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Das Satellitenbild zeigt ein Zeltlager auf dem Flugplatz Oktjabrskoje auf der Krim am 10. Februar 2022.

Foto: Satellite image ©2022 Maxar Technologies via AP

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Ukrainische Soldaten bei einem Checkpoint nahe der Grenze zum Gebiet, das von pro-russischen Rebellen kontrolliert wird.

Foto: AP / Andriy Dubchak

Moskau/Washington/Kiew – Ein Telefonat von US-Präsident Joe Biden mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin hat keine Entspannung in der Ukraine-Krise gebracht. Das Gespräch habe nur gut eine Stunde gedauert, berichtete der US-Sender CNN Samstagmittag (Ortszeit). Das Telefonat habe nicht zu einer deutlichen Änderung der bisherigen Positionen geführt, hieß es aus dem Umfeld Bidens.

USA: Für Diplomatie und "andere Szenarien" bereit

Biden habe in dem Telefonat mit Putin für Diplomatie geworben, aber zugleich bekräftigt, dass Russland im Fall eines Einmarsches in die Ukraine mit einer schnellen und entschiedenen Antwort rechnen müsse, teilte das Weiße Haus mit. "Eine weitere russische Invasion in der Ukraine würde großes menschliches Leid verursachen und das Ansehen Russlands verringern", hieß es. Die USA sei weiter bereit, sich diplomatisch zu engagieren, "aber wir sind genauso bereit für andere Szenarien".

Der Kreml bekräftigte nach dem Telefonat, die US-Vorschläge zu Sicherheitsfragen würden die wesentlichen Bedenken Russlands nicht berücksichtigen. Putin habe im Detail erklärt, warum das jetzt aber diskutiert werden müsse. Zudem habe der Westen nicht genug Druck auf die Ukraine ausgeübt, sich an die Vereinbarungen des Minsker Abkommens zu halten. Zu einem möglichen russischen Einmarsch erklärte der Kreml, die Warnungen davor hätten inzwischen ein absurdes Niveau erreicht. Es handle sich um "Hysterie", erklärte Putin-Berater Juli Uschakow. Dennoch sei das Gespräch "ziemlich ausgewogen und sachlich" gewesen. Biden habe "eine Reihe von Überlegungen" dargestellt, die aus US-Sicht russische Sorgen über die Sicherheit in Europa berücksichtigten, sagte Uschakow. Putin habe zugesichert, diese Ausführungen zu prüfen. Zugleich sei bereits deutlich geworden, dass zentrale russische Forderungen damit nicht erfüllt würden.

Putin sprach am Samstag auch mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Dieser warnte den russischen Präsidenten vor einer militärischen Eskalation. Beide Staatschefs hätten "den Willen zur Fortsetzung des Dialogs" geäußert, hieß es aus dem Elysee-Palast. Der Kreml teilte mit, dass Putin Berichte über einen russischen Angriff auf die Ukraine als "provokative Spekulationen" zurückgewiesen habe. Vielmehr liefere der Westen der Ukraine "moderne Waffen" und schaffe damit "Bedingungen für mögliche aggressive Aktionen der ukrainischen Sicherheitskräfte im Donbass". Macron sprach nach seinem Telefonat auch mit dem deutschen Kanzler Olaf Scholz. Auch Telefonate Macrons mit Biden und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sollten am Samstag stattfinden.

Militärischer Zwischenfall

Kurz vor dem Telefonat Putins mit Biden gab Moskau einen Zwischenfall mit einem US-U-Boot im Pazifik bekannt. Das U-Boot sei vor den Kurilen aus russischen Gewässern vertrieben worden. Das U-Boot sei während einer Marineübung Russlands in russische Gewässer eingedrungen und habe diese erst nach "geeigneten Maßnahmen" der russischen Seite verlassen, meldete die Nachrichtenagentur Interfax. Wegen des Vorfalls sei der US-Militärattache ins russische Verteidigungsministerium zitiert worden.

Dabei schienen die USA bestrebt, eine direkte Konfrontation mit Russland zu vermeiden. Entsprechend wurde die Anordnung von Verteidigungsminister Lloyd Austin am Samstag gedeutet, alle noch verbliebenen US-Soldaten aus der Ukraine abzuziehen. Konkret sollten 160 Mitglieder der Florida-Nationalgarde aus dem Land verlegt werden. Washington hatte davor gewarnt, dass Russland das Nachbarland schon am 16. Februar angreifen könnte.

Berichte über Einmarsch Russlands

Von einem möglichen Einmarsch Russlands am kommenden berichtete zuvor "Der Spiegel". Ähnliches hatten auch CNN, PBS und das "Wall Street Journal" unter Berufung auf eine Besprechung Bidens mit Verbündeten gemeldet. Den Berichten nach haben die USA Meldungen über eine Entscheidung Putins abgefangen, die auch dem russischen Militär bereits mitgeteilt worden sei. Das Weiße Haus wollte den Bericht nicht kommentieren. Sicherheitsberater Jake Sullivan sagte in einem Briefing, die Berichte seien "nicht akkurat".

Russlands Botschaft in den USA wies die amerikanischen Warnungen vor einem Überfall auf die Ukraine als haltlos zurück. Es werde "Alarmismus" verbreitet in den USA, ohne dass Beweise für die Behauptungen vorgelegt würden, teilte der russische Botschafter in Washington, Anatoli Antonow, am Samstag mit. Die Aussagen in Washington zeugten lediglich davon, dass die USA ihre "Propaganda-Kampagne gegen unser Land" verstärkt hätten, sagte Antonow.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte am Samstag, dass Warnungen vor einem bevorstehenden russischen Angriff auf sein Land nur "Panik" schürten, und verlangte eindeutige Beweise für eine geplante Invasion. "Wenn sie oder sonst jemand irgendeine zusätzliche Information über eine 100-prozentige Wahrscheinlichkeit einer Invasion hat, geben sie sie uns", fügte Selenskyj hinzu.

KLM stellt Flugverbindungen ein

Auf Nummer sicher gehen wollte die niederländische Fluggesellschaft KLM: Wie am frühen Samstagabend bekannt wurde, hat diese ihre Flugverbindungen mit der Ukraine eingestellt. Die Entscheidung sei aufgrund einer "umfassenden Analyse der Sicherheitslage" getroffen worden, erklärte KLM nach Angaben der niederländischen Nachrichtenagentur ANP. Zuvor hatte die Regierung in Den Haag alle Niederländer aufgefordert, die Ukraine so schnell wie möglich zu verlassen. "Die Sicherheitslage war bereits besorgniserregend, und sie hat sich in den vergangenen Tagen weiter verschlechtert", erklärte Außenminister Wopke Hoekstra.

Damit schlagen die Niederlande in die gleiche Kerbe wie auch andere Länder: Das US-Außenministerium ordnete etwa an, dass alle Mitarbeiter der US-Botschaft in Kiew, die nicht für Notfälle abgestellt sind, ausreisen sollten. Ab Sonntag würden zudem die konsularischen Dienstleistungen der US-Botschaft in Kiew eingestellt. Eine kleine konsularische Präsenz für Notfälle werde noch in Lviv unterhalten.

Auch das deutsche Auswärtige Amt sprach am Samstag eine Reisewarnung für die Ukraine aus. "Deutsche, die sich dort aufhalten, werden aufgefordert, eine Ausreise zu erwägen", teilte das Auswärtige Amt per Twitter mit. Eine militärische Auseinandersetzung sei nicht mehr auszuschließen, weshalb nicht "zwingend erforderliche" Aufenthalte in der Ukraine mit einer "kurzfristigen" Ausreise beendet werden sollten.

Eine explizite Reisewarnung aus Österreich gibt es derzeit nicht. Doch es wird zu Vorsicht geraten: "Aufgrund der durch die russischen Truppenbewegungen an der Grenze zur Ukraine ausgelösten Spannungen wird zurzeit von allen nicht unbedingt notwendigen Reisen in die Ukraine abgeraten", schreibt das Außenministerium.

USA verlegen weitere Soldaten nach Polen

Die USA verlegen unterdessen rund 3.000 weitere Soldaten in den Nato-Partnerstaat Polen. Die Soldaten sollten Anfang kommender Woche an Ort und Stelle sein, teilte das Verteidigungsministerium mit. Sullivan machte deutlich, dass die USA einen russischen Einmarsch in die Ukraine noch vor dem Ende der Olympischen Winterspiele in China am 20. Februar für möglich halten. "Wir befinden uns in einem Zeitfenster, in dem eine Invasion jederzeit beginnen könnte, sollte sich Wladimir Putin dazu entschließen, sie anzuordnen", sagte Sullivan im Weißen Haus.

Die US-Regierung hatte erst Anfang des Monats die Verlegung von rund 2.000 Soldaten nach Europa angeordnet. 1.700 davon sollten ebenfalls nach Polen verlegt werden, ein Nachbarland der Ukraine. Auf Bidens Anordnung hin waren Ende Jänner bereits rund 8.500 Soldaten in den USA in erhöhte Bereitschaft versetzt worden, um bei Bedarf eine schnelle Verlegung nach Europa zu ermöglichen. Es sollen aber keine Soldaten in die Ukraine geschickt werden. In Europa sind auch außerhalb von Krisenzeiten viele US-Soldaten stationiert – derzeit mehr als 80.000 Soldaten.

Russisches Marinemanöver vor Krim begonnen

Unterdessen hat Russland ein groß angelegtes Marine-Manöver nahe der annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim begonnen. Von Sewastopol und Noworossijsk aus seien "mehr als 30 Schiffe der Schwarzmeerflotte" ins Meer gestochen, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau am Samstag mit.

Zweck der Übung sei, "die Meeresküste der Halbinsel Krim, die Stützpunkte der Streitkräfte der Schwarzmeerflotte" sowie Einrichtungen des "Wirtschaftssektors" vor "möglichen militärischen Bedrohungen zu schützen".

TV-Sender "Nash" geschlossen

In der Ukraine hat Präsident Wolodymyr Selenskyj den sechsten russlandfreundlichen Nachrichtensender innerhalb eines Jahres geschlossen. "Nicht ein wirklich unserer, ukrainischer Fernsehsender hat gelitten", schrieb das Staatsoberhaupt am Freitagabend in sozialen Netzwerken. Dem Erlass zufolge wurden dem Kanal "Nash" die Sendelizenzen entzogen und alles Eigentum für fünf Jahre blockiert. Der TV-Sender "Nash" gilt als Kreml-nah und wurde bisher von Jewhen Murajew und seinem Vater Wolodymyr betrieben. Das britische Außenamt hatte Ende Jänner angebliche Pläne Moskaus veröffentlicht, durch einen Putsch russlandfreundliche Persönlichkeiten an der Spitze der Ukraine zu installieren. Unter den fünf namentlich genannten mutmaßlichen Putschisten befand sich auch Jewhen Murajew.

Selenskyj hatte im vergangenen Jahr bereits fünf regierungskritische TV-Sender und zwei Onlineportale schließen lassen. Kritiker werfen dem 44-Jährigen Willkür und autoritäre Tendenzen vor. Insbesondere wird kritisiert, dass die Schließungen nicht per Gerichtsbeschluss erfolgten. (met, APA, 12.2.2022)