Zuvor waren die Verurteilten im berüchtigten Gefängnis Korydallos gewesen.

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Gut, das Polizeipräsidium in Chania auf der Insel Kreta ist nicht unbedingt mit dem Hochsicherheitsgefängnis Alcatraz zu vergleichen. Trotzdem: Die fünf Männer, die Montagfrüh aus dem winzigen Toilettenfenster kletterten, sorgten am Tag danach für äußerst verdutzte Polizistengesichter. Die fünf Häftlinge – vier Albaner und ein Pakistaner – waren am Samstag auf die Insel gebracht worden, um später ins Gefängnis Agia überstellt zu werden. Doch weil dieses am Wochenende keine Insassen aufnimmt, durften sie in den Zellen der Wachstube bleiben, was vielleicht doch keine so gute Idee war.

Denn der Ausbruch der fünf Schwerverbrecher sorgte für Alarmstimmung auf Kreta. Die Polizei musste auf der gesamten Insel Autos kontrollieren und errichtete Straßensperren, auch die Häfen wurden blockiert und durchsucht. Den Sicherheitskräften ging es nicht nur darum, die durchaus gefährlichen Männer wiedereinzufangen, sondern auch ihr schwer angeschlagenes Image wiederherzustellen. Wie konnte es nur passieren, dass ein Mörder, ein Räuber und drei Drogendealer so einfach aus der Zelle hinausklettern konnten?

Über den Hof spaziert

Lokalen Medien zufolge schafften sie es etwa um zwei Uhr nachts, den Sicherheitsriegel der Tür aus der Wand zu brechen, mit diesem zersägten sie die fetten Metallstäbe vor dem Klofenster und bogen sie einfach nach innen, so als handle es sich um ein bisschen Draht. Sie sprangen daraufhin in den Hof des Polizeipräsidiums, dann über den Zaun und zwar so, dass keiner der Wachebeamten es überhaupt bemerkte.

Den zuständigen Beamten droht ein Disziplinarverfahren. In einer Erklärung sprach der Präsident der Polizeivereinigung von Chania von einem "unglücklichen Moment der Polizei", die in Griechenland Elas genannt wird. Drei der fünf Flüchtigen konnten immerhin am Montagabend in Heraklion festgenommen werden. Sie werden nun auch wegen des Fluchtversuchs vor Gericht gestellt. Sie behaupteten, dass sie nicht wüssten, wo die anderen beiden sich versteckt halten. Der Pakistaner und ein Albaner blieben am Dienstag jedenfalls unauffindbar.

Stadtspaziergang

Die drei wiedergefundenen Verbrecher hatten hingegen ein Auto gestohlen, das sofort auch zur Fahndung ausgesetzt worden war. Sie hatten es in Heraklion einfach abgestellt und schlenderten ungestört durch die Gassen der Stadt, als sie von Polizisten hops genommen wurden. Einer der Männer hatte Cannabis, ein Messer und sogar Heroin bei sich.

Die Elas fuhr auf Kreta für die Suche der Entwichenen das ganz große Gerät auf. Neben der Antiterroreinheit waren auch Experten für die organisierte Kriminalität im Einsatz. Denn der Pakistaner ist ein dreifacher Mörder, einer der Albaner gehörte zu jener Räuberbande, die in der Region Attika für zahlreiche Überfälle verantwortlich ist. Er wurde wegen Beteiligung an einer kriminellen Organisation, tödlichen Raubs, Diebstahls und bewaffneten Raubes verurteilt.

Flucht mit Hubschrauber

Die fünf Männer waren zuvor Medien zufolge im berüchtigten Gefängnis Korydallos eingesessen. Die Justizvollzugsanstalt hatte 2006 und 2009 für große Aufregung gesorgt, weil Griechenlands prominentestem Gangster, dem Bankräuber Vasilis Paleokostas, gleich zwei Mal eine filmreife Flucht mithilfe von Hubschraubern aus dem Sicherheitstrakt gelungen war.

Zu den weltweit berühmtesten Entweichungen von Häftlingen gehört der Fall der 1997 geflüchteten "Pittsburgh Six", die durch einen selbstgegrabenen Tunnel entkamen. In Auckland konnten 1998 vier Männer flüchten, weil sie ein beschädigtes Plexiglasfenster und die Gitter in wochenlanger Arbeit im Duschtrakt entfernen konnten. Die sichtbaren Schnittstellen der Gitter übertünchten sie mit einem farblich passenden Seifengemisch.

Osteraufstand auf Kreta

Das Gefängnis Agia auf Kreta sorgte zuletzt 2019 zu Ostern für Schlagzeilen. Damals kam es in einem Flügel der Haftanstalt zum Aufstand der Insassen, die sich weigerten, zurück in die Zellen zu gehen. Die griechischen Gefängnisse sind insgesamt chronisch überfüllt, immer wieder kommt es zu Misshandlungen, weil die Häftlinge zusammengepfercht leben müssen. Der Europarat fordert deshalb von Griechenland ein Minimum von vier Quadratmetern pro Person. Die allermeisten Insassen sitzen in Griechenland wegen Drogendelikten, an zweiter Stelle steht Raub.

Ein Gutes hatte die jüngste Flucht der Verbrecher auf der Insel Kreta immerhin: Im Zuge der Ermittlungen wurde ein weiteres gestohlenes Auto gefunden. (Adelheid Wölfl, 8.2.2022)