Auch zahlreiche Seesterne sind Teil dieses einzigartigen arktischen Ökosystems.
Foto: Alfred-Wegener-Institut

Der Ozean rund um den Nordpol ist das ganze Jahr hindurch von Eis bedeckt, das das Sonnenlicht abschirmt und dadurch kaum Algenwachstum zulässt. Die Gewässer gelten daher als extrem nährstoffarm. Umso überraschender ist nun die Entdeckung eines einzigartigen Hotspots des Lebens: Auf den Gipfeln erloschener Unterwasservulkane im zentralen Arktischen Ozean gedeihen üppige Schwammgärten. Die Schwämme erreichen dabei beeindruckende Ausmaße, wie das internationale Team in der Fachzeitschrift "Nature Communications" berichtet.

Mikrobielle Unterstützung

"Auf den erloschenen vulkanischen Seebergen des Langseth-Rückens fanden wir riesige Schwammgärten, aber wir wussten nicht, wovon sie sich ernähren", sagte Expeditionsleiterin Antje Boetius vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). Anhand von Proben von der Expedition hat Erstautorin Teresa Morganti, Schwamm-Expertin vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen, nun herausgefunden, wie sich die Schwämme an die nährstoffarme Umgebung anpassen.

"Wir zeigen, dass die Schwämme mikrobielle Symbionten haben, die altes organisches Material verwerten können. So können sie sich von den Überresten früherer, inzwischen ausgestorbener Bewohner der Seeberge ernähren – zum Beispiel den Röhren von Würmern, die aus Eiweiß und Chitin bestehen, und anderen dort hängen gebliebenen organischen Resten."

Rund um den Globus erfolgreich

Schwämme gelten als sehr einfache Tiere. Dennoch sind sie in allen Ozeanen, von flachen tropischen Riffen bis hin zur arktischen Tiefsee, erfolgreich und zahlreich vertreten. Viele Schwämme beherbergen als Symbionten eine komplexe Gemeinschaft von Mikroorganismen, die zur Gesundheit und Ernährung der Schwämme beiträgt, indem sie Antibiotika produziert, Nährstoffe transportiert und Ausscheidungen entsorgt. Dies gilt auch für die Geodia-Schwämme, welche die Gemeinschaft auf den arktischen Seebergen dominieren.

Die einzelnen Gemeinschaften bestehen aus Dutzenden Schwämmen, deren Durchmesser von einem Zentimeter bis zu einem halben Meter reicht.
Foto: Alfred-Wegener-Institut

Ökosystem auf Basis uralter Überreste

Die Einheit aus Schwamm und assoziierten Mikroben wird als Schwammholobiont bezeichnet. Gemeinsam mit Anna de Kluijver von der Universität Utrecht und dem Labor von Gesine Mollenhauer am AWI bestimmte Morganti die Nahrungsquelle, das Wachstum und das Alter der Schwämme. Mithilfe des vom Forschungseisbrecher Polarstern aus betriebenen Ozeanboden-Beobachtungssystems (OFOS) fanden die Forschenden heraus, dass vor Tausenden von Jahren Substanzen, die aus dem Inneren des Meeresbodens sickerten, ein üppiges Ökosystem mit zahlreichen Tieren unterstützten. Als sie ausstarben, blieben ihre Überreste zurück. Diese bilden nun die Grundlage für diese unerwarteten Schwammgärten.

Die Analyse der Mikroorganismen bestätigte die Hypothese der Forschenden. "Die Mikroben haben genau den richtigen Werkzeugkasten für diesen Lebensraum", erklärt Ute Hentschel vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, die mit ihrem Team die mikrobiologischen Analysen durchgeführt hat. "Sie haben die Gene, um widerstandsfähige partikuläre und gelöste organische Stoffe abzubauen und diese als Kohlenstoff- und Stickstoffquelle zu nutzen, neben einer Reihe chemischer Energiequellen, die dort zur Verfügung stehen."

Auf Nadeln kriechen

Das Forschungsteam zeigte auch, dass die Schwämme das Ökosystem mitgestalten: Sie produzieren Nadeln (Spiculae), die eine Matte bilden, auf der die Schwämme kriechen. Diese raue Matte erleichtert zusätzlich die Ablagerung von Partikeln und biogenen Materialien. Die Holobionten des Schwamms können diese wiederum anzapfen und so ihre eigene Nahrungsfalle schaffen.

Mithilfe des Ocean Floor Observation Systems (OFOS), einem vertikal nach unten blickenden Kamerasystem, können die Verteilungsmuster größerer bodenbewohnender Organismen erfasst werden.
Foto: Alfred Wegener Institut

Einzigartiges Ökosystem

Der Langseth-Rücken ist ein Unterwassergebirge in der Nähe des Nordpols, wo das Meer ständig eisbedeckt ist. Die Biomasse der Schwämme dort ist vergleichbar mit seichteren Schwammgründen, wo der Nährstoffeintrag viel höher ist. "Dies ist ein einzigartiges Ökosystem. So etwas haben wir in der hohen Zentralarktis noch nie gesehen. Die Biomasse, die Algen in den oberen Wasserschichten im untersuchten Gebiet produzieren, deckt weniger als ein Prozent des Kohlenstoffbedarfs der Schwämme. Dieser Schwammgarten mag also ein Ökosystem sein, das nur vorübergehend besteht, aber er ist reich an Arten und beheimatet sogar Weichkorallen", sagt Boetius.

Die Arktis ist eine der Regionen, die am stärksten vom Klimawandel betroffen ist. "Vor unserer Studie war kein ähnlicher Schwammgarten in der zentralen Arktis bekannt. Das Gebiet ist bisher noch nicht ausreichend erforscht, die Beobachtung und Beprobung solcher eisbedeckten Tiefsee-Ökosysteme ist sehr aufwändig", betont Morganti. "Angesichts des schnellen Rückgangs der Meereisbedeckung und der sich verändernden Meeresumwelt ist es unerlässlich, solche Hotspot-Ökosysteme besser zu verstehen, um die einzigartige Vielfalt der unter Druck stehenden arktischen Meere zu schützen und zu verwalten", so Boetius. (red, 9.2.2022)