Luftabwehrgeschütze des Typs S-400 kommen bei dem russisch-belarussischen Manöver nahe der ukrainischen Grenze zum Einsatz.

Foto: EPA / Russisches Verteidigungsministerium

Was Großbritanniens Verteidigungsminister Ben Wallace am Donnerstag im BBC-Programm "Today" vom Stapel ließ, dürfte die Nervosität in einigen Hauptstädten noch gesteigert haben: Russland, das dieser Tage zur Besorgnis des Westens die Hälfte seiner Kampftruppen an der Grenze zur Ukraine verstärkt hat, plane in Kürze eine "nukleare strategische Übung", sagte der Konservative dem Radiosender. Was er genau damit meint, ließ er jedoch offen. Stattdessen fügte er noch an, dass er über Geheimdiensterkenntnisse verfüge, wonach Moskaus Armee neben Cyberangriffen auch sogenannte False-Flag-Aktionen im Schilde führe, die einen Vorwand für die von Großbritannien und den anderen Nato-Staaten befürchtete Invasion in die Ukraine liefern sollen.

Ungeachtet dessen ging die hektische Reisediplomatie in Sachen Ukraine am Donnerstag ohne Unterlass weiter. Der innenpolitisch angeschlagene britische Premierminister Boris Johnson war am Donnerstag erst nach Brüssel gereist, wo er im Chor mit dem scheidenden Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg vor einem "katastrophalen, sinnlosen und tragischen" Krieg warnte, bevor er sich in Warschau mit seinem polnischen Amtskollegen Mateusz Morawiecki über die Lage in der Ukraine beriet.

Nato will nicht zögern

Am Freitag wird Wallace in Moskau die Gelegenheit haben, mit seinem russischen Gegenüber Sergej Schoigu in Dialog zu treten, um die seit Wochen schwelende Ukraine -Krise zu entschärfen. Falls dies nicht gelingt, werde die Nato den Worten des Briten nach "nicht zögern zu handeln".

Russland schafft, was seine militärische Drohkulisse betrifft, inmitten all der Diplomatie weiter Fakten. Ungeachtet der westlichen Kritik begann die russische Armee am Donnerstag ein großangelegtes Manöver im Süden von Belarus, unweit der ukrainischen Nord- und der EU-Außengrenze. Auf fünf Truppenübungsplätzen solle zehn Tage lang "die Unterdrückung und Abwehr äußerer Aggression" trainiert werden, wie es aus Moskau und Minsk hieß. Auch im Schwarzen Meer, wie die Agentur Interfax am Donnerstag meldete: Sechs russische Kriegsschiffe sind in der Nähe der Halbinsel Krim eingetroffen.

Während die Ukraine als Reaktion auf die russisch-belarussische Übung ebenfalls zehn Tage lang ein Manöver durchführen will, bereitet sich Kiew nach den Worten von Außenminister Dmitro Kuleba auch zur See mittels eines Marinemanövers auf den Ernstfall vor.

"Eskalierende Aktion"

Die USA, die die russisch-belarussische Truppenübung nahe der ukrainischen Grenze als "eskalierende Aktion" bezeichneten, verlegten indes Radschützenpanzer vom Typ Stryker in das Nato-Land Rumänien, das an die Ukraine grenzt. Die Ex-Sowjetrepublik Litauen, anders als die Ukraine heute Nato-Mitglied, will Kiew laut Ministerpräsidentin Ingrida Šimonytė Stinger-Flugabwehrraketen schicken.

Moskau reagierte derweil süffisant auf die Nervosität des Westens, was seinen Truppenaufmarsch und das Manöver betrifft. "Ideologische Ansätze, Ultimaten, Drohungen führen zu nichts", sagte Außenminister Sergej Lawrow am Donnerstag zu Beginn seines Treffens mit Großbritanniens Außenministerin Liz Truss in Moskau. Viele seiner westlichen Kollegen hätten aber "eine Leidenschaft" für diese Form der Kommunikation entwickelt. Ob er damit seinen Gast persönlich meinte, ließ Lawrow offen. Truss forderte, Moskau müsse seine an der ukrainischen Grenze zusammengezogenen Soldaten und sein Kriegsgerät "woandershin verlegen, da sie sich derzeit in einer sehr bedrohlichen Stellung befinden".

Russland dementiert stets jegliche Angriffspläne gegen die Ukraine. Man fühle sich seinerseits selbst von der Nato bedroht und wolle sicherstellen, dass die Ukraine dem Bündnis niemals beitritt.

EU will sich nicht spalten lassen

Von einzelnen EU-Mitgliedsstaaten forderte Russlands Außenminister Lawrow im Jänner Antworten auf seine Vorschläge, wie der Westen den russischen Sicherheitsbedürfnissen entsprechen könnte. Am Donnerstag ging diese Antwort in der russischen EU-Botschaft in Brüssel ein. Allerdings nicht so wie von Moskau gewünscht von jedem Land einzeln, sondern verfasst von der EU. Man wolle sich nicht spalten lassen, hieß es aus Brüssel. Lawrow hatte zuvor erklärt, eine kollektive Antwort käme einem Scheitern der Gespräche gleich. Über den Inhalt der nun jedenfalls kollektiven Reaktion Brüssels ist bisher nichts bekannt. (Florian Niederndorfer, 10.2.2022)