Im Gastblog haben der Anthropologe Lukas Waltenberger und die Archäologin Katharina Rebay-Salisbury zwei spätbronzezeitliche Urnen mit menschlichen Knochenresten untersucht.

Dass ein Leichnam bei der Verbrennung nach dem Tod komplett zu Asche zerfällt, ist ein moderner Mythos, der sich hartnäckig hält. Speziell Knochen mit ihrem hohen Kalziumanteil verbrennen nur schwer, auch wenn tierische Knochen früher aufgrund des hohen Fettanteils oft als Brennstoff verwendet wurden. Verbrennen verändert die Struktur der Knochen, obgleich ihre Form zum größten Teil erhalten bleibt. Durch die Hitze schrumpft der Knochen, verformt sich und bildet Hitzerisse aus, die den Knochen in kleinere, nur noch mehrere Zentimeter große Fragmente zerfallen lassen.

Insgesamt bleiben bei der Kremierung eines Erwachsenen trotzdem noch 1,5 bis zwei Kilogramm verbrannte Knochen übrig. Während heute die Knochen nach der Kremierung in einer sogenannten Knochenmühle zu Staub gemahlen werden, wurden die Toten früher auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Nach der Verbrennung wurden die Fragmente händisch eingesammelt, um sie anschließend in Urnen zu bestatten. Aus diesem Grund ist es möglich, selbst aus verbrannten archäologischen menschlichen Überresten die Lebensweise der Verstorbenen zu rekonstruieren.

Mobilität im prähistorischen Österreich

Im Rahmen des FWF-geförderten Forschungsprojekts "Verbrannte Menschenknochen als Schlüssel zur Bronzezeit" untersuchen wir Brandbestattungen aus der Spätbronzezeit bis zur frühen Eisenzeit (circa 1300–600 v. Chr.), die in den heutigen Gemeinden Getzersdorf, Inzersdorf, Franzhausen-Kokoron und Statzendorf im Traisental in Niederösterreich gefunden wurden. Große Friedhöfe mit mehreren hundert Bestattungen weisen auf einen starken Bevölkerungsanstieg im Traisental vor über 3.000 Jahren hin. Uns interessiert, ob dieser Bevölkerungsanstieg unter anderem mit Migration und Mobilität zusammenhängt, und wir wollen geschlechtsspezifische Mobilität und Familienbeziehungen in der Urgeschichte erforschen. Im Vergleich zum veralteten Bild von wandernden Händlern, Kriegern und Handwerkern zeigt sich in aktuellen Forschungsprojekten immer mehr, dass Frauen mobiler waren als ursprünglich angenommen. Möglicherweise hatten Frauen durch Eheschließungen und Verwandtschaftsnetzwerke einen großen Einfluss auf die Gestaltung der spätbronzezeitlichen Gesellschaft.

Verbrannte menschliche Überreste bieten ausreichend Informationen, um durch eine osteologische Analyse Geschlecht, Sterbealter, Krankheiten und vieles mehr über die Verstorbenen zu rekonstruieren. Auch Details zum Verbrennungsprozess können wir aus den Knochen herauslesen. Um Herkunft und Ortswechsel der Bestatteten zu rekonstruieren, führen wir neben einer archäologischen Auswertung der Grabbeigaben auch Strontiumisotopenanalysen durch – eine Technik, deren Anwendung an verbrannten Menschenknochen erst seit einigen Jahren möglich ist.

Das Element Strontium kommt in der Erdkruste je nach geografischem Ort in unterschiedlichen Isotopenverhältnissen vor. Mit der Nahrung nehmen wir Strontium auf, das in Knochen und Zähnen eingelagert wird. Wird das Verhältnis der Strontiumisotopen 86 und 87 in den verbrannten Knochen gemessen und mit Strontiumwerten aus der Umgebung des Bestattungsplatzes verglichen, kann festgestellt werden, ob die verstorbene Person ihr Leben in dieser Gegend verbracht hat oder zugewandert ist. Durch die Entnahme mehrerer Proben verschiedener Knochen kann man sogar eine Mobilitätsbiografie der Verstorbenen erstellen: Die Knochen des Innenohrs und der Zähne verändern sich nach der Kindheit nicht mehr, während andere Bereiche bis ans Lebensende kontinuierlich umgebaut werden und neues Strontium einlagern. So bilden sich unsere Oberschenkelknochen in circa 20 Jahren einmal komplett neu, während sich Rippen bereits alle zehn Jahre erneuern. Diese Abbau- und Aufbauprozesse der Knochen passieren in winzigen Schritten in Wechselwirkung mit Umwelteinflüssen.

Indem wir diese Prozesse berücksichtigen, können wir verstehen, in welchem Lebensalter Menschen ihren Wohnort änderten und Anschluss an andere Gemeinschaften suchten. So versuchen wir, in Kombination mit Statusanalysen anhand von Grabbeigaben, die Schnittpunkte zwischen Identitätskategorien und Mobilität besser zu verstehen.

Einblicke in prähistorische Brandbestattungen

Zwei im Block geborgene spätbronzezeitliche Urnen einer aktuellen Ausgrabung in St. Pölten durften wir nach allen Regeln der Kunst untersuchen. Diese einmalige Gelegenheit erlaubte uns Einblicke in die Bestattungsriten der Bronzezeit. Im ersten Schritt durchleuchteten wir die Urnen im Computertomograf (CT) der Zahnklinik in Wien und erstellten 3D-Modelle der Urnen. Hier zeigte sich bereits, dass sich noch relativ große Fragmente mit über zehn Zentimetern Länge in den Urnen befanden, die damit ähnlich gut erhalten waren wie nach modernen Kremierungen. Außerdem waren einige Gegenstände aus Metall sichtbar, die sich als bronzene Grabbeigaben entpuppten.

Beispiel eines sortierten Leichenbrands. Jedes Häufchen Knochen repräsentiert eine Fragmentgröße eines Körperareals. Bei den Überresten handelt es sich um einen Mann, der zum Zeitpunkt des Todes älter als 40 Jahre war. Fundort: Franzhausen-Kokoron (Niederösterreich).
Foto: Waltenberger
3D-Rekonstruktion einer spätbronzezeitlichen Urne anhand von CT-Aufnahmen. Die Urne ist in Grün, die kremierten Überresten in Blau (nichtidentifizierbare Knochen), Rot, Violett, Gelb und Türkis (identifizierbare Knochen) dargestellt.
Lukas Waltenberger

In den nächsten Wochen befassten wir uns damit, den Urneninhalt vorsichtig freizupräparieren und zu konservieren. Für die anthropologische Auswertung wurden die Überreste gesiebt und in unterschiedliche Fragmentgrößen aufgeteilt, um den Erhaltungszustand quantitativ zu dokumentieren. Größere zusammenhängende Stücke wurden direkt gefestigt und geklebt. In der Folge wurde jedes Fragment identifiziert und einer Körperregion zugeordnet.

Auf den CT-Aufnahmen sind metallene Grabbeigaben aufgrund ihrer hohen Dichte eindeutig sichtbar (oben). Bei der Freilegung des Urneninhalts wurden bronzene Grabbeigaben geborgen (unten).
Foto: Waltenberger

Dabei stellte sich heraus, dass eine Urne die Überreste einer jungen Frau im Alter von etwa Anfang 20 enthielt und in der anderen Urne ein Kind bestattet war, das im Alter zwischen zehn und zwölf Jahren verstorben ist. An beiden Skeletten waren Hinweise für Mangelerscheinungen sichtbar, die vor allem beim Kind stark ausgeprägt waren. Da Mangelerscheinungen auch mit einer Schwächung des Immunsystems einhergehen, könnten sie ein Hinweis auf die Todesursache dieser jung verstorbenen Personen sein. Aus der Urnenfüllung wurden Proben für geochemische Analysen entnommen, und die Sedimente in der Urne wurden archäobotanisch untersucht. Dadurch konnten Druschreste, die wahrscheinlich zum Anzünden des Scheiterhaufens verwendet wurden, und Getreidereste wie Hirse, Dinkel, Emmer und Linsen nachgewiesen werden.

Dieses Beispiel zeigt eindrucksvoll, dass Brandbestattungen selbst nach 3.000 Jahren so gut erhalten sein können, dass wir zahlreiche Aspekte des Lebens in der Bronzezeit rekonstruieren können. In Kombination mit weiteren modernen analytischen Methoden ist es uns möglich, die Lebensweise, die Bestattungsriten und die Vernetzung unserer Vorfahren noch besser zu verstehen. (Lukas Waltenberger, Katharina Rebay-Salisbury, 17.2.2022)

Verbrannte Knochen – was können sie uns über die Bronzezeit verraten?
Österreichische Akademie der Wissenschaften