Hoda Khamosh befindet sich noch in Oslo.

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Beim Taliban-Treffen in Oslo hielt Khamosh die Bilder von verschleppten Aktivistinnen in die Kameras und die Gesichter der radikalen Islamisten.

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Als die Taliban zum ersten Mal offiziell zu Gesprächen im Westen eingeladen waren, stellte sich ihnen Hoda Khamosh in den Weg. Die 25-jährige afghanische Frauenrechtlerin war Teil der Delegation, die mit den radikalen Islamisten Ende Jänner in Oslo aufeinandertraf. Khamosh hielt dem Außenminister der Taliban, Amir Khan Muttaqi, die Bilder von verschleppten Frauen vors Gesicht. "Gehen Sie sofort ans Telefon, rufen Sie in Kabul an und fordern Sie, dass diese Frauen freigelassen werden", rief die junge Frau. Muttaqi wies jede Schuld der Taliban am Verschwinden der Aktivistinnen von sich.

"Tamana Zaryabi Paryani, Parwana Abraham Khil, Morsal Ayar, Zahra Mohamadi, Zarmina Paryani, Shafiqa Paryani, Karyma Paryani, Aliya Aziz und hundert andere sind in Haft", schrieb Khamosh via Whatsapp an den STANDARD, um auf die verschwundenen Aktivistinnen in Afghanistan aufmerksam zu machen, mit denen sie in den vergangenen Monaten noch auf den Straßen für mehr Rechte demonstrierte. Zumindest vier der "vermissten" Frauen sollen am Sonntag laut Angaben der Uno-Unterstützungsmission für Afghanistan (Unama) wieder freigelassen worden sein. Dafür wurden mehrere Aktivistinnen und ihre Familien kurz darauf verschleppt – insgesamt 44 Menschen sollen es diesmal gewesen sein, sagt eine Unterstützerin Khamoshs am Sonntagabend. Im Telefoninterview erzählte die junge Frau, die sich noch in Norwegen befindet, über die Lage in ihrer Heimat unter den Taliban.

STANDARD: Wieso haben Sie sich in Oslo für diese Form des Protests entschieden?

Khamosh: Das sind Frauen, mit denen wir lange Zeit protestiert, die sich trotz allem nach draußen getraut haben. Wenn in Kabul niemand von ihrem Schicksal hören möchte, dann musste ich es hier probieren.

STANDARD: Berichte über verschleppte Frauen häufen sich auch in westlichen Medien. Wer sind die Täter? Sind es tatsächlich nur lokale Taliban, wie die Führung in Kabul verlautbaren lässt?

Khamosh: Nein. Ich kann mich selbst erinnern, dass uns General Mobin Khan (Sprecher der Taliban-Polizei in Kabul, Anm.) bedroht hat. Er hat auch auf Twitter Spaces Frauenrechtsaktivistinnen bedroht. Sie würden ihre sogenannte "gerechte Strafe" bekommen. Das kann alles bedeuten. Drei Tage später wurden die Bedrohten verschleppt. Mich wundert es aber wenig, dass die Taliban-Führung die Verschleppungen nun den einfachen Soldaten in die Schuhe schieben will. Jetzt, wo sie mit dem Westen verhandelt und ausländisches Geld will.

STANDARD: Wie hat sich die Lage der Mädchen und Frauen seit der Machtübernahme der radikalen Islamisten geändert?

Khamosh: Wenn man für seine Rechte auf die Straße geht, wird man von den Taliban gefoltert, mit dem Gewehrkolben verprügelt. Das kennen wir schon. Doch nun ist man dazu übergegangen, die Frauen im Geheimen zu verschleppen. Man versucht unsere Stimmen vollständig verstummen zu lassen. Doch nicht nur deshalb ist die Lage für Mädchen und Frauen sehr schwierig. Es gibt keinen Zugang zu Bildung, keine Arbeit und mancherorts ist es sogar schwierig, einkaufen zu gehen. Die Frauen verschwinden als würde ein Licht von der Dunkelheit verschluckt werden.

STANDARD: Wie geht es den religiösen Gruppen, den Schiiten – allen voran den Hazara – und den Sikhs?

Khamosh: Die Sikhs haben bereits vor der Machtübernahme durch die Taliban das Land verlassen. Defacto gibt keine mehr. Ich kann mich an die Bilder von einem alten Sikh-Mann erinnern, der nach der Machtergreifung der Islamisten weinend in den Medien war, weil er nicht sein Land verlassen wollte. Den Hazara geht es schlecht. Viele von ihnen werden ermordet oder verschwinden auf mysteriöse Weise. Vor allem jene, die für die ehemalige Regierung gearbeitet haben. Teilweise kommt es zu regelrechten Säuberungsaktionen in den Hazara-Gebieten.

STANDARD: Wie stabil ist Ihrer Meinung nach das Taliban-Regime? Könnte es zu einer Zerreißprobe zwischen den pragmatischeren und den dogmatischeren Flügeln kommen?

Khamosh: Ja, ich denke, dass das passieren kann. Man merkt auch bei den Protesten, dass da keine Einigkeit bei den Taliban herrscht. Als wir auf die Straße gegangen sind, kam auch eine kleinere Gruppe von Taliban, die sich zumindest unsere Forderungen anhören wollten. Aber dann gibt es natürlich auch solche, die dem entgegenstehen, die gleich auf Demonstrantinnen einprügeln und keine Gleichberechtigung wollen. Letztgenannte treffen im Moment die Entscheidungen.

STANDARD: Nachdem die Taliban in Norwegen waren, sind Vertreter vor kurzem auch in der Schweiz gewesen, um humanitäre Hilfe zu verhandeln. Ist es richtig, dass die westlichen Staaten trotz allem mit ihnen sprechen, um ein Mindestmaß an Menschenrechten zu ermöglichen?

Khamosh: Wenn die Absicht doch nur wäre, dass man wirklich über humanitäre Hilfe spricht, dann gäbe es andere Wege. Man könnte UN-Organisationen wie Unicef unterstützen oder lokale Hilfsinitiativen. Indem man die Taliban ins Ausland einlädt, erkennt man sie aber quasi an. Der Westen hilft, ihr Regime zu normalisieren. Jetzt haben die Taliban noch nicht einmal die Versprechen nach mehr Menschenrechten von Oslo realisiert und schon sitzen sie in Genf. Morgen kommt ein neues Gastgeberland, übermorgen wieder ein anderes. Es gibt andere Wege, um Hilfe für die afghanische Bevölkerung bereitzustellen.

STANDARD: Aber wie können Gebernationen sicherstellen, dass das Geld auch dort landet, wo es hinsoll und nicht in den Taschen der Machthabern?

Khamosh: Es muss Transparenz auf beiden Seiten herrschen. Die Gebernationen müssen nachfragen, wohin das Geld fließt, kontrollieren, ob es dort auch tatsächlich ankommt, detaillierte Berichte der Hilfsorganisationen verlangen. Wenn das passiert, kann niemand Geld einstecken. (Bianca Blei, 14.2.2022)