Kronenquallen leben in bis zu 7.000 Metern Tiefe. In ihrem Lebensraum, und noch weiter unten, wimmelt es nur so von unbekannten Mikroorganismen.

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Die Meere bilden den größten Lebensraum der Erde und beherbergen von der Tiefsee bis in die seichten Küstengewässer eine schier unüberblickbare Artenvielfalt. Große Teile dieser Wasserwelt sind wissenschaftlich noch völlig unerschlossen, die Tiefsee ist weniger gut erforscht als die Oberfläche des Mondes. Fest steht: Dort unten spielt sich so einiges ab – und wir wissen sehr wenig darüber.

Auf dem Meeresgrund in Tiefen von bis zu 10.000 Metern ist eine Vielzahl unterschiedlicher Mikroorganismen damit beschäftigt, organische und anorganische Stoffe zu recyceln oder zu binden. Ihre Arbeit ist von größter Bedeutung, sagt Angelika Brandt vom Senckenberg-Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt: "Dieses Leben auf den Tiefseeböden ist als Grundlage für zwei wichtige Ökosystemleistungen von gesamtplanetarischer Bedeutung: das gesunde Funktionieren der Nahrungsnetze in den Ozeanen und das Binden von atmosphärischem Kohlenstoff. Beides beeinflusst unser Weltklima entscheidend."

Milliarden DNA-Sequenzen

Um mehr Licht ins dunkle Tiefsee-Treiben zu bringen, hat Brandt gemeinsam mit einem internationalen Forschungsteam eine genetische Abschätzung unternommen. Die Expertinnen und Experten analysierten zwei Milliarden DNA-Sequenzen, die aus Proben von 15 Tiefsee-Expeditionen entnommen werden konnten. Die Proben stammen aus allen großen Ozeanbecken und erhärten einen Verdacht: Sie lassen erahnen, wie gering unser Wissen über das Leben in der Tiefsee ist.

"Wir haben diese Tiefsee-DNA-Sequenzen mit allen uns bekannten und verfügbaren Referenzsequenzen verglichen," sagt Brandt. "Unsere Daten zeigen, dass fast zwei Drittel der auf dem Tiefseeboden lebenden Organismen keiner bislang bekannten Gruppe zugeordnet werden können." Neben bekannten Arten wie Amöben, Fadenwürmern und Wimperntierchen fanden sich zahlreiche Gensignaturen von völlig unbekannte Spezies.

Ökosystem unter Druck

Das Wissen um diese Lebewesen und die Zusammensetzung ihres Ökosystems sei auch für uns Menschen von großer Bedeutung, schreibt das Forschungsteam im Fachblatt "Science Advances". Denn diese Organismen tragen zur Bindung des atmosphärischen Kohlendioxids bei – und spielen damit auch bei der Regulierung des globalen Klimas eine Rolle. "Es ist wichtig, das zu verstehen und dann auch entsprechende Schutzmaßnahmen ergreifen zu können", sagt Brandt. Denn das Ökosystem Tiefsee stehe unter enormen Druck: Steigende Wassertemperaturen, Öl- und Gasexploration, Schleppnetze sowie Verschmutzung würden das Leben in den Tiefen der Meere immer stärker beeinflussen. (dare, red, 7.2.2022)