Von Anton Wilhelm Amo selbst ist kein Abbild überliefert. In Berlin soll zu seinen Ehren die zentral gelegene Mohrenstraße umbenannt werden. Noch ist kein Schild getauscht.

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In gängigen Philosophielexika wird man den Namen Anton Wilhelm Amo nicht finden. Das liegt einerseits daran, dass seine Texte und Gedanken nur fragmentarisch erhalten sind. Mehr noch hat es aber damit zu tun, dass sein Wirken dem geistigen Establishment des 18. und 19. Jahrhunderts, das den Kanon schrieb, als zwar zweifellos erstaunlicher, aber doch nicht gerade nachahmungswürdiger Betriebsunfall galt: Anton Wilhelm Amo war als verschleppter Sklave der erste Afrikaner, der an einer europäischen Universität einen Doktortitel erhielt und als Lehrender in Deutschland Philosophie unterrichtete.

Er wurde sowohl gefördert als auch behindert, sowohl totgeschwiegen als auch politisch vereinnahmt. Die Auseinandersetzung mit seinem Andenken wird bis heute kontrovers geführt. In Berlin fordern Aktivistinnen und Aktivisten der Gruppe "Decolonize Berlin" seit 2017 die Umbenennung der vielfrequentierten Mohrenstraße im Bezirk Mitte in Anton-Wilhelm-Amo-Straße. 15.000 Unterschriften sammelten sie zuletzt in einer Petition.

2020 entsprach die Politik dem Begehr, den Beschluss zur Umbenennung fällten SPD, Grüne und Linke. CDU, AfD und FDP waren dagegen, ebenso Initiativen wie "Mohrenstraße bleibt!". Die ersten Schilder hätten eigentlich bereits im Oktober 2021 ausgetauscht werden sollen, doch zahlreiche offiziell eingebrachte Beschwerden gegen die Umbenennung müssen nun einzeln bearbeitet werden, was die Sache um Monate bis Jahre verzögern kann.

Verschleppt und ausgebildet

Unabhängig davon, wie man zur Umbenennungsdebatte steht, lohnt es jedenfalls, sich mit Leben und Werk Amos zu befassen. Er selbst etwa verstand es meisterhaft, Polarisierung zu vermeiden und Kritik so zu üben, dass selbst Gegner ihm Anerkennung zollten. Und natürlich: Hätte er im Deutschland des frühen 18. Jahrhunderts nicht den Weg der Anpassung gewählt – eine Strategie, bei der Amo sich auf den griechischen Philosophen und ebenfalls vormaligen Sklaven Epiktet bezog –, jede Karriere wäre ihm verwehrt geblieben.

Die Geschichte Anton Wilhelm Amos beginnt mit seiner Geburt, vermutlich im Jahr 1703 in Axim im heutigen Ghana. An der sogenannten Goldküste Westafrikas etablierten europäische Kolonialmächte und lokale Herrscher den Sklavenhandel. Schon im Kleinkindalter geriet Amo in die Fänge niederländischer Händler, die ihn vermutlich über den Umweg der Karibik bis nach Amsterdam verschleppten. Dort machte ihn die Handelskompanie dem Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel, Anton Ulrich, zum Geschenk. Die damaligen Herrscherhäuser schmückten sich mit sogenannten "Hofmohren", die etwa als Haussklaven Speisen auftrugen. Anton Ulrich aber ließ das Kind, nach sich und seinem Sohn Wilhelm benannt, evangelisch taufen und ihm die beste Bildung zuteil werden – weniger aus Menschenfreundlichkeit heraus, sondern als Versuch, die Aufklärung in jemandem zum Wirken zu bringen, dem die protorassistische Gesellschaft Vernunftbegabung absprach: Amo wurde vom "Versuchsobjekt zum Vorzeigeobjekt", wie der Biograf Ottmar Ette schreibt.

1729 machte Amo seinen Magister an der Universität Halle (Preußen). In seiner ersten öffentlich vorgetragenen Arbeit, die nur aus dritter Hand überliefert ist, befasste er sich mit der "Rechtsstellung der Mohren in Europa" – ein ungeheuerlicher Akt, von dem vermutet wird, dass er frühe Kämpfer für die Abschaffung der Sklaverei bis hin zu Wilhelm von Humboldt beeinflusste. Promoviert wurde Amo in Wittenberg, wo er über den Leib-Seele-Dualismus schrieb und Ansichten der antiken Stoiker vertrat, wonach Freiheit im Geist auch dann erlangt werden kann, wenn der Körper in Schmerzen und Ketten liegt.

Rückkehr nach Ghana

Amo erwarb sich Zuspruch und durfte in Halle und Jena unterrichten, bis seine finanziellen Ermöglicher starben. Schleichend wurde er so zum freien Mann, ohne je formell seinen Sklavenstatus verloren zu haben. Antirassistisch gelesen werden heute Sätze wie: "Weit gefehlt, dass ein Vorurteil durch Beweisführung beglaubigt werde, es geschieht vielmehr durch bloße Anführung von Beispielen, Zeugen und Zitierung von Zeugnissen."

1746 kehrte Amo auf eigenes Betreiben nach Ghana zurück. Aus der Zeit erhalten ist eine rassistische Schmähschrift, in der sein angebliches Liebeswerben um eine Deutsche verlacht wurde. Nach der Rückkehr verliert sich mythenumrankt die historische Spur. Dem Vergessen entrissen, aber auch politisch instrumentalisiert wurde Amo schließlich in der DDR, die ihm ein Denkmal setzte und zum antikolonialen Freiheitskämpfer stilisierte.

In der Auseinandersetzung um die Berliner Mohrenstraße, die um 1700 entstand und zu deren Namensgebung es viele Theorien gibt, wird u. a. die Meinung vertreten, dass Umbenennungen Geschichte tilgen würden. Dass noch wichtiger als Umbenennung womöglich das Reden darüber sein könnte, ließe sich mit Amo selbst belegen: "Es genügt nicht, die Wahrheit zu sagen, wenn nicht auch die Ursache der Unwahrheit bestimmt wird."

(Stefan Weiss, 5.2.2022)