Foto: Ouriel Morgensztern / Belvedere, Wien

Wie viel lässt man sich den Verlobungsring kosten, wenn man mehr als sechs Milliarden US-Dollar besitzt? Diese Frage musste Bill Gates beantworten. Nicht gerade ein Alltagsproblem, aber in ihrer Radikalität liegt die Schönheit der Frage. Niemand möchte beim Antrag geizig rüberkommen, aber eben auch nicht so, als habe man es nötig, das Gegenüber mit Kostbarem zu erweichen. Die Summe für den Ring liegt bei sechs Milliarden nur nicht so nah beisammen wie beim Musterbürger. Investor Warren Buffett wollte seinen Freund Bill Gates noch überreden, 370 Millionen Dollar in seinem Juwelierladen Borsheims auszugeben – vergeblich. Bill kaufte für Melinda einen Ring mit einem Ein-Karat-Diamanten, also mittelgroß. Die Ehe hielt 27 Jahre.

Von jeher ist klar, dass es für langlebige Verbindungen langlebige Gaben braucht: Gold, Silber, Perlen, Armbanduhren, eben etwas von Bestand. Nun sind Pixel bislang nicht gerade als belastbares Baumaterial für eine Beziehung bekannt gewesen. Was soll man also davon halten, wenn einen der oder die Liebste mit einem Non-Fungible Token (NFT) als Liebesbeweis überrascht? Das fragen sich am Montag bis zu 10.000 Menschen – denn so viele NFTs möchte das Belvedere-Museum Wien zum 14. Februar verkaufen. Ein Non-Fungible Token ist ein digitales Kunstwerk im Internet, oft ein Bild oder Video, auf jeden Fall ein Unikat. Keiner versteht zwar ganz genau, was ein NFT soll und wieso es so teuer sein kann, aber wer eines hat, gibt gerne damit als Profilbild an.

Das Belvedere Wien bietet die digitale Version von Gustav Klimts "Kuss" in 10.000 Ausschnitten als NFTs an. Kostenpunkt: 1.850 Euro pro Stück.
Foto: Ouriel Morgensztern / Belvedere, Wien

Ein Token unserer Liebe

Vereinfacht gesagt wird das Gemälde Der Kuss von Gustav Klimt digitalisiert, am Rechner in 10.000 Quadrate aufgeteilt, und jedes dieser rund drei Quadratzentimeter kleinen Pixelquadrate kann man kaufen. Für 1.850 Euro pro NFT – umgerechnet, denn bezahlt wird aus dem Ethereum Wallet; und ungefähr, denn der Kurs schwankt. Werden alle NFTs verkauft, kommen 18,5 Millionen Euro zusammen. Ein Scherz? Die Anzahl der Anwaltskanzleien, die beratend und kaufabwickelnd für das Belvedere tätig sind, machen klar: nein.

Was sagt es also über eine Gesellschaft aus, wenn ein Haufen sachlicher Pixel als Unterpfand der Liebe, als Geschenk zum Valentinstag vermarktet wird? Und das auch noch erfolgreich! Ist das die Folge eines Beziehungszeitgeists, der sowieso ins Flüchtige weht? Es wird weniger geheiratet, Ehen halten kürzer, allerorten serielle Monogamie. Wo man früher in einer treuen Beziehung war, befindet man sich heutzutage vielleicht in einem "Situationship", einer unerklärlichen, unverbindlichen Situation. Ist eine Pixelansammlung in Form eines NFTs also das konvertierbare, vergängliche Unterpfand, das diese Generation verdient? Verhält sich das NFT zum Situationship wie der Verlobungsring zur Ehe?

Seit Jahrhunderten gibt es das Konzept des "Unterpfands", wenngleich der Begriff, der in Schillers Die Räuber und Grimms Deutsches Wörterbuch auftauchte, heute kaum noch gebräuchlich ist. Gibt eine Person ein Versprechen, bekommt das Gegenüber zusätzlich zum Versprechen einen Gegenstand – eben das Unterpfand als Beteuerung. Ein Unterpfand ist eine materielle Sicherheit für etwas Abstraktes. Es handelt sich dabei weder um ein Tauschgeschäft noch ein Geschenk. Geschenke sind nicht an eine Bedingung geknüpft, der Verlobungsring jedoch wird nur übergeben, wenn die Frage "Willst du mich heiraten?" bejaht wird.

Vom geflochtenen Ring bei den Pharaonen zum antiken römischen Eisenring mit eingraviertem "Pignus amoris habes", "Du hast meiner Liebe Pfand", über den Goldring zum digitalen Kunstwerkschnipsel – steht ein Paradigmenwechsel in der Art, wie wir Zuneigung untermauern, bevor? Löst sich das Unterpfand vom Materiellen ins Digitale auf? Es lohnt sich abzuklopfen, ob ein NFT quasi nur entmaterialisiert ist, aber die Werte der althergebrachten Dinge noch aufweist: Beständigkeit, Wert, Zeitlosigkeit, Ästhetik, sentimentaler Wert.

Teures ist wohl ernst gemeint

Wie lange haltbar ein NFT sein wird, ist jetzt, in den Anfangsjahren, seriös schwer abzuschätzen, das versteht jeder, der noch weiß, was eine Diskette ist. Auch für das Überreichen eines NFTs gibt es keine Konvention – blickt man gemeinsam ins blaue Licht des iPads? Und auch wenn es keinen intrinsischen Wert mitbringt, sollte man doch anerkennen, dass ein Valentinstagsgeschenk für 1.850 Euro überdurchschnittlich teuer ist. Das lässt auf ernste Absichten schließen.

In einer Umfrage des österreichischen Handelsverbands gaben etwa Oberösterreicher an, sie wollten zum Valentinstag 2022 um die 100 Euro ausgeben, Tiroler und Wiener um die 80 Euro, Burgenländer rund 43 Euro. Für 43 Euro, das muss man so sagen, kriegt man vielleicht gerade einmal ein NFT vom Nachbarn aus Oberpullendorf.

Eine weitere Eigenschaft eines ernst gemeinten Liebesgeschenks ist, dass es zeitlos ist – es soll eben gerade nicht modisch, sondern so klassisch sein, dass man es auch im Alter noch gerne ansieht. Der Kuss-NFT ist beides: zeitlos, weil es sich um eines der beliebtesten Gemälde des Jugendstils eines etablierten Künstlers handelt; zudem hat es mit zwei Liebenden ein universelles Motiv.

NFTs sind das Gegenteil: aufregend, neu, schwer verständlich, eine Kopfgeburt. Kurz, ein NFT verkörpert den absoluten Zeitgeist und ist eine Zumutung. Schließlich gehört einem bei einem Klimt-NFT das Original einer Kopie eines Gemäldes, allerdings eben digital, und es ist ein Einzelstück. Uff. Vielleicht sind NFTs so etwas wie die logische Weiterentwicklung von Andy Warhols Siebdrucken: Ab der 1960er-Jahre vervielfältigte er per Siebdruck Tomatensuppendosen oder Marilyn Monroe. Anfangs verstand niemand, wieso man eine Reproduktion als Kunstwerk kaufen sollte – gut sechzig Jahre später gibt es tokenisierte Gemälde zu kaufen, und die Verwirrung ist erneut groß.

Hackschnitzel mit Wert

Auch die zeitlose Schönheit ist schwer zu bemessen. Das Gemälde aus dem Belvedere ist erhaben. In 10.000 Mini-Schnipsel zerhackt: nun ja, nicht gerade. Die kleinen Hackschnitzel von Klimts Meisterwerk sind goldene Quadrate mit pastosem Auftrag, schwarze, weiß-blaue oder grün-gelbe. Auswählen kann man sich sein Quadrat übrigens nicht – die Chance auf das Kussmund-Qua drat ist genauso hoch wie auf einen schwarzen Fleck.

Laut The Block betrug das NFT-Handelsvolumen 2021 mehr als 13 Milliarden Dollar, im Vorjahr 33 Millionen Dollar. Christie's versteigerte im Februar 2021 das erste NFT, ein Kunstwerk von Beeple für 69 Millionen Dollar. Hier ebnen Auktionshäuser einen Weg, der den Originalbegriff zwar manifestiert, aber zugleich deren Kerngeschäft – das Besitzen alter Werte – ad absurdum führt. Privatpersonen wie Kunsthändler müssen sich positionieren, wie anfassbar ein Wert für sie sein sollte. Auch wenn Beständigkeit, Schönheit, Zeitlosigkeit schwer einzuschätzen sind, der sentimentale, finanzielle und historische Wert des Klimt-Einzelteils ist vorhanden. Man kann mit einiger Berechtigung davon ausgehen, dass es eine beträchtliche Wertsteigerung geben wird.

Und ist es nicht genau das, was ein bedeutsames Liebesgeschenk immer ausgemacht hat? Dass sich jemand ein Pixelquadrat ansieht und darin ein Meisterwerk erahnt, dass jemand daran glaubt, dass aus 1.850 Euro ein Millionenwert werden kann und aus einer kleinen Flamme eine lebenslange Liebe? So gesehen ist ein NFT die perfekte Allegorie – und die romantischste Gabe zum Valentinstag. (Nora Reinhardt, 14.2.2022)