Bild nicht mehr verfügbar.

Hier trägt nicht die Rodel Wolfgang Kindl, sondern Wolfgang Kindl trägt die Rodel. Als Schnellster des abschließenden Trainingstages zählt er zu den Mitfavoriten im Einsitzer.

Foto: Reuters/Peter

Madeleine Egle gewann heuer fünf Weltcuprennen. Ihr Wettbewerb beginnt am Montag.

Foto: APA/EXPA/Groder

Der US-Rodelverband bewirbt sein Ressort als "die schnellste Sportart auf Eis". 135 km/h sind die Fahrer schnell. Anders gesagt: Pro Sekunde legen sie 37,5 Meter zurück. Nur eine Zehntel zu langsam reagiert, schon wartet der Einschlag in die Bande.

Man sollte besser rechtzeitig einlenken. Also einen Fuß auf den Boden setzen, die Rodel dreht sich dann in dieselbe Richtung. Das scheint bei Rennrodlern aber nicht gut anzukommen. "Wer bremst, verliert", sagt Wolfgang Kindl. Wer so eine Vita hat wie er, darf solche platten Phrasen verwenden. Kindl siegte bei neun Weltcuprennen, war zweifacher Weltmeister, Ende Jänner krönte er sich in St. Moritz zum Europameister. Er muss es wissen: Wie lenkt man im Eiskanal?

Vorn an der Rodel gibt es zwei Hörnchen. Wenn Kindl mit dem Bein auf das rechte drückt, lenkt die Rodel nach links. Immer in die Richtung, in die er Druck ausübt. Die Fläche, auf der er liegt, nennt sich Schale. Bei der Lenkung ändert sich die Gewichtsverlagerung. "Ich gebe hinten auf der Schale Druck", sagt Kindl. Dadurch verwindet sich die Rodel und lenkt ein.

Meide die Bande

Aber das geht doch alles viel zu schnell. Im Fernsehen kommen Rodelrennen hektisch daher, eine Kurve folgt auf die nächste. Worauf sollte man achten? Kindl hat drei Tipps. Der erste: "Die Vorlage lässt sich gut erkennen." Das ist geschickt, Kindl beginnt mit einer seiner Stärken. Er schafft es nämlich oft so gut wie kein Zweiter, den Kopf weit nach hinten zu lehnen. Dadurch sieht er nicht, wohin er fährt, aber es verringert den Luftwiderstand. Wenn die Linie passt, nimmt er viel Tempo aus den Kurven mit.

Auch auf Eisspritzer muss man schauen, sagt Kindl. Würde er bei einer Linkskurve in der Ausfahrt zu weit nach rechts kommen, müsste Kindl die Rodel kurz querstellen. Das wirbelt Eispartikel auf. Es bremst, Kindl verliert. Sein dritter Hinweis ist der logischste: "Gegen die Bande fahren ist auch nicht gut."

Im Doppelsitzer ist das Lenken noch komplizierter. Miteinander reden ist während der Fahrt nicht möglich, sagt Thomas Steu. Gemeinsam mit Hintermann Lorenz Koller ist er Goldkandidat. "In manchen Kurven braucht es einen festen Lenkeinsatz, dann hilft mir Lorenz", sagt Steu. Vor jedem Lauf sprechen sie ab, wo es zusätzlichen Druck auf dem Hörnchen braucht. In Yanqing ist das an zwei Stellen der Fall. Abgesehen davon drückt Steu allein, Koller arbeitet an Ein- und Ausfahrt einer Kurve mit den Schultern.

Rennrodeln wie Formel 1

Gelingt Kindl eine Kurve nicht, sieht er sich Filmmaterial der Fahrten der Konkurrenz an. Im stark verlangsamten Video sucht er nach deren Lenkpunkten. Er erkennt sie anhand der Stellung der Füße: Zeigen sie weiter nach innen als sonst, ist das ein Zeichen für den Druckpunkt.

Kindl vergleicht Hobbyrodeln mit dem Autofahren. Das, was er macht, sei dann die Formel 1. "Die Rennrodel ist ein Hightechgerät." Grob gesagt funktioniert der Sport, weil sich durch die Reibung der Schiene auf dem Eis ein Wasserfilm bildet. Je wärmer die Schiene, umso besser gleitet sie. "Jedes Zehntelgrad hilft", sagt Kindl. Deshalb ist die Höchsttemperatur vorgeschrieben. In jedem Rennen versucht Kindl, diese auszureizen. Wenn seine Schienen zu heiß sind, wird er noch vor dem Start disqualifiziert.

Erfolg im Rodeln hängt stark mit dem Material zusammen. Viel Geld fließt in Forschung und Entwicklung, eine Rodel kostet rund 20.000 Euro. "Die Kanteneinstellung ist das Wichtigste", sagt Madeleine Egle. Sie ist aktuell Österreichs schnellste Rennrodlerin, Zweitplatzierte der abgelaufenen Saison.

"Die Temperatur entscheidet", sagt Egle. Wenn es kalt ist, braucht es schärfere Kanten. Denn das Eis ist dann hart und rutschig, da braucht es Halt. Die Schiene ist in einem steileren Winkel eingestellt. Der Nachteil: Scharfe Kanten sind langsamer. Egle schraubt selbst an ihrer Rodel, "die groben Dinge erledigen meine Trainer".

Tief gestapelt

Am Samstag beginnen auf der 2,5 Milliarden US-Dollar teuren Bahn von Yanqing die olympischen Bewerbe mit den ersten zwei Läufen im Einsitzer der Männer. Neben Kindl gehen Olympiasieger David Gleirscher und dessen Bruder Nico an den Start. Anders als im Weltcup kommen vier Läufe in die Wertung. Die Entscheidung fällt am Sonntag.

Am Montag und Dienstag sind die Frauen dran, am Mittwoch läuft der Doppelsitzer-Bewerb über zwei Durchgänge. Am Donnerstag gibt es noch die Team-Staffel. Der Verband hat zwei Medaillen als Ziel ausgegeben. Das ist tief gestapelt, immerhin hat Österreich in dieser Saison in jeder olympischen Disziplin bereits ein Rennen gewonnen.

Österreichs Cheftrainer René Friedl freut sich, dass im Team "alles auf Schiene" ist. "Die Athleten sind gut vorbereitet, wir haben Topmaterial." Vor vier Jahren in Pyeongchang gab es neben Gold von David Gleirscher noch Silber im Doppelsitzer (Peter Penz / Georg Fischler) sowie Bronze durch die Staffel.

"Die Bahn von Yanqing ist spannend, es sind einige Tücken dabei", sagt Kindl. "Für Zuschauer schaut es einfach aus, das ist es aber nicht. Wir sind mit über 130 km/h unterwegs." Und damit die schnellste Sportart auf Eis. Zumindest bis die Bobrennen starten. (Lukas Zahrer, 5.2.2022)

Mehr zu Olympia 2022

Kalender und alle Ergebnisse
Medaillenspiegel und Entscheidungen des Tages