"Differenz zwischen moralischer und gesetzlicher Impfpflicht": Dorothee von Laer.

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Warnung vor dem Gewöhnungseffekt harter Maßnahmen: Wolfgang Merkel.

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Auch Verbote können produktiv sein, meint Katharina Rogenhofer.

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Plädoyer für liberalen Pragmatismus: Veit Dengler.

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Klimakrise, Corona und die unheilvollen Effekte der sozialen Medien – wir leben, findet der deutsche Demokratieforscher Wolfgang Merkel, "in Jahrzehnten der Dystopie". Die eiligen Anstrengungen zur Eindämmung des Virus und der ebenso dringende Kampf gegen die Erderhitzung fordern Einschränkungen. Aber wie steht es vor dem Hintergrund dieser drängenden Themen um die Freiheit in unserer Gesellschaft – und über wessen Freiheit reden wir eigentlich? Nicht nur Merkel, sondern auch die Virologin Dorothee von Laer, die Fridays-for-Future-Mitorganisatorin Katharina Rogenhofer sowie der Manager und Neos-Mitgründer Veit Dengler haben darüber am Sonntag im Burgtheater diskutiert. "Wo sind die Grenzen unserer Freiheit?", wollte der Moderator und leitende Redakteur des STANDARD, Eric Frey, von ihnen wissen. Veranstaltet hatten die Diskussion neben STANDARD und Burgtheater auch das Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) und die Erste Stiftung.

Diskussion "Europa im Diskurs" im Wiener Burgtheater.
IWMVienna

Was meinen wir aber überhaupt mit der Freiheit? Mit der bloßen Einschätzung, dass die Freiheit des einen dort ende, wo sie jene von anderen begrenze, komme man nicht mehr weit, führte Dengler in einem Definitionsversuch ins Treffen. Er denke da stark an die Ideen des liberalen Philosophen Isaiah Berlin, wonach man nicht gezwungen werden dürfe, etwas zu tun, was man nicht wolle. "Da tut sich Österreich besonders schwer in den letzten zwei Jahren", was auch mit der mangelnden Leistungsfähigkeit des politischen Systems zu tun habe. Besser organisierte Staaten hätten auf Maßnahmen gesetzt, die sich langfristig durchhalten ließen, so Dengler mit Verweis auf Schweden oder die Schweiz.

Lassen sich Parallelen zwischen Pandemie- und Klimapolitik ziehen? Es gehe in beiden Fällen um langfristige Fragen, womöglich würden wir sogar wegen der Klimakrise in ein Zeitalter der Pandemien schlittern, so Klimaaktivistin Rogenhofer, die an die Entstehung neuer Krankheiten durch das Zurückdrängen des Lebensraums von Tieren erinnerte. Zudem sei in beiden Fällen die Frage, ob Menschen richtig von der Politik mitgenommen werden. "Ganz am Anfang war eine extreme Krisen- und Katastrophenrhetorik", wie sie auch der Klimakrise manchmal entspreche. "Es war klar, dass etwas getan werden muss." Dass man dann schnell wieder ins umgekehrte Extrem, nahezu zu Sorglosigkeit gekommen sei, das habe sicher viele verunsichert. Ähnliche Pole gibt es auch in der Klimadebatte.

Nächste Welle so sicher wie Amen in der Kirche

Und auch die Frage nach Verpflichtungen stellt sich in beiden Fällen, aktuell bei Covid jene der Impfpflicht. Eine Unterscheidung zwischen moralischen und gesetzlichen Pflichten forderte von Laer in diesem Zusammenhang. Ein Vergleich: Gehe es darum, Bruder oder Schwester im Krankheitsfall eine Stammzellenspende zu geben, dann gebe es eine moralische Pflicht – aber niemand sei gesetzlich gezwungen, das wirklich zu tun. Eine Parallele gebe es da bei der Impfung. "Dass es eine moralische Impfpflicht gibt, das sollte jeder klar denkende Mensch eigentlich verstehen." Gesetzlich aber sei es kompliziert. Wissenschaftlich wichtig sei es, besonders gefährdete Gesellschaftsgruppen zu schützen, so von Laer. So mache man es etwa in Italien, wo es die Pflicht für vulnerable Gruppen gibt.

Noch einen Hinweis gab es von Merkel in diesem Zusammenhang. Weil es derzeit schwierig werden könnte, eine Impfpflicht durchzusetzen, werde in Deutschland über einen Vorratsbeschluss diskutiert. Die Pflicht könnte dann in Kraft treten, wenn es eine Variante und eine Welle gebe, die sie wirklich nötig machten. Von Laer findet eine solche Welle aber ohnehin vorhersagbar: "Die Welle im Herbst kommt so sicher wie das Amen in der Kirche."

"Verbote können viel bringen"

Bestimmte Wahrscheinlichkeitsspannen gebe es natürlich auch in der Klimakrise, meinte dazu Rogenhofer: "Aber es ist ziemlich klar, dass wir in eine Zukunft mit viel Leid stolpern, wenn wir jetzt nichts machen." Anders als bei Corona seien langsame Adaptionen und ein Eingreifen möglich. Man müsse neben der eigenen Freiheit jene zukünftiger Generationen mitdenken, so Rogenhofer. Verbote könnten hier "auch viel bringen, weil sie Innovationen hervorrufen". Das Verbot der Glühbirne etwa habe zur Entwicklung guter und energiesparender LED-Lampen geführt – und zwar ziemlich schnell. Und gebe es Innovationen und eine relativ langsame Anpassung, brauche es in der Zukunft dann keine schwereren Freiheitseinschränkungen.

Ein Einwurf von von Laer sorgte dann für Diskussionen. Man sei auch jetzt nicht "so frei in den Entscheidungen, sondern geprägt von gesellschaftlichen Normen und gesellschaftlichen Scheinbedürfnissen, die es gibt, damit Kapitalismus und Wachstum weiterlaufen". Die Freiheit der Meinung, der Bewegung, jene, eine Familie zu gründen und in Frieden zu leben, das sei natürlich unheimlich wichtig. Aber man müsse die Frage stellen, ob SUV und Schnitzel, ob eine neue, besonders schicke Waschmaschine auch Ausdruck der Freiheit sein müssten.

Hilft Pragmatismus?

Man solle da vorsichtig sein, warf Dengler ein. "Man kann jede Freiheit lächerlich machen mit dem Wunsch nach Schnitzel oder dem nach Urlaub am Mittelmeer. Aber diese vielen kleinen Freiheiten machen zusammen eben unsere ganze Freiheit aus."

Auch Merkel verwies auf die Spannungen, die sich aus den Forderungen nach Ver- und Geboten für die Demokratie ergäben – sonst sei ein Clash zwischen Wissenschaft und Demokratie zu befürchten. Und man müsse sehen, dass das auch die Spannungen erhöhe: Jene, die bei der Transformation übermäßig die Kosten zu tragen hätten, verdienten Beachtung – auch weil sie schon bisher finanziell zur unteren Hälfte der Gesellschaft zählen. Menschen seien außerdem nicht allein mit Angst zu motivieren. Statt der Jahrzehnte der Dystopie, in denen wir gerade leben würden, müsse es auch wieder Utopien geben, um Verhalten zu ändern.

Hilft am Ende aber auch Pragmatismus? Dengler plädierte dafür, weiter das Gespräch zu suchen – nicht zuletzt weil man auch in Zukunft zusammen leben und kommunizieren müsse. Der Ausbau der sozialen Medien führe dazu, dass man sich gesellschaftlich "permanent anschreie". So falle die Gesellschaft auseinander, vermieden werden könne das nur durch Regulierung. Hat unsere Gesellschaft da in den vergangenen zwei Jahren etwas gelernt? "Ich glaube, wir haben Resilienz gelernt, also den Umgang mit Widerständen. Was das gesellschaftliche Vertrauen und den Zusammenhalt betrifft, das sehe ich schwieriger. Da haben wir viel kaputtgemacht in den vergangenen zwei Jahren." (Manuel Escher, 13.2.2022)