Respektlos schaut er auf die Wölbung in meiner Jacke, genau dorthin, wo die dicken Wollhandschuhe in den Säckeln stecken, und sagt: "Das ist sicher ein gesunder Sport für ältere Herren, die ein paar Kilogramm abnehmen sollten." Dann greift er nach einem Stechpaddel und geht schmunzelnd vor in Richtung Steg. Er trifft den wunden Punkt: In der Tat hat ziemlich genau das ein Sportmediziner noch vor wenigen Tagen zu mir gesagt. Aber würde mein Kollege Gianluca so eine dicke Lippe riskieren, wenn er wüsste, wie schnell man beim Kanufahren ins Wasser fallen kann? Dann wäre der ganze gesundheitliche Nutzen womöglich auch für ihn gleich wieder dahin.

Gianluca erkennt den gesundheitlichen Nutzen, unterschätzt aber die Gefahr.
Foto: Guido Gluschitsch

Kanufahren ist sonst ja sehr gesund. Es fördert die Ausdauer, die Rumpfmuskulatur und schont die Gelenke. Zumindest die des Oberkörpers – die der Beine leiden bei Menschen mit dicken Jacken manchmal ein wenig. "Schneidersitz oder normal?", fragt Gianluca, als er sich vorn in den Kanadier setzt. Es geht beides. Sportlich sehr Ambitionierte knien auch gern. Das ist ja einer der Vorteile des Kanadiers, dass man sich zumindest ein wenig rühren kann und nicht so eine fixe Sitzposition wie im Kajak hat.

Kajak, Kanadier, Kanu

Das Kajak, das ist das schlanke, das schnelle Paddelboot, das man mit einem Doppelpaddel antreibt. Man bekommt es um ein paar Hundert Euro. Der Kanadier kostet hingen gern ein paar Tausender, ist meist größer, oben offen, hat zwei oder drei Sitzplätze, und man paddelt ihn mit einem Stechpaddel. Die Ambitionierten wiederum schlagen damit hektisch links und rechts ins Wasser. Eine sinnlose Kraftvergeudung.

Mit ein wenig Übung hat man schnell verstanden, wie man ein Kanu entspannt steuert.
Foto: Guido Gluschitsch

Es reicht sogar, wenn man allein im Kanadier fährt, nur auf einer Seite ins Wasser zu schlagen – das ist weniger hektisch. Kanufahren ist für unsereins Entschleunigung, nicht Wettlauf. Die Technik dazu ist recht einfach: Wenn man, bevor das Paddelblatt wieder aus dem Wasser kommt, selbes so verdreht, dass man es für einen Augenblick oder zwei wie ein Ruderblatt einsetzt und ein bisserl gegenlenkt, dann fährt man elegant geradeaus. Es gibt eine Reihe unterschiedlicher Paddeltechniken, aber die eine passt eben am besten zu älteren, entspannten Herren, die vor allem deshalb Kanu fahren, um den Stress hinter sich zu lassen.

Die Blickrichtung zählt

Ach ja, bei uns sagt man zu den Kanadiern gern Kanus, zu den Kajaks – no, na – Kajaks. Im Grunde sind aber beide Kanus – also Boote, die mit Paddeln in Blickrichtung bewegt werden. Beim Rudern sitzt man ja verkehrt herum. So verkehrt, wie das Kanufahren im Winter eigentlich sei, meint Gianluca.

Kanuidylle Anfang Jänner am Neusiedler See.
Foto: Guido Gluschitsch

Doch nein, so abwegig ist das gar nicht. Dienten die Kanadier doch einst den Ureinwohnern von Nordamerika als Vehikel – und dort hat es auch nicht jeden Tag 30 Grad bei Sonnenschein und Windstille. Bei uns allerdings merkt man den Klimawandel deutlich. Der Neusiedler See war heuer nur an wenigen Tage so zugefroren, dass man nicht mit dem Kanu hätte rausfahren können.

Zwischendurch kann man ruhig auch einmal die Beine hochlegen.
Foto: Guido Gluschitsch

Ballast abwerfen

Am 2. Jänner war sogar ein viel zu warmer Tag. Wegen der Sonne, weil anfangs kein Lüfterl wehte und weil man sich ja beim Paddeln doch bewegt, waren die Jacken nach wenigen Minuten nur noch Fracht im Kanadier – anderen Ballast haben wir einfach im Schilf zurückgelassen.

Es sind vor allem Alltagssorgen und Arbeitsthemen, die auf dem Seeweg verlorengehen. In der hier im Text vertretenen Paddlergruppe auf dem Neusiedler See sind fast alle STANDARD-Mitarbeiter. Eine zweite, konkurrierende Partie mit jüngeren Paddlerinnen und Paddlern hat sich im Nordwesten von Wien gebildet. Wir werden also wohl doch bald eine Regatta fahren müssen. Über derlei spricht man, wenn man im Kanadier dem Schilf entlang einem imaginären Ziel entgegenfährt – obwohl es völlig belanglos ist, ob man den geplanten Punkt überhaupt je erreichen wird.

In einer kleiner Schilfbucht, am 2. Jänner.
Foto: Guido Gluschitsch

An besagtem 2. Jänner hörte deshalb mein anderer Berufs- und Paddelkollege Rainer ziemlich genau auf halbem Weg zu einem Ziel einfach so mit dem Seeumrühren auf, legte das Stechpaddel hinter seinen Rücken, krempelte sich die Ärmel hoch und legte sich, wie auf einen Liegestuhl, in den Kanadier. Die ganz leichte Brise, die aufkam, trieb uns mitten auf den See hinaus.

Anfang Jänner, mitten auf dem See

Geredet haben wir wie üblich nicht viel, jeder in seinem Kanu, dazwischen Platz für einen Babyelefanten samt Schwimmflügerln. Bis zu dem Zeitpunkt, als ein Stand-up-Paddler im Nassanzug auftauchte, waren wir komplett allein auf dem See. Stand-up-Paddler sind im Grunde auch Kanufahrer, weil ja auch sie in Blickrichtung paddeln.

Die Kanäle und Wasserstraßen durch das Schilf sind besonders reizvoll.
Foto: Guido Gluschitsch

Der Klimawandel. Der Wasserstand im See. Ein wenig Landespolitik. Das sind die Themen, wenn wir uns treiben lassen. Ab und zu schmieden wir Zukunftspläne, freilich vor allem rund um die Paddelei.

Wir müssen mit den Kajaks – Rainer hat ein paar aufblasbare, die man relativ leicht überall hintransportieren kann – einmal diesen einen alten Kanal im Schilf entlangfahren. Er weiß da jemanden, der sich auskennt und uns sicher durchbringen würde.

Die große Überfahrt

Und die Leitha werden wir wohl auch mit seinen Kajaks machen, eben weil die Kanadier nicht so einfach zu transportieren sind. Rainer hat noch ganz andere Pläne, ambitionierte, von denen wir Ihnen dann vielleicht im Sommer erzählen werden, wenn wir "die große Überfahrt" wirklich schaffen. Er hat diesen Arbeitstitel – eine Anlehnung an ein legendäres Asterix-Comic – für unser Abenteuer gewählt. Die Idee: Wir fahren tatsächlich einmal über den ganzen See. Klingt einfach? Sie haben keine Ahnung!

Bis dahin müssen wir noch trainieren, auch gerne im Winter. Selbst wenn das manchmal wirklich mühsam ist. So war unlängst, just an einem Wochenende, der See in weiten Teilen so zugefroren, dass man nicht paddeln konnte. Ein paar Tage später blies der Wind so heftig, dass ein Ankommen dagegen zum Kraftakt wurde. Dann teilt man sich lieber einen Kanadier, als dass jeder allein einen fährt.

Am effizientesten fährt man zu zweit mit dem Kanadier, aber es geht auch allein ganz gut.
Foto: Guido Gluschitsch

Gianluca vorn, doch nicht im Schneidersitz, war sehr motiviert – vielleicht wollte er sich auch nur der Kälte wegen schnell und viel bewegen. Dadurch kann sich der Hintere besser aufs Steuern konzentrieren – und man mag gar nicht glauben, welche Auswirkung der Wind auf den Kurs haben kann – das sind dann keine Bedingungen für Ungeübte. Oder die Strömung, die kann auch ein Hund sein.

Grundberührung

Letztere, will man meinen, ist ja im Neusiedler See nicht so arg. Na ja, Ende Jänner hat es so gestürmt, dass im Nordwesten des Sees der Boden rausschaute, während im Süden die Stege und Uferanlagen überspült wurden. Jetzt haben alle Kanus zwar den Vorteil, dass sie nicht viel Wassertiefe brauchen, aber nur im Schlamm will man auch nicht herumstechen. Doch es gibt Ausweichreviere.

Der Ottensteiner Stausee ist mit seiner Landschaft, die an Fjorde erinnert, geradezu ideal. Wer lieber in Flüssen paddelt, kann das in der Salzach machen, wer es wilder mag, in der Salza – und sogar in der Donau gibt es schöne Möglichkeiten zum Paddeln. Wer den Donaukanal befahren will, hüte sich aber vor dem Twin-City-Liner. Der Dicke ist nämlich kein Freund der Kanufahrer. (Guido Gluschitsch, 9.2.2022)

Foto: Guido Gluschitsch