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US-amerikanisches Armeepersonal und Ausrüstungsgegenstände sind in Polen angekommen.

Foto: REUTERS/Kuba Stezycki

Noch hat sich Wladimir Putin nicht entschieden, ob und wie er seine Truppen an der Grenze zur Ukraine einsetzen wird. Das wurden die Verantwortlichen in der US-Regierung bei einem Treffen mit Abgeordneten und Senatorinnen nicht müde zu betonen. Doch sollte sich der russische Präsident für die extremste Option – nämlich den Einmarsch in die Ukraine – entscheiden, dann hätte das verheerende Folgen. In dem sechsstündigen Briefing hinter verschlossenen Türen nannten die hochrangigen US-Beamten laut Informationen der New York Times auch Zahlen.

Es sollen sich 70 Prozent der Truppen in der Grenzregion befinden, die Russland für einen Einmarsch benötigt. US-Geheimdienste beziehen ihre Informationen von Satellitenbildern und Kommunikation innerhalb der russischen Armee. In kurzer Zeit könnte das Militär die ukrainische Hauptstadt Kiew einkesseln oder einnehmen und den demokratisch gewählten Präsidenten Wolodymyr Selenskyj aus dem Amt jagen.

Dabei würde es sich um die größte Militäraktion an Land auf dem europäischen Kontinent seit Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 handeln. Die Folge: der mögliche Tod von 25.000 bis 50.000 Zivilpersonen, 5000 bis 25.000 ukrainischen Armeeangehörigen sowie zwischen 3000 und 10.000 russischen Soldaten, rechnen die US-Geheimdienste vor. Außerdem würden Millionen Menschen ihre Häuser verlassen und eine große Fluchtbewegung auf dem europäischen Kontinent verursachen. Vor allem Polen wäre das erste Anlaufland für die fliehenden Menschen aus der Ukraine.

Russland: "Panikmache"

In der Nacht auf Sonntag, kurz nachdem die Details des US-Briefings bekannt geworden waren, reagierte Russland in Person des stellvertretenden UN-Botschafters Dmitry Polyanskiy. Wie es bereits in den vergangenen Wochen die Strategie des Kreml war, wies der Diplomat alle Vorwürfe zurück, dass Russland in die Ukraine einmarschieren könnte. "Wahnsinn und Panikmache gehen weiter", twitterte Polyanskiy: "Was wäre, wenn wir verlautbarten, dass die USA London in einer Woche einnehmen könnten und 300.000 Zivilisten sterben würden?" Zwar würden entsprechende Geheimdienstinformationen existieren, doch würde sie der Kreml nicht veröffentlichen. Denn das wäre genauso falsch wie die Veröffentlichung der Szenarien im Fall von Russland und der Ukraine, schrieb der stellvertretende Botschafter.

In der Ukraine trainiert das Militär auch in der radioaktiv verseuchten Zone rund um das havarierte Atomkraftwerk Tschernobyl. Ein Einmarsch der russischen Truppen von Belarus aus über das Sperrgebiet wird in Kiew als ein mögliches Bedrohungsszenario gehandelt. Kiew liegt nur rund 70 Kilometer von Tschernobyl sowie etwas mehr als 80 Kilometer von der belarussischen Grenze entfernt.

Erste Soldaten in Polen

Der Westen folgt weiterhin dem Pfad der Diplomatie, um die Krise zu entschärfen. Mehrere Staats- und Regierungschefs verhandeln auf der einen Seite mit Russland und demonstrieren auf der anderen Seite Solidarität mir der Regierung in Kiew. Am Montag soll Frankreichs Präsident Emmanuel Macron seinen russischen Amtskollegen Putin treffen. Deutschlands Kanzler Olaf Scholz weilt in Washington.

Auch die Nato-Staaten in der Region erhalten Unterstützung von den USA. Am Wochenende landeten US-Truppen in Polen. 1.700 Armeeangehörige sollen auf das Gebiet des Nato-Verbündeten verlegt werden, weitere 300 nach Deutschland, und von dort sollen sich tausend US-Armeeangehörige Richtung Rumänien aufmachen. Damit soll die Ostflanke des Militärbündnisses gestärkt werden.

Auch Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) reist in die Ukraine. Gemeinsam mit seinen Amtskollegen aus der Slowakei und Tschechien besucht er die prorussischen Separatistenregionen Donezk und Luhansk. Anschließend sollen die drei Diplomaten mit Präsident Selenskyj und Außenminister Dmytro Kuleba in der Hauptstadt Kiew über den Konflikt sprechen. (Bianca Blei, 6.2.2022)