Männer werden männlicher, wenn sie viel vertragen. Frauen trinken dagegen oft im Verborgenen – denn sie müssen weiter funktionieren.

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Langeweile kann eine Motivation sein. Gesellschaftliche Konventionen. Gewohnheit. Stressabbau. Der Wunsch nach Belohnung. Das Bedürfnis nach mehr Lockerheit, etwa wenn man Ängste hat. Aber auch Depressionen können dahinterstecken. Die Gründe, warum man zu Wein, Bier, Prosecco oder auch Gin Tonic und Schnaps greift, sind vielfältig. Und nicht alle, die zu viel trinken, sind auch automatisch alkoholkrank. "Man muss unterscheiden zwischen problematischem Konsum, schädlichem Konsum und Suchterkrankung", erklärt Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien.

Klar ist: Alkohol ist ein Zellgift. Trinkt man ihn, schädigt man den eigenen Körper. Es gibt einen als unbedenklich eingestuften Konsum, das ist bei Männern 0,6 Liter Bier oder 0,3 Liter leichter Wein – täglich. Frauen können zu 0,4 Liter Bier oder 0,2 Liter leichtem Wein greifen. Multipliziert man diese Mengen mit dem Faktor 2,5, wird es tatsächlich problematisch, das hat die WHO offiziell so eingestuft. Wie viel Alkohol getrunken wird, ist auch kulturell bedingt, betont Lochner, "Österreich ist mit Sicherheit ein Hochkonsumland. Das zeigt auch eine OECD-Studie aus dem Jahr 2021."

Vieltrinkerland Österreich

Diese ohnehin nicht gute Ausgangslage wurde durch die Pandemie noch verstärkt, Studien zeigen eine klare Tendenz: Die Menschen haben insgesamt mehr getrunken. Aber vor allem jene, die schon gefährdet waren, sind durch die Pandemie, besonders in den Lockdowns, tiefer in den problematischen Konsum gerutscht. Etwa 15 Prozent der Menschen in Österreich trinken in besorgniserregendem Ausmaß, fünf Prozent sind alkoholkrank. Und das ist unabhängig von den individuellen Voraussetzungen, wie Lochner weiß: "Das zieht sich durch alle sozialen Schichten quer durch. Aber die Auswirkungen sind unterschiedlich."

Im unteren Einkommensdrittel etwa kann sich Sucht sehr schnell in Jobverlust und finanziellen Problemen niederschlagen – es gibt kein Sicherheitsnetz, die soziale Abwärtsspirale wird rasch Realität. Im oberen Einkommensdrittel ist das auch möglich, aber es gibt mehr Resilienzfaktoren. Arbeitslosigkeit schlägt später zu, es gibt meist finanzielle Rücklagen, bessere Netzwerke. Und die soziale Akzeptanz ist größer. Lochner: "Das ist ein gesellschaftliches Konstrukt. An der gutsituierten Familie, in der die Eltern jeden Abend zwei Flaschen Wein leeren, wird sich lange niemand stoßen. An einer herumtorkelnden Frau auf der Straße sehr wohl."

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In Maßen genossen wirkt Alkohol tatsächlich entspannend. Deshalb ist es auch so schwer zu erkennen, dass man ein Problem hat.
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Immerhin ein Drittel der Alkoholgefährdeten sind Frauen. Sie trinken aber versteckter, ihre Sucht ist deshalb nicht so sichtbar. "Gesellschaftlich ist es immer noch so, dass trinkfeste Männer als noch männlicher gesehen werden. Bei Frauen kritisiert man das eher", sagt Barbara Gegenhuber, Geschäftsführerin des Schweizer Hauses Hadersdorf und Leiterin der Gesundheitsgreisslerei, einer Institution nur für Frauen mit Suchterkrankungen.

"Die weibliche Sucht ist immer noch ein Tabu, dabei haben Frauen gerade in der Pandemie besonders gelitten. Sie tragen einen großen Teil der Care-Arbeit, erfüllen viele unterschiedliche Rollen, funktionieren den ganzen Tag. So manche gönnen sich dann am Abend, wenn alles erledigt ist, die Kinder im Bett sind, ein Entspannungsgläschen. Aus dem dann auch mehrere werden können."

Die schnelle Flucht

Aber die Ursachen für die Flucht in den Alkohol sind vielfältig: "Wir sehen viele Frauen mit Gewalt- und Missbrauchserfahrungen, etwa jede vierte suchtgefährdete Frau ist auch aktuell von Gewalt betroffen", sagt Gegenhuber. Deshalb wurde für Frauen in der Gesundheitsgreisslerei auch ein geschützter Raum geschaffen, wo es nur um sie geht: "Frauen neigen dazu, sich um andere zu kümmern, auch in der Therapie. Hier kümmern sie sich nur um sich selbst und um die Gruppe, in die keine Männer, die häufig in ihrem Leben auch "Täter" waren, hineinkönnen. Dieses geschützte Setting findet großen Zuspruch."

Was Alkohol zu einer solch gefährlichen Droge macht: Er wirkt, in Maßen, tatsächlich entspannend. "Bis zu einem gewissen Punkt macht er locker. Deshalb ist es auch so schwer zu erkennen, dass man ein Problem hat. Es gibt keine klaren Symptome wie Fieber bei einer Grippe. Genau diese subjektive Erkenntnis ist aber Voraussetzung dafür, dass man etwas an der Situation ändern kann", sagt die klinische Psychologin und Psychotherapeutin Monika Lierzer vom Zentrum für Suchtmedizin am LKH Graz II.

Die Akzeptanz der Krankheit und die Bereitschaft, etwas zu verändern, sind zwei wichtige Voraussetzungen für die Therapie: "Und den Betroffenen muss klar werden, sie müssen diesen Weg selbst gehen, den kann ihnen niemand abnehmen. Diese Selbstverantwortung ist enorm wichtig. Die Betroffenen bekommen dafür aber neue Selbstbestimmung zurück, weil sie ihre eigenen Strategien entwickeln können, wie sie mit dem Thema umgehen."

Angehörige als Mitgefangene

Entscheiden sie sich dafür, dem Problem ins Gesicht zu sehen, kann das nicht nur die eigene Lebensqualität enorm verbessern. Auch für ihr Umfeld ist das ein bedeutender Gewinn. Eltern, Kinder, Partnerin oder Partner trinkender Menschen leiden ja genauso an der Sucht. Welche Ausmaße das annehmen kann, erzählt Clara B. (Name geändert). Die Mutter der heute 38-Jährigen war Alkoholikerin. Nicht auffällig, aber eine Spiegeltrinkerin. Wie sehr sie das geprägt hat, ist ihr erst spät bewusst geworden: "Ich hatte schon einmal einen Partner mit Suchtproblemen. Er war aber nicht bereit, sich damit auseinanderzusetzen, darum habe ich mich getrennt."

Ihr jetziger Partner arbeitet in der Gastronomie. Und nach einigen Monaten wurde ihr klar, dass auch er ein Alkoholproblem hat. "Er hat nie so viel getrunken, aber täglich." Das Gute: Er will das ändern. "Diese Bereitschaft ist nicht von heute auf morgen gekommen, aber ich merke, er will das wirklich. Zu Hause trinken wir ohnehin nichts. Und wenn wir unterwegs sind, haben wir gemeinsame Strategien entwickelt, um Alkohol zu vermeiden."

Das klappe sehr gut, mittlerweile seien auch fast alle Freunde im Bilde – und fänden es gut, dass Clara B.s Partner sich seinem Problem stelle. Ihr ist aber bewusst, dass das ein längeres Projekt ist: "Ich bin für ihn da, unterstütze ihn, auch wenn es einen Rückfall geben sollte. Aber den Weg muss er selbst gehen. Es wird immer schwierige Situationen geben. Ist der erste Lösungsansatz der Griff zur Flasche, trage ich das nicht mit. Dieses Rennen kann ich nämlich nur verlieren."

Therapie hat ihr dabei geholfen, sich so klar abzugrenzen: "All die undefinierten negativen Gefühle, die ich als Kind hatte, sind wieder aufgetaucht. Aber jetzt bin ich erwachsen, ich verstehe sie und kann sie verändern. Ich würde mit diesem Abstand gern Alkoholiker-Eltern erzählen, wie es ihren Kindern geht." (Pia Kruckenhauser, 12. Februar 2022)