Schreien kann durchaus heilsam sein – und ein politisches Zeichen, wie Frauen in den USA zeigen.

Einfach mal laut losschreien und den ganzen Frust rauslassen, der sich in zwei Jahren Pandemie angestaut hat: Danach ist wohl schon einigen Müttern zumute gewesen.

Sarah Harmon, Therapeutin, Yogalehrerin und Mutter zweier Kinder, hat es getan. Sie packte ihre Freundinnen ein, die Frauen fuhren abends zu einem leeren Parkplatz – und dann ging es los: "Wir haben uns im Kreis aufgestellt, mit Abstand, und fünfmal geschrien", schildert die US-Amerikanerin dem deutschen "Spiegel".

Bilder und Videos des sogenannten "primal mom scream" gingen um die Welt, Mütter in anderen Ländern taten es den Frauen gleich. Das Schreien sei eine Art Ventil, habe einen heilsamen Effekt, erklärt die 39-Jährige, die mit ihrer Familie in Boston, Massachusetts, lebt.

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Es steckt aber auch ein durchaus feministisches Anliegen hinter der Aktion. So wollte Harmon ins Bewusstsein rufen, wie viel Mehrarbeit Mütter in der Pandemie leisten: Sie arbeiten öfter von zu Hause aus und stehen parat, wenn es darum geht, das Kind in Quarantäne zu betreuen. Sie tragen auch häufiger die "Mental Load", also behalten den Überblick über alle nervigen kleinen Aufgaben im Alltag – von den sauberen Sportsachen über den Schnelltest bis hin zum Geschenk für den Kindergeburtstag. Der Ärger darüber muss irgendwie raus.

Angst, Wut, Verzweiflung

Der erste Schrei, den die Frauen losließen, war jedoch nur zum Aufwärmen. Der zweite galt dann dem Alltagsfrust, der dritte dem Loslassen. Zum vierten Mal schrien sie für all jene, die nicht mitschreien konnten, weil sie den Haushalt schupften oder in Quarantäne saßen. Am Ende konnte jede Teilnehmerin so lange und so laut schreien, wie sie Lust hatte. Harmon leitete die Gruppe mit leuchtenden Einhörnern an – Spielzeuge ihrer Töchter.

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Auf die Idee zu dieser Aktion brachten Harmon ihre Klientinnen. Vor zwei Jahren gründete die Therapeutin nämlich die "School of Mom", in der sie erschöpfte Mütter berät. In vielen Gesprächen sei von Angst, Wut und Verzweiflung die Rede – Gefühle, die sich in den letzten Monaten angestaut und für die die Frauen kein Ventil hätten. Harmon kann diese Gefühle selbst gut nachempfinden. Ihre zwei Töchter – drei und fünf Jahre alt – würden sie regelmäßig "wahnsinnig" machen, verriet sie der "New York Times".

Übrigens: Wer sich in der Öffentlichkeit zum Schreien treffen will, dem sei angeraten, vorher der Polizei Bescheid zu geben. Bei ihnen, sagt Harmon, hätten die Beamtinnen und Beamten großes Verständnis gehabt. Wahrscheinlich vor allem die Beamtinnen. (Lisa Breit, 7.2.2022)