Viele Unternehmen aus unterschiedlichsten Branchen, auch aus dem Stahlbereich, haben sich vorgenommen, die CO2-Emissionen radikal zu senken. Dieses Vorhaben soll sich auf die gesamte Lieferkette erstrecken.

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Zieldatum ist 2050, die Überschrift lautet "netto null". Möglich werden soll dies durch eine bessere Datenvernetzung unter Einsatz künstlicher Intelligenz. Vorangetrieben wird das Vorhaben vom Beratungsunternehmen Boston Consulting Group (BCG) gemeinsam mit dem Carbon Disclosure Project (CDP). Sichtbares Zeichen der Zusammenarbeit ist eine digitale Plattform zur Vernetzung von Daten, die am Mittwoch in einer Videokonferenz vorgestellt wurde.

Immer mehr Unternehmen streben freiwillig oder aufgrund gesellschaftlichen Drucks eine starke Absenkung ihrer Treibhausgasemissionen an, wobei derzeit noch Kohlendioxid (CO2) im Zentrum der Reduktionsbemühungen steht. Emissionen, die prozessbedingt unvermeidbar sind, sollen durch Ausgleichsmaßnahmen kompensiert werden, sodass unter dem Strich nicht mehr Treibhausgase in die Atmosphäre entweichen als gebunden werden – netto null eben. Das klingt machbar, der Teufel steckt aber wie so oft im Detail.

Probleme mit Zulieferern

Viele Unternehmen wissen zwar relativ gut Bescheid, wo und in welchem Umfang klimaschädliche Emissionen in ihrem unmittelbaren Wirkungsbereich entstehen. Mehr als jedes zweite Unternehmen hat Umfragen zufolge auch Schritte definiert, wie die Emissionen reduziert werden können; das große Problem sind aber in den meisten Fällen die vor- und nachgelagerten Lieferketten. Die wenigsten Unternehmen haben Zugang zu verlässlichen Daten, wie sich die Situation bei den hunderten und oft tausenden Vorlieferanten verhält. Das soll sich mit der CO2 AI Product Ecosystem genannten Plattform ändern.

"Die Verfügbarkeit von Daten ist Grundvoraussetzung, dass so etwas funktionieren kann," sagte Paul Simpson, CEO der Nichtregierungsorganisation Carbon Disclosure Project, bei der Vorstellung der Initiative. "Die Daten müssen auch zusammengeführt werden, damit Unternehmen Hotspots entlang der Lieferkette identifizieren können, wo es anzusetzen gilt."

Schaffung von Transparenz

Die Non-Profit-Organisation mit Sitz in London ist im Jahr 2000 mit dem Ziel gegründet worden, dass Unternehmen und auch Kommunen Umweltdaten veröffentlichen. Dazu gehören Treibhausgase genauso wie Wasserverbrauch oder die Abholzung der Wälder.

Zu den wichtigsten Vorteilen der im Aufbau begriffenen Plattform, auf der auch künstliche Intelligenz (Artificial Intelligence; AI) eine Rolle spielt, gehören umfassende Transparenz sowie genaueste Messung sogenannter Scope-3-Emissionen. Das sind externe Emissionen, die in der Wertschöpfungskette des berichtenden Unternehmens entstehen.

In einem aktuellen Bericht zur Lieferkettenproblematik "Engaging the chain: driving speed and scale" zeigt Carbon Disclosure Project auf, dass zwar Fortschritte bei direkten Umweltauswirkungen zu beobachten sind; nur 38 Prozent der berichtenden Unternehmen arbeiten aber mit ihren Zulieferern im Bereich Klimawandel zusammen. Was die Abholzung der Wälder betrifft, sind es etwas mehr – 47 Prozent –, beim Thema Wasser sind es aber nur 16 Prozent, die mit vorgelagerten Unternehmen in der Wertschöpfungskette kooperieren.

Nur mit einer radikalen Senkung der Treibhausgasemissionen lässt sich der Anstieg der Durchschnittstemperaturen rund um den Globus stoppen – eine Voraussetzung, um Klimakatastrophen hintanzuhalten, sind sich Wissenschaftler einig.
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Es sei dringend erforderlich, dass Unternehmen Messungen der Umweltauswirkungen entlang der gesamten Lieferkette kaskadenartig durchführten und entsprechende Maßnahmen in die Wege leiteten. Nur so könne es gelingen, eine drohende Umweltkrise mit dramatischen Folgen abzuwenden, heißt es in dem CDP-Bericht.

Welchen Stellenwert die Wertschöpfungskette bei einer Gesamtbetrachtung der Umweltauswirkungen eines produzierenden Unternehmens hat, zeigen neueste Daten. Demnach waren 2021 die Treibhausgasemissionen in der Lieferkette eines Unternehmens im Durchschnitt 11,4-mal höher als die betrieblichen Emissionen, hat CDP analysiert.

Rekordzahl an Meldungen

Trotz Pandemie hat die Umweltorganisation eigenen Angaben zufolge 2021 eine Rekordzahl von umweltrelevanten Meldungen erhalten. Insgesamt haben 11.457 einzelne Lieferanten Fragebögen des CDP beantwortet, darunter 5285 klein- und mittelgroße Unternehmen. In Summe waren es um 41 Prozent mehr als 2020, was als Zeichen für die zunehmende Sensibilität von Unternehmen in Sachen Klimawandel gesehen werden könne.

Rich Lesser, der im Vorjahr als CEO von BCG abgetreten ist, warnte am Mittwoch vor zu hoch gestochenen Erwartungen. Es brauche zwar einen langen Atem, dafür sei aber ein wichtiger erster Schritt mit Gründung der Plattform getan. (Günther Strobl, 10.2.2022)