Was es jetzt bräuchte, wäre ein "Whatever it takes" von Frau Lagarde, sagt Gabriel Felbermayr, der Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, im Gastkommentar.

Die EZB belässt den Leitzins bei null Prozent. EZB-Chefin Christine Lagarde schloss aber Zinserhöhungen nicht als "sehr unwahrscheinlich" aus.
Foto: EPA / Thomas Lohnes

Plötzlich ist die Teuerung zurück. Noch nie in der Geschichte der europäischen Währungsunion war die Inflationsrate so hoch. Im Jänner 2022 steht sie bei 5,1 Prozent. Und auch in Österreich liegt sie so hoch wie seit mehr als 37 Jahren nicht. Aktuelle Umfragen weisen die Geldentwertung als die am häufigsten genannte Sorge der Bevölkerung aus, vor allem in deutschsprachigen Ländern.

Doch die Europäische Zentralbank (EZB) setzt, von kosmetischen Korrekturen abgesehen, ihre Anleihekaufprogramme fort und sendete auch in dieser Woche noch viel zu zögerliche Signale. Wirklich klare Worte über eine Abkehr von der Nullzinsstrategie im laufenden Jahr waren nach wie vor nicht zu hören.

"Inflation führt zu ungeplanter Umverteilung."

Hohe Inflation stört das Funktionieren einer Marktwirtschaft. Denn sie vernebelt die Preissignale. Käuferinnen und Verkäufer können nicht mehr unterscheiden, ob der für sie relevante Preis deshalb steigt, weil sich auf ihrem Markt die Bedingungen verändern, oder ob er sich einfach mit dem allgemeinen Preisniveau nach oben bewegt. Kauf- oder Investitionsentscheidungen richten sich nicht mehr an den realen Bedingungen aus. Die Folge ist langsames Wachstum.

Außerdem macht Inflation ja gerade deshalb Angst, weil die Menschen fürchten, dass ihre Einkommen nicht mit der Preisentwicklung mithalten. Das betrifft sehr häufig ganz besonders ärmere Haushalte. Sie haben wenig Ersparnisse, die als Buffer dienen können. Sie setzen sich in Lohnverhandlungen weniger schnell durch. Und sehr häufig werden gerade jene Güter, für die arme Haushalte hohe Anteile ihres Geldes ausgeben, besonders schnell teurer. Das ist aktuell der Fall, besonders bei Energie. Auch wer seine Ersparnisse in das Sparbuch oder in Anleihen gesteckt hat, verliert. Inflation führt also zu ungeplanter Umverteilung. Und die kann heftig ausfallen, wenn die Preise stark steigen.

Was Geldpolitik tun kann

Kein Wunder, dass Inflationsepisoden in der Geschichte daher oft mit sozialen Unruhen und niedrigem Wachstum einhergehen. Genau deshalb ist es die primäre Aufgabe der EZB, die Inflation niedrig zu halten. Die Zentralbanken tun sich aktuell aber schwer, weil sich angebots- und nachfrageseitige Effekte nicht sauber trennen lassen.

Wenn zu viel Liquidität im Umlauf ist, zum Beispiel durch eine lockere staatliche Budgetpolitik, durch exzessive Kreditvergabe der Banken oder weil die Menschen aus Angst vor Geldentwertung ihre Ersparnisse in reale Güter umwandeln wollen, dann kann die Zentralbank durch Anhebung der kurzfristigen Zinsen diesen nachfrageseitigen Inflationsdruck verringern.

Wenn aber die Preise deshalb steigen, weil sich das Angebot wichtiger Waren verknappt, zum Beispiel aufgrund geostrategischer Spannungen, einer Missernte oder einer Pandemie, dann kann die Geldpolitik wenig machen. Keine Geldpolitik der Welt kann aus sich heraus verhindern, dass uns solche Verwerfungen ärmer machen. Denn eine Anhebung der Zinsen sorgt nicht für zusätzliche Güter auf den Märkten. Im Gegenteil, sie verteuert Investitionen und somit Kapazitätsausweitungen.

Zielwert zwei Prozent

In den USA ist die Inflation eher nachfrageseitig getrieben, daher kündigt die Federal Reserve bereits Zinsschritte an. In Europa überwiegen angebotsseitige Effekte, daher zögert die EZB. Das könnte ein fataler Fehler sein. Denn der angebotsseitige Anstoß der Dynamik kann nachfrageseitige Dynamiken auslösen, die nur mit drastischen Maßnahmen gestoppt werden können.

"Die Inflation wird länger als erwartet hoch bleiben, wird sich aber im Jahresverlauf abschwächen."
EZB-Chefin Lagarde am Donnerstag.

Die EZB muss die Erwartungen klug steuern. Wenn Gewerkschaften weiter hohe Preissteigerungsraten erwarten, werden sie versuchen, höhere Löhne durchzusetzen, was die Kosten und mithin die Preise treibt und die Inflation erst recht anheizt. Und wenn Käufer in Erwartung höherer Preise ihre Käufe vorziehen, dann lösen sie nachfrageseitige Inflationsimpulse aus. Um die Dynamik solcher sich selbst erfüllender Erwartungen im Keim zu ersticken, müsste die EZB sofort und unmissverständlich klarmachen, dass sie bereit ist, im Notfall alle verfügbaren Mittel einzusetzen, um die Inflation auf den Zielwert von zwei Prozent zu zwingen. Was es jetzt bräuchte, wäre ein "Whatever it takes" von Frau Lagarde.

Davon war nach der zinspolitischen Sitzung des EZB-Rats am Donnerstag aber noch immer nichts zu hören. In Europa gibt es nämlich noch ein weiteres Problem. Wenn die Zinsen steigen, setzt das vor allem Länder mit hohen Staatsschulden wie Italien, Frankreich oder Portugal unter Druck. Kurioserweise haben gerade diese Länder aktuell die niedrigeren Inflationsraten, sodass eine Straffung der Geldpolitik dort kaum erforderlich ist.

Preistreiber Energiewende

Und dann gibt es noch den Preistreiber Energiewende. Wenn schmutzige fossile Energieträger politisch gewollt teurer werden, andere Preise aber nicht sinken, dann kommt es zu Inflation. Der Staat kann aber die Kaufkraft stützen, indem er die saubere Energie in Form von elektrischem Strom durch Absenkung von Abgaben verbilligt. Das reduziert den allgemeinen Preisdruck und verstärkt die Anreize für den energetischen Umbau. Oder er kann, wie in Österreich, die Erträge aus der CO2-Bepreisung an die Menschen zurückgegeben. Dann fehlt zwar der preisdämpfende Effekt, aber die Kaufkraft wird dennoch erhalten, weil mehr Einkommen zur Verfügung stehen.

Was aber keinen Sinn macht, ist das Austeilen von schuldenfinanzierten Finanzzuschüssen mit der Gießkanne. Das ist sozialpolitisch wenig zielgerichtet und erhöht die verfügbaren Einkommen, was wiederum den Inflationsdruck steigen lässt. Noch schlechter wären allerdings Preiskontrollen. Sie lassen knappe Güter künstlich billig aussehen, was die Nachfrage weiter anheizt und die Anreize zur Produktionsausweitung schmälert. Sie verschärfen bloß den Mangel. Anstatt des Preises entscheiden dann Netzwerke oder die Ellenbogen, wer in den Genuss der knappen Güter kommt.

Der Schlüssel zur nachhaltigen Bekämpfung der Inflation liegt bei der Zentralbank. Umso unvermeidbarer scheint eine Zinswende der EZB. Hoffentlich sendet Präsidentin Lagarde noch rechtzeitig entschlossenere Signale. (Gabriel Felbermayr, 5.2.2022)