spaß dabei haben. "Du kannst den Kindern nichts vormachen. Die bekommen mit, wenn du nur so tust, als ob." So unterschiedlich die Musik der beiden Künstler also auch sein mag, gibt es doch Gemeinsamkeiten.

Damit zurück zur Frage, was ein Kinderlied zum echten Hit macht. Das sei gar nicht so anders als bei der Musik für Erwachsene, sagt Bär. Melodisch schon gar nicht und auch den Texten müsse immer "ein gewisses Gefühl zugrundeliegen, mit dem sich jemand verbinden kann". Die großen Themen, die in Popsongs immer besungen werden, wie etwa enttäuschte Liebe: "Sie gehen große und kleine Menschen gleichermaßen an." Es müssten nur einfachere Worte gewählt werden. "Man muss sich fragen, ob das auch in den Ohren von Fünfjährigen Sinn macht."

Bär zieht nun einen Schlussstrich und widmet sich einer neuen Aufgabe – der Kinderliteratur. Die gute Nachricht für Fans: Vor dem Karriereende als Kindermusiker wird er noch ein paar Konzerte geben. (Lisa Breit, 6.2.2022)