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Dutzende Politikerinnen, Geschäftsleute, Journalisten und NGOs wurden in den vergangenen Jahren per Spitzelsoftware durchleuchtet. Zum Einsatz kam dabei die Pegasus-Software des israelischen Unternehmens NSO.

Foto: AP Photo/Sebastian Scheiner

Wie viel sich doch in zwei Wochen verändern kann. Das musste auch Israels Polizeiminister Omer Bar-Lev erfahren, als ein Investigativjournalist des israelischen Calcalist in der Montagsausgabe des Blatts die Bombe platzen ließ: Dutzende Politikerinnen, Geschäftsleute, Journalisten und NGOs wurden in den vergangenen Jahren per Spitzelsoftware durchleuchtet. Die Polizei, so berichtet Calcalist, hat sich ohne Gerichtserlaubnis in die Handys der Betroffenen gehackt, um private Gespräche, Internetaktivitäten und sensible Daten abzusaugen.

Zum Einsatz kam dabei demnach die Pegasus-Software des israelischen Unternehmens NSO. Unter den Betroffenen der Spitzelei: Mehrere wichtige Belastungszeugen in der Korruptionscausa rund um den früheren Premierminister Benjamin Netanjahu, aber auch Netanjahus älterer Sohn Avner. Wobei die von diesem Telefon ausgehenden Nachrichten darauf hindeuten sollen, dass sie wenigstens zum Teil von einer weiblichen Absenderin verschickt wurden. Laut Calcalist habe die Polizei Netanjahus Ehefrau Sara als Nutzerin des Handys gesehen. Außerdem auf der Liste der Ausgespähten: die Generaldirektoren mehrerer Ministerien, Vertreter einer Interessenvertretung von Menschen mit Behinderungen, mehrere Konzernmanager und Bürgermeister.

Ermittlungsverfahren eingeleitet

Noch vor zwei Wochen hatte der Polizeiminister in Interviews versichert: "Alles unwahr." Damals hatte der Calcalist über den Einsatz der Spitzelsoftware bei Aktivisten und Aktivistinnen berichtet. Ein Ermittlungsverfahren war damals eingeleitet worden, und erste Ergebnisse hätten keinen einzigen Vorwurf erhärtet, erklärte Bar-Lev.

Zwar gab die Polizei schon damals zu, dass man die Pegasus-Software verwende. Allerdings ausschließlich auf legale Weise, so wurde betont – also nur gegen Tatverdächtige schwerer Verbrechen und nur unter gerichtlicher Aufsicht.

Israel, die einzige Demokratie im Nahen Osten, als Spitzelstaat? Diese extreme Fantasie kam bei manchen Beteiligten am Montag zur Sprache. So fühlte sich eine der mutmaßlich Ausgespähten, die frühere Generaldirektorin des Justizministeriums Emmy Palmor, an das Securitate-Unwesen in der rumänischen Ceaușescu-Diktatur erinnert.

U-Ausschuss geplant

Premierminister Naftali Bennett versprach rasche Aufklärung. "Diese Berichte deuten auf eine sehr ernste Lage hin, die in einer Demokratie nicht akzeptabel ist. Diese Cyberwaffen wurden entwickelt, um Terrorismus und schwere Verbrechen zu bekämpfen, nicht um sie gegen Bürger einzusetzen."

Ein Untersuchungsausschuss soll sich schon ab kommender Woche der Affäre widmen.

Zudem soll die am Montag vom Kabinett nominierte künftige Generalstaatsanwältin, Gali Baharav-Miara, die strafrechtlichen Ermittlungen beaufsichtigen.

Schon jetzt werden Rufe nach gesetzlichen Änderungen laut. Pegasus und ähnliche Überwachungstools sollte man genauso streng regeln wie Waffengebrauch, forderte etwa Umweltministerin Tamar Zandberg von der Linkspartei Meretz am Montag.

Es stellt sich aber auch die Frage der politischen Einflussnahme durch Netanjahus Regierung auf strafrechtliche Ermittlungen. Zuständiger Polizeiminister im Untersuchungszeitraum war zuletzt Amir Ohana von Netanjahus Likud-Partei. Er zählte zu den engsten Verbündeten Netanjahus, wenn es um lautstarke Attacken auf die Justiz ging. Ab dem Moment der Anklageerhebung gegen ihn bezichtigte Netanjahu den Justizapparat wiederholt, einen "tiefen Staat" gebildet zu haben. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 7.2.2022)