Viele Menschen sehnen sich nach unbeschwertem Freizeitvergnügen jenseits der Pandemie.

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Wir stehen an einem Wendepunkt in der Pandemie. So sieht es Lothar Wieler, der Chef des deutschen Robert-Koch-Instituts. Und auch in Österreich wird das Prinzip Hoffnung ausgegeben. In der ZiB Nacht am Dienstag plädierte Virologe Norbert Novotny sehr optimistisch für einen möglichen "Freedom-Day" nach dem Vorbild Dänemarks, also das Fallenlassen aller Maßnahmen, im März. Auch die Politik handelt entsprechend, am Samstag fällt die 2G-Regel in Geschäften, Museen und bei körpernahen Dienstleistern, auch die Personenobergrenze bei Veranstaltungen ist kein Thema mehr. Ist die Pandemie jetzt für beendet erklärt? Können wir sorgenfrei in Richtung Frühjahr durchstarten?

"Ganz so einfach ist das leider nicht", meint Gerald Gartlehner, Epidemiologe an der Donau-Universität Krems. "Den Wendepunkt sehe ich nur mittelfristig. Corona wird sich auf jeden Fall von einer Pandemie zu einer Endemie entwickeln, ähnlich der Grippe, so viel steht fest. Allerdings sind wir mit Omikron noch nicht ganz über den Berg. Wir müssen in Österreich wirklich noch aufpassen, dass die steigenden Hospitalisierungszahlen auf den Normalstationen und die Ausfälle des medizinischen Personals aufgrund von Omikron-Erkrankungen nicht zu Versorgungsengpässen in den Spitälern führen."

Doch noch sollte man die Maske nicht wegwerfen. Auf dem Weg zur Endemie gibt es einige Unklarheiten und Fallstricke.
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Vor allem bereiten ihm die Subvariante von Omikron, BA.2, und die Impflücken hierzulande noch Sorgen. "Wir wissen, dass BA.2 noch mal ansteckender ist als BA.1. Und aufgrund der relativ großen Zahl an Ungeimpften müssen wir damit rechnen, dass vor allem bei älteren Menschen aus dieser Gruppe ein nicht unwesentlicher Teil doch noch ins Krankenhaus muss."

Impfung weiter wichtig

Es könne weiter sein, dass Personen, die bereits eine Infektion mit Omikron durchgemacht haben, sich später noch mit dem Subtyp BA.2 anstecken. Allerdings ist dann die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs deutlich reduziert. Dass das Schließen der Impflücke enorm wichtig ist, um aus der Pandemie eine Endemie werden zu lassen, betont auch Immunologe Hannes Stockinger von der Med-Uni Wien: "Alle sollten sich solidarisch erklären mit jenen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können. Wir wissen nämlich, dass Geimpfte eine deutlich geringere Viruslast tragen und vor allem auch viel kürzer infektiös sind."

Mit dem Impfthema stellt sich mittlerweile auch die Frage nach dem vierten Stich. Ob und vor allem wann dieser nötig wird, kann man noch nicht klar sagen. Gartlehner erklärt: "Im Sommer läuft bei vielen der grüne Pass aus. Es wird aber eher keinen Sinn machen, sich dann den vierten Stich zu holen. Ich würde mich auch nicht im Sommer gegen Grippe impfen lassen. Das sollte näher an der kalten Jahreszeit passieren, wenn das Virus wieder vermehrt zirkuliert." Sonst könne es nämlich passieren, dass die Immunität im Winter schon wieder weg ist.

Eine klare Position haben beide Experten dagegen zu den weiteren Öffnungsschritten ab Samstag – sie sehen ihnen mit Sorge entgegen. Immunologe Stockinger: "Bei den Lockerungen in den Museen sehe ich wenig Gefahr. Ich möchte aber schon betonen, dass wir jetzt nicht unvorsichtig werden und sorglos Party machen dürfen. Wir wissen ja, hätten wir uns in der Vergangenheit mehr an die ausgegebenen Maßnahmen gehalten, wäre uns einiges erspart geblieben." Gartlehner geht sogar noch einen Schritt weiter: "Ich persönlich hätte mit den Öffnungsschritten noch so lange gewartet, bis der Trend etwas deutlicher nach unten geht. Das Risiko, dass es vor allem durch die Subvariante BA.2 zu einem neuerlichen Anstieg der Infektionszahlen kommt, ist einfach da."

Verhalten positive Signale

Der Wunsch, dass die Pandemie nun bald der Vergangenheit angehört, ist groß. Und dank Omikron könnte es auch tatsächlich schneller gehen als noch vor wenigen Monaten gedacht. Gartlehner betont: "Omikron ist insofern ein großes Glück, mit Delta hätte die jetzige Welle ganz anders ausgesehen." Für Frühjahr und Sommer sieht er auch Licht am Ende des Tunnels. "Ich glaube, dass wir etwas früher als letztes Jahr in eine entspannte Phase eintreten werden. Die Immunität in der Bevölkerung ist jetzt deutlich höher als vergangenes Jahr, und Omikron bringt mildere Verläufe mit sich. Das heißt, wir werden jetzt relativ rasch Immunitätslücken schließen."

Beide Experten sind sich aber einig, dass man schon eine Kristallkugel bräuchte, um das genaue Ende der Pandemie beziehungsweise den Übergang zu einer Endemie genau vorhersagen zu können. "Wir wissen nicht, ob neue Varianten kommen, und wir wissen auch nicht, ob die jetzige Impfung gegen neue mögliche Varianten weiterhin schützen kann", weiß Gartlehner.

Stockinger sieht zumindest dem Herbst positiv entgegen: "Ich bin für den Herbst hoffnungsvoll gestimmt, aber ich kann nicht sagen, dass die Pandemie dann vorbei ist und alles gut wird. Ich glaube, wir müssen weiter vorsichtig sein. Und es ist wichtig, dass die Impfpflicht jetzt greift, damit wir dann bei Bedarf entsprechend vorbereitet sind." (Jasmin Altrock, 10.2.2022)