Nine-to-five oder hierarchischen Strukturen seien ein No-Go für Developer, sagt Rudi Bauer.

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Fachleute für Softwareentwicklung, kurz Developer genannt, gehören zu den gesuchtesten Berufsgruppen – wenn sie in diesem Ranking nicht sogar den Spitzenplatz einnehmen. Laut deutscher Bitkom fehlen in Deutschland, Österreich und der Schweiz aktuell 100.000 IT-Spezialistinnen und IT-Spezialisten, davon rund 70.000 Developer. Und die Nachfragekurve steigt steil an: Von A wie Auto bis Z, also fast jegliches Zubehör, werden Millionen Code-Lines benötigt.

Rudi Bauer ist Geschäftsführer der Plattform We Are Developers mit rund 75.000 registrierten Mitgliedern in Europa. Sie erhalten dort hippe Weiterbildung, quasi ein Zuhause und nebstbei (bezahlte) Vorstellungen von Arbeitgebern – die allesamt suchen. Er gibt etwa sechs Millionen Developer in Europa an und sieht leicht steigende Tendenz aufgrund der wachsenden Angebotslandschaft in Sachen Aus- und Weiterbildung in Programmiersprachen.

STANDARD: Softwareentwicklung hat sich fast schon zur Heimstätte von Stereotypen entwickelt: Diese Leute seien eigen, astronomisch teuer, kaum in Organisationen einzugliedern und extrem mobil. Abgesehen davon, dass es sie ja angeblich kaum gibt. Was stimmt denn davon?

Bauer: Dass extrem hoher Bedarf herrscht, ist zweifellos so – und er wird steigen. Die Gehaltsvorstellungen würde ich als fair bezeichnen, der Korridor liegt zwischen 40.000 und 140.000 Euro Jahresbrutto, je nach Können und Erfahrung. Ausreißer wie etwa ein 29-Jähriger, der unter 120.000 Euro brutto im Jahr nicht einsteigt, sind wirklich selten und nur in ganz wenigen Spezialnischen zu finden. Es stimmt, dass klassische Unternehmensraster, wie etwa vorgegebene Arbeitszeiten zwischen neun und fünf Uhr, Developers nicht reizen. Was die machen, ist extrem fordernde Denkarbeit, die extreme Genauigkeit verlangt. Wenn da eine oder einer zwischen 23 und drei Uhr früh seine beste Phase hat, dann ist das eben so. Und das muss akzeptiert sein.

STANDARD: Was geht gar nicht?

Bauer: Eine hierarchisierte Arbeitsumgebung beispielsweise, also dass es bestimmte gute technische Geräte nur für die Geschäftsführung gibt. Diese Leute leben mit ihren Geräten, das geht einfach gar nicht. Bei uns können alle ihre Arbeitsumgebung selbst gestalten, so wie sie die wollen und brauchen. Alles andere wäre ja auch Unsinn – soll ich 200 Euro beim Gerät sparen und dann 20.000 Euro ausgeben, um einen Developer zu suchen?

STANDARD: Reden wir noch immer überwiegend von Männern, die Software entwickeln?

Bauer: Es ändert, es bessert sich gerade. Aktuell würde ich sagen, dass es 67 zu 33 Prozent steht, es kommen immer mehr Frauen ins Development. Viele Menschen sind Autodidakten, viele Studienabbrecher, die eine Programmiersprache selber gelernt haben, dann in einem Team dazugelernt haben und dann ihre Berufung gefunden haben. Es ist bunt gemischt. Ein starres Ausbildungskonzept in einer Organisation ist dann natürlich auch nicht das, was sie lockt. Inspirierende Vorträge, Speeches, Events – das ist schon was anderes.

STANDARD: Das Selbstbewusstsein ist aber groß in dieser Branche, oder?

Bauer: Ja, das ist es. Diese Leute wissen, dass sie heiß begehrt sind. Viele vermeiden sogar, sich auf Social Media zu zeigen, weil sie es nicht mehr aushalten, mehrmals täglich von Headhuntern angesprochen zu werden.

STANDARD: Also wie bekomme ich sie in meine Firma?

Bauer: Nur indem es ein Angebot gibt, das in das Lebenskonzept passt. Was genau das ist, variiert vom Jungpapa bis zum senioren Programmierer, der halt von einem bestimmten Ort aus arbeiten möchte. Es ist eigentlich so, wie es sich nun in der gesamten neuen Arbeitswelt anbahnt: Die Botschaft muss stimmen und natürlich eingehalten werden. Developer sind Vorreiter der New Work. Leider glauben sehr viele Unternehmen noch immer, sie können "copy and paste" machen und irgendeine Stellenausschreibung in die Welt setzen. Das funktioniert nicht. Hierarchisierungen funktionieren auch gar nicht.

STANDARD: Was müsste denn geschehen, um die wachsende Not aus Unternehmenssicht zu lindern?

Bauer: Ich sehe drei Stellschrauben. Erstens die Sprache. Viele Firmen glauben noch, dass sie einen deutschsprachigen Developer finden. Die leben aber im Englischen, auch in den Programmiersprachen von der Syntax her. Allerdings sind Developer grundsätzlich sehr sprachenaffin, lernen also auch gerne neue Sprachen. Das sollten Firmen bedenken. Zweitens geht es um die Frage der Arbeitsorte. Eine Developerin muss wirklich nicht in Gelsenkirchen sitzen. Remote Work muss Basisangebot sein. Und drittens muss jetzt wirklich mit der Rot-Weiß-Rot-Karte etwas passieren. Da findet man tolle Leute in Pakistan, im Irak und kriegt sie nicht oder nur mit unendlich mühsamen Prozeduren in die heimischen Unternehmen. Das ist eine enorme Hürde, wir müssen da wirklich lernen, global zu denken.

STANDARD: Persönlich gefragt: Ist es das Tolle an Ihrem Job, auf dem heißesten Topf zu sitzen?

Bauer: Cool für mich ist, als kleines Start-up mit 50 Leuten global agieren zu können und Verständnis für diesen Bereich zu schaffen. (Karin Bauer, 11.2.2022)