In "Dying Light 2" verschlägt es einen in eine postapokalyptische Stadt in Europa.

Foto: Techland

Das Spielkonzept von "Dying Light" ist ziemlich einzigartig – nicht weil es ungewöhnliche oder revolutionäre Ideen umsetzt, sondern weil die Entwickler dank der Vermischung bekannter Elemente ein interessantes Open-World-Game mit postapokalyptischem Setting geschaffen haben. Der Fokus liegt nämlich nicht ausschließlich auf dem brutalen Kampf gegen Zombies und feindliche Überlebende. Stattdessen wurde die Spielwelt so entworfen, dass man sich dank der Parkour-Skills des Hauptcharakters leichtfüßig über Hausdächer manövrieren kann – und vor allem sollte. Insbesondere nach Sonnenuntergang.

Nachdem die Veröffentlichung des ersten Teils inzwischen sieben Jahre zurückliegt, dürfen sich Fans dank "Dying Light 2 – Stay Human" seit Anfang Februar erneut ins Getümmel stürzen. Mit einer neuen Spielwelt, einer ausgearbeiteten Story und einer Reihe überarbeiteter Gameplay-Elemente wollen die Entwickler von Techland ein weiteres Mal überzeugen. Der STANDARD hat das Spiel auf der Xbox Series X getestet.

Neues Setting, neues Glück?

Im 2015 erschienenen "Dying Light" schlüpfte man in die Rolle des Undercover-Agenten Kyle Crane, der auf der Suche nach Informationen eine fiktive Stadt im Mittleren Osten infiltrieren musste. 15 Jahre nach den darauffolgenden Ereignissen verschlägt es die Spieler nun als Aiden Caldwell in die europäische Metropole Villedor – eine der verbliebenen Städte, in denen sich die Überlebenden angesiedelt haben.

Wer meint, die Menschheit würden sich an solchen Orten zum Kampf gegen die Zombiehorden zusammenschließen, muss enttäuscht werden. Kontrolliert wird Villedor von mehreren Fraktionen. Einerseits gibt es da die militarisierten Peacekeeper, die sich ungefragt zu den Beschützern der Stadt erkoren haben. Andererseits trifft man auf einen Zusammenschluss unabhängiger Überlebender, die sich wiederum der Kontrolle ersterer Gruppe entziehen wollen. Nicht zuletzt patrouillieren gewalttätige Renegades die Straßen der Stadt.

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Konkurrierende Mächte

Doch das Machtverhältnis ist keinesfalls in Stein gemeißelt. Immer wieder haben wir als Aiden im Lauf der Story die Möglichkeit, Sektoren durch das Freischalten bestimmter Wahrzeichen entweder den Peacekeepern oder den Überlebenden zuzuweisen. Den Gruppierungen ermöglicht das, Außenposten aufzubauen, die auch uns Unterschlupf vor den zahlreichen Gefahren Villedors bieten. Außerdem erhält man bestimmte Boni, je nachdem, wem man die Kontrolle überlässt.

Die Geschichte von "Dying Light 2" kommt jedoch nur langsam in Fahrt. Das liegt unter anderem am langen Prolog, in dem einem vermutlich die Steuerung, das Kampfsystem und die Parkour-Skills des Hauptcharakters nahegebracht werden sollen. Außerdem erhält man ein klares Bild von den Folgen der Zombie-Apokalypse. Was eine interessante Möglichkeit gewesen wäre, die Storyline zu etablieren, fühlt sich in Wirklichkeit etwas träge an.

Der Spaß beginnt dann, wenn man die offene Spielwelt erstmals frei erkunden darf. Wohin man geht, bleibt einem selbst überlassen. Möchte man strikt der Story folgen, ist das natürlich möglich. Allerdings kann man diese problemlos für zahlreiche Stunden ignorieren und sich auf die Suche nach neuen Unterschlüpfen, Vorräten oder Nebenmissionen machen.

Freiheit dank Parkour

Für die Fortbewegung hält man sich an die zahlreichen Hausdächer. Diese bieten einem meist Sicherheit vor Zombies und Banditen. Statt sich bei jedem Schritt auf einen möglichen Kampf einstellen zu müssen, kann man sich dort voll und ganz den Parkour-Mechaniken widmen. Man rennt, springt über Hindernisse und schwingt sich an Stangen oder Seilen über Häuserschluchten.

Um es den Spielern nicht allzu einfach zu machen, kostet jedes dieser Manöver Ausdauer. Hängt man also gerade an einer Hausfassade und ist außer Atem, fällt man in den Tod. Vor allem zu Beginn des Spiels fällt auf, dass man manche Hausdächer deshalb noch nicht erreicht. Einerseits kann das frustrierend sein. Andererseits spornt es an, die Spielfigur aufzuleveln. Im Lauf der Hauptgeschichte erhält man zudem nützliche Werkzeuge wie einen Paraglider und Enterhaken, die einen selbst an unerreichbar geglaubte Orte bringen. Mit zunehmender Übung und der Freischaltung neuer Fähigkeiten geht daher auch das Parkour immer flüssiger von der Hand – und wird entsprechend spaßiger.

Gefährliche Nächte

Apropos: Es gibt zwei Fähigkeitsbäume, einen für den Kampf und einen für Parkour. Zuteilbare Punkte werden durch das Spielen, zum Beispiel durch den erfolgreichen Abschluss von Missionen, freigeschaltet. So lernt man im Lauf der Zeit, weiter zu springen, schneller zu schleichen oder sich nach dem Fall von hohen Gebäuden abzurollen. Außerdem wird man im Kampf gegen Menschen und Untote immer agiler, fügt den Gegnern mehr Schaden zu oder kann sie ins Straucheln bringen und in den Tod stürzen lassen.

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Zusätzlich haben sich die Entwickler etwas Neues einfallen lassen. Will man nämlich die eigene Ausdauer und Gesundheit stärken, braucht man Inhibitoren. Hat man drei von ihnen gesammelt, kann man sich aussuchen, ob man den Lebens- oder den Ausdauerbalken stärken will. Der Clou dabei: Die Inhibitoren sind vor allem in sogenannten Dark Zones zu finden. Dabei handelt es sich um Zombie-Nester, die tagsüber mit Infizierten überflutet sind. Will man sie nach Vorräten durchforsten, muss man sich also nachts in Gefahr begeben.

Aber Achtung! Abgesehen von der Sorge, von einer Horde Untoter überfallen zu werden, sollte man sich bei diesen Ausflügen aus einem weiteren Grund beeilen. Um sich nicht selbst in einen Zombie zu verwandeln, müssen die Einwohner Villedors sich nachts nämlich unter UV-Lampen begeben. Tritt man in die Dunkelheit, bleiben einem nur wenige Minuten, bevor man den letzten Funken Menschlichkeit verliert.

Kein Weg führt vorbei

Im ersten Teil der Serie verzichteten viele Spieler noch auf nächtliche Ausflüge, obwohl Techland den Tag-Nacht-Wechsel eigentlich als spannendes Feature beworben hatte. Die Sicherheit eines Safe House zu verlassen war damals allerdings kaum notwendig. Wer aber in "Dying Light 2" wirklich vorankommen will, muss in Dark Zones. Diesmal führt kein Weg daran vorbei.

In der Praxis ist diese Spielmechanik für viele der spannendsten und gleichzeitig stressigsten Momente während des Playthroughs verantwortlich. Der Puls steigt merklich an, wenn man beobachten muss, wie der Timer rasch abläuft, während man sich leise, aber schnellen Schrittes um schlafende Zombies herummanövriert.

Waffen und Charaktergestaltung

Das Waffenarsenal ist unterdessen relativ eingeschränkt. Zur Verfügung stehen eine Reihe von improvisierten Äxten, Macheten oder auch Stahlrohren, mit denen man den Gegnern das Leben schwermachen kann. Wie für ein Rollenspiel üblich, haben diese unterschiedliche Level und Seltenheitsgrade – und damit einhergehend üben sie mehr oder weniger Schaden aus.

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Bastler haben außerdem die Möglichkeit, ihre Lieblingswaffe zu modifizieren, damit sie zum Beispiel zusätzlichen Schaden durch Elektroschocks verursacht. Dabei muss angemerkt werden: Waffen gehen mit der Zeit kaputt. Es lohnt sich in Wirklichkeit also nicht unbedingt, Materialien in diese zu investieren. Schusswaffen gibt es – abgesehen von Pfeil und Bogen und einer Armbrust – übrigens keine.

Aidens Aussehen kann man durch neue Outfits modifizieren. Kleidungsstücke findet man häufig als Loot bei Gegnern oder in auf der Map verstreuten Kisten. Ähnlich zu den Waffen haben diese unterschiedliche Attribute und Level. Trägt man manche Oberteile, kann man sich also schneller heilen, dank anderer verursacht man im Nahkampf mehr Schaden.

Eine endlose Suche

Eher repetitiv wirkt auf Dauer die Loot-Mechanik. Um an bitter notwendige Vorräte zu kommen, mit denen man zum Beispiel Medipacks oder Wurfmesser bauen kann, muss man die Umgebung immer wieder nach Kisten, Rucksäcken oder Koffern absuchen. Hilfe erhält man durch ein Scan-Feature, das auf Knopfdruck den Standort von durchsuchbaren Gegenständen in der Umgebung anzeigt. Das erleichtert einerseits die Suche, macht sie andererseits aber zu einer notwendigen Fleißarbeit.

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Hinzu kommt, dass man dabei etwas gestalterische Vielfalt vermisst. Es scheint gerade einmal zwei bis drei unterschiedliche Modelle eines Rucksacks in Villedor zu geben – die immer in derselben Konstellation angeordnet werden. Dasselbe gilt für Koffer und große, leuchtend rote Vorratskisten, die praktischerweise überall zu finden sind.

Dennoch bereitet die Erkundung Villedors meist viel Freude. Die erste Hälfte der Story verbringt man in der Altstadt, deren Gestaltung ein wenig an Harran, also den Schauplatz des ersten Spiels, erinnert. Gebäude haben hier selten mehr als drei bis vier Stockwerke und sind relativ einfach zu erklimmen. Häuserschluchten sind teils so schmal, dass man problemlos von einem zum anderen Dach springen kann.

Doch damit nicht genug: Nach einigen Stunden Spielzeit schaltet man mit dem Central Loop einen zweiten – und deutlich spannenderen – Stadtteil voller Hochhäuser frei. Die Spielwelt erstreckt sich hier viel stärker in die Vertikale, was erneut zum Entdecken einlädt. Zusammen mit dem neuen Paraglider und Enterhaken kann man Stunden mit der Erkundung der Umgebung verbringen, und man fragt sich, warum die Altstadt überhaupt existiert.

Eine verschenkte Chance

Nach einem langsamen Start nimmt in der zweiten Hälfte des Spiels auch die Story Fahrt auf. Man trifft auf deutlich interessantere, aber vor allem charismatischere Charaktere als zuvor. Während einiger Missionen in der Altstadt kam es hingegen öfters vor, dass einem Menschen ihr Schicksal schildern, die Unterhaltungen und das Gegenüber allerdings so generisch wirken, dass man sich kaum um sie schert.

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Dabei bietet die Spielwelt durchaus das Potenzial, spannende, berührende Geschichten zu erzählen. Häufig begegnet man Menschen allerdings nur ein- bis zweimal, bevor man sie nie wieder zu Gesicht bekommt. Außerdem ähnelt sich das Design vieler Spielfiguren so stark, dass man sie kaum auseinanderhalten kann.

Unabhängig davon wurde nach dem ersten Start des Spiels schnell klar: Im Vergleich zu in Trailern gezeigten Spielszenen gibt es bei der Konsolenversion ein Grafik-Downgrade. Wählt man den Performance-Modus, werden die Texturen sehr matschig. Vor allem die Umgebung verschwimmt zu einem Einheitsbrei. Zwar kann man auch einen "Quality"- und "Resolution"-Modus auswählen, aktiviert man diese, ist das Spiel aufgrund niedriger Framerates allerdings nur noch schwer auszuhalten. In Wirklichkeit hat man also gar keine Wahl.

Fazit

"Dying Light 2" macht Spaß, aber es ist keinesfalls perfekt. Größte Schwäche ist mit Sicherheit die generische Hauptgeschichte, die sich trotz Entscheidungsmöglichkeiten während mancher Konversationen in die Länge zieht. Das Schicksal der Spielfiguren, die einem im Lauf des Abenteuers begegnen, ziehen einen nur selten in den Bann.

Dennoch kann man sich dank der interessant gestalteten Spielwelt und der ausgefeilten Parkour-Mechaniken zahlreiche Stunden in das Spiel versenken, ohne dass einem langweilig wird. Vor allem der Central Loop lädt dank spannender Kletterpartien zum Entdecken ein, bis man jeden Außenposten freigeschaltet und alle Airdrops eingesammelt hat. Hinzu kommen die neu gestalteten Dark Zones, die zwar nervenaufreibend sind, aber für Abwechslung zu den Ausflügen bei Tageslicht sorgen.

Vor dem Kauf sollte man sich also überlegen, wonach man eigentlich sucht. Außer Frage steht, dass es sich auch beim zweiten Teil der Serie um ein solides, umfangreiches Action-Rollenspiel handelt. Bis man jede Nebenmission absolviert und alle interessanten Orte auf der Map besucht hat, dürften hunderte Stunden vergehen. Wer dann noch immer nicht genug hat, kann im Koop-Modus mit bis zu drei Freundinnen und Freunden auf Zombie-Jagd gehen. (Mickey Manakas, 10.2.2022)