Benedikt C. hat wieder einen Job. Beim Gehalt hat der Entwicklungsingenieur mit langjähriger internationaler Erfahrung in der Autobranche kräftige Abstriche gemacht. Die Rückkehr nach Graz hat er penibel vorbereitet – mit ehemaligen Kommilitonen Kontakt aufgenommen, sich bei namhaften Firmen beworben, auch an Personalvermittlungsfirmen ist er herangetreten. Er hat lapidare Absage-E-Mails erhalten, sich fragen lassen, warum er mit so "einem vorbildlichen Lebenslauf keine Führungskraft" sei, sich erklären lassen, dass seine Gehaltsvorstellungen unrealistisch seien.

Jetzt ist er froh, dass er nach Monaten eine neue Herausforderung hat: "Irgendwie ist es nicht so lustig, jeden Tag aufs Neue in den Tag zu leben und nicht zu wissen, was übermorgen ist. Aber ich habe die Nachmittage mit meinen Kindern sehr genossen." Angesichts des lautstark beklagten Fachkräftemangels ist er auch enttäuscht, wie ihn die Unternehmen in Österreich empfangen haben. Sehr flexibel seien sie nicht, dabei werde doch so oft betont, wie "händeringend" gute Leute gesucht würden.

Die Zeiten des Überflusses am Arbeitsmarkt sind vorbei. Österreichweit klagen Unternehmen wieder, dass ihnen Arbeitskräfte fehlen.
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Tatsächlich ist die Zahl der offenen Stellen trotz des Umstandes, dass über 400.000 Menschen ohne Job sind auf Rekordhoch (siehe Grafik). In den vergangenen vier Quartalen waren im Schnitt 146.000 Posten unbesetzt. Dienstleistung, Umwelttechnik, Pflege, IT, Verkauf, Tourismus: Kaum ein Bereich bleibt ausgespart.

Christian Grabner, Finanzvorstand und beim steirischen Unternehmen Knapp auch für die Personalagenden zuständig, ist ebenfalls auf der Suche. Der Intralogistikspezialist sorgt etwa für die technischen Mittel, damit Händler ihre Waren auch online verpacken, verteilen und versenden können. Eine Branche, die dank des wachsenden E-Commerce boomt. Dementsprechend rasch wachsen die Steirer und machten sich im Vorjahr auf die Suche nach tausend Fachkräften, 500 davon in Österreich – von technischem Personal über Controller bis zu Produktionsfachkräften. "Mitarbeiter bekommen eine Prämie, wenn sie jemanden mitbringen", sagt Grabner.

Die Zahl der offenen Stellen ist auf Rekordhoch. Den größten Zuwachs gab es im produzierenden Bereich mit einem Plus von 50 Prozent im Jahresvergleich. 2021 waren da durchschnittlich 40.200 Stellen vakant. Selbst der von der Corona-Pandemie 2020 gebeutelte Dienstleistungsbereich verzeichnete 85.400 unbesetzte Stellen. Im öffentlichen Sektor waren im Schnitt 20.400 Stellen ausgeschrieben – ein Plus von 26 Prozent. Besonders häufig gesucht wurden Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für Dienstleistungsberufe, Verkaufspersonal (22 Prozent) sowie in Handwerksbetrieben (19,4 Prozent).
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Mittlerweile sei das durchaus üblich, bestätigt FACC-CEO Robert Machtlinger. Machtlinger sucht in Oberösterreich – einem Hotspot des Fachkräftemangels – derzeit ebenfalls 200 Leute. Nachdem der Luftfahrtzulieferer Ende 2020 seine Belegschaft in Österreich drastisch reduziert hat, geht es wieder bergauf. Im Innviertel, einer Ecke mit vielen Industrie- und Gewerbebetrieben, ist das Griss um die besten Köpfe seit Jahren hoch.

Man hat sich einiges überlegt, Dinge wie eine eigene Ausbildungsakademie oder Werben via Plakat. Werkskantine, hauseigener Kindergarten, Homeoffice und angemessene Gehälter zählt Knapp-Mann Graber auf. Knapp kann sich das als florierendes Unternehmen leisten. Kleinere Betriebe, die über geringere finanzielle und personelle Ressourcen verfügen, haben es da deutlich schwerer.

Mangel auch in Zukunft

Andere haben noch nicht realisiert, dass es angesichts des demografischen Wandels nicht einfacher wird. Die Statistik Austria rechnet damit, dass bis 2030 die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter um 170.000 Personen abnehmen wird. Ob Industrie- Handel- oder Gewerbebetrieb: kaum eine Branche, die nicht klagt, dass Leute fehlen.

So mancher Betrieb sieht sich angesichts des Mangels zunehmend mit mutigen Gehaltsforderungen konfrontiert.
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"Der Fachkräftemangel wird uns noch lange beschäftigen", prognostiziert auch Werner Steinecker. Der Initiator von zukunft.lehre.österreich und Generaldirektor der Energie AG Oberösterreich will eine Debatte zur Modernisierung der Lehre anstoßen. Das Credo: Man muss sich rechtzeitig um den Nachwuchs kümmern.

Steinecker fordert einen Lehrlingsbeauftragten auf Regierungsebene. Dort packt Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) das Problem auf mehreren Ebenen an. Weiterbildung und Anreize zur Mobilitätssteigerung von Arbeitssuchenden, ein Fachkräftebarometer, das Nachfrage und Angebot besser abbilden soll, sowie Bemühungen des AMS, Nachfrage und Angebote effizienter zusammenzubringen. David Pfarrhofer hält auch ein zeitgemäßeres Image der Lehre für nötig. Die Bezeichnung Lehre würde der Marktforscher (Market) am liebsten in der Mottenkiste versenken, um die Attraktivität zu erhöhen. Anziehen will man auch Arbeitskräfte aus dem EU-Ausland, dabei soll die neuerliche Ausweitung der Mangelberufsliste helfen.

Mutige Gehaltsforderungen

So mancher Betrieb sehe sich angesichts des Mangels jedenfalls zunehmend mit mutigen Gehaltsforderungen konfrontiert, sagt Conrad Pramböck. Pramböck, der auch in Entgeltfragen berät, weiß von Firmen, die schon lange vergeblich suchen. Da kämen junge Leute mit Gehaltswünschen, die das Salär altgedienter Mitarbeiter mit langjähriger Erfahrung deutlich übersteigen.

In manchen Bereichen seien die Gehälter ohnehin schon kräftig gestiegen: Für Finanzer gelte es nun 50.000 Euro Jahresgehalt anstatt 45.000 zu bemessen, ein sattes Plus von elf Prozent. Mancher Betrieb entscheide sich lieber, die eine Person einzustellen statt drei. Man kalkuliere dann mit einem Jahresgehalt von 120.000 anstelle von dreimal 40.000. Dementsprechend viel wird erwartet.

Arbeiten, aber nicht bis zum Umfallen, das wollen viele junge Menschen.
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Benedikt C. ist mit seiner Gehaltsforderung abgeblitzt. Man habe sie ihm regelrecht vorgeworfen, sagt er. Robert Machtlinger macht die Erfahrung, dass sich mittlerweile gar nicht so wenige ausbedingen, von Montag bis Donnerstag arbeiten zu wollen. Aber ja, "auch ein ordentliches Gehalt wollen die Leute", sagt Machtlinger.

Berater Pramböck macht eines Sorgen: Junge Menschen wollen am Freitag frei haben und keine Überstunden machen. "Während früher beim Erstgespräch verschämt gefragt worden ist, ob man einmal in der Woche früher gehen könne, ist es jetzt Teil des Erstgesprächs, ob Teilzeit möglich ist." Die Jungen sagten sich, sie könnten sich ohnehin nichts mehr aufbauen: "Aber wer macht dann die Arbeit?"

Reserven am Arbeitsmarkt

Wifo-Ökonom Benjamin Bittschi hat dazu einige Ideen. Teilzeit- in Vollzeitjobs ummünzen, stille Reserven heben, für gesündere Verhältnisse in der Arbeit sorgen. Und wie sieht es mit steigenden Löhnen aus? Schlägt sich der Fachkräftemangel nicht in den Salären der Beschäftigten nieder? Nicht überall, meint Bittschi. Betrachtet man die Summe aller Löhne und Gehälter in der Volkswirtschaft, habe es im letzten Jahrzehnt (2010-2020) kaum Zuwächse gegeben: Der jährliche reale Zuwachs der Bruttolöhne ist mit 0,2 Prozent mickrig, bei den Nettogehältern sieht es mit 0,3 Prozent nicht besser aus.

Mit ein Grund: die Nachwehen der Wirtschafts- und Finanzkrise und die EU-Ostöffnung. Während vor 2010 Deutschland und Italien mit rund 100.00 Beschäftigten am heimischen Arbeitsmarkt viel Gewicht hatten, kamen im Vorjahr rund 130.000 aus Deutschland und Italien. Von den 350.000 Beschäftigten aus dem Ausland insgesamt stammt der überwiegende Teil aus den "neuen" EU-Mitgliedsstaaten. "Das hat auch zu einem gewissen Lohndruck geführt", so Bittschi.

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Bittschi entnimmt seinen Zahlen aber auch einen Trend, der mit dem Fachkräftemangel zu tun haben dürfte: Bei den Lehrlingen im Handel oder bei den Metallern stiegen bei den jüngeren Kollektivvertragsverhandlungen die Löhne überdurchschnittlich. Auch in jenen Bereichen, die oft mit Personalmangel und geringen Löhne in Verbindung gebracht werden, etwa in der Gastronomie oder in Gesundheitsberufen, ist seit 2010 das höchste Wachstum der Bruttostundenverdienste (1,3 Prozent bzw. 1,2 Prozent pro Jahr) zu verzeichnen – wenn auch auf niedrigem Lohnniveau.

Wachsen die Löhne angesichts des Drucks am Arbeitsmarkt in den Himmel? Bittschi sieht da durchaus Grenzen. Dass die Gehälter steigen, wenn nur der Leidensdruck bei den Firmen groß genug ist, könnte eine Fehleinschätzung sein. Dienstleistungen seien noch wenig automatisiert.

An den Supermarktkassen weht der Hauch der Zukunft immer öfter. Die Zahl der Selbstbedienungskassen steigt. Benedikt C. findet, die Betriebe müssten flexibler werden. Dem Hinweis "Ich muss schnell heim, weil die Nachmittagsbetreuung meines Kindes ausgefallen ist" würde hierzulande gekontert: "Warum macht das nicht Ihre Frau?" C. hält das für überkommen. Gut möglich, dass er mit seiner Familie weiterzieht. (Regina Bruckner, Nicolas Dworak, 5.2.2022)