Kriegsstimmung herrscht nicht in Moskau. Die meisten Russen glauben und wollen nicht, dass sich Ukrainer und Russen gegenseitig bekämpfen. Viele – vor allem in der Armee – haben gute Beziehungen dorthin.

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Die Kreml-Partei Einiges Russland hat am Montag einen Antrag in der Duma eingebracht, die beiden umstrittenen ukrainischen Separatistenrepubliken Donezker und Luhansker Volksrepublik (DVR und LVR) anzuerkennen. Präsident Wladimir Putin berief derweil Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Außenminister Sergej Lawrow zu Krisengesprächen ein. Danach hieß es von Lawrow, Russland sei bereit, die Verhandlungen fortzusetzen. Moskau sei zwar nicht zufrieden mit den bisherigen Zugeständnissen, doch dem Außenminister zufolge seien die Möglichkeiten noch "längst nicht ausgeschöpft".

Die hektische Krisendiplomatie vom Wochenende – darunter Telefonate mit US-Präsident Joe Biden und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron – hatte zuvor keine Annäherung gebracht. Die Positionen bleiben verhärtet.

Moskau dementiert weiterhin Angriffspläne und spricht von Panikmache – insbesondere nach der Reisewarnung für die Ukraine und dem Abzug US-amerikanischer Mitarbeiter der OSZE-Beobachtermission im Donbass. Die Entscheidung sei zutiefst beunruhigend, erklärte Russlands Außenamtssprecherin Maria Sacharowa. "Die Mission wird bewusst in die von Washington geschürte Militärpsychose hineingezogen und als Instrument für eine mögliche Provokation missbraucht", sagte Sacharowa, die die OSZE dazu aufrief, ihre Mitarbeiter vor Ort zu belassen, da die Beobachter "derzeit so sehr gebraucht werden wie nie zuvor".

Moskau sieht Provokation

Russische Politiker und staatliche Medien machen den Westen für die aktuellen Spannungen verantwortlich. Die ständigen Warnungen vor einem russischen Einmarsch in der Ukraine sollen der russischen Lesart nach davon ablenken, dass Kiew eine Offensive gegen die Separatistenrepubliken im Donbass plant, und vor allem Moskau daran hindern, den prorussischen Regimes in Donezk und Luhansk zu helfen.

Reportagen präsentieren Putin als Staatsmann, der versucht, die Krise diplomatisch zu lösen, gleichzeitig aber Russlands Sicherheitsinteressen verteidigt. Umfragen bestätigen: Die Agitation verfängt. Gut die Hälfte der befragten Russen glaubt, dass die USA die aktuelle Krise rund um die Ukraine initiiert haben, weitere 15 Prozent geben der Ukraine die Schuld. Nur drei bis vier Prozent nennen Russland als Verursacher der jüngsten Eskalation.

Putins Zustimmungswerte sind nach Angaben des unabhängigen Umfrageinstituts Lewada-Zentrum wieder gestiegen. Stimmten im Dezember 65 Prozent seinem Tun als Präsident zu, sind es inzwischen wieder 69 Prozent, während der Anteil der Putin-Kritiker von 34 auf 29 Prozent gesunken ist.

Walentina, 91, aus der Moskauer Vorstadt Podolsk ist von Putins Handeln überzeugt: Er tue alles, um den Konflikt zu vermeiden und zugleich einen weiteren Vormarsch der Nato gen Osten zu verhindern.

Wenig Interesse

Putins Problem: Die Ukraine ist den meisten weniger wichtig als vor acht Jahren. Die Beschäftigung mit dem Thema hält sich im Gegensatz zur nationalen Euphorie 2014 in engen Grenzen. Wie selbst die Kreml-nahe Zeitung "Iswestija" berichtet, verfolgen derzeit nur 25 Prozent der Erwachsenen das Geschehen in der Ukraine aufmerksam – die meisten davon sind wie Walentina Pensionisten. Damals informierten sich mehr als drei Viertel der Russen täglich über die Vorgänge. Themen wie Corona und Wirtschaft seien den Russen jetzt wichtiger, erklärt der Chef des staatlichen Umfrageinstituts WZIOM, Waleri Fjodorow.

Den Eindruck bestätigt auch der Moskauer Barmann Alexander. Die Lage rund um die Ukraine findet er zu undurchsichtig. "Ich glaube nicht, dass es Krieg gibt – und ansonsten ist mir das zu weit weg." Seine Gäste bedrückten derzeit eher soziale Probleme als das Tauziehen um die Ukraine. "Die Preise sind enorm gestiegen, was jetzt weiter mit Corona wird, ist unklar. Das sind die Fragen, die die Menschen hier diskutieren", sagt er. Ein Krieg ist das Letzte, was die Russen jetzt brauchen, ist er überzeugt.

So wie er denkt die Mehrheit der Bevölkerung. 53 Prozent der Russen schließen einen Krieg gegen die Ukraine entweder völlig aus oder halten ihn für unwahrscheinlich. Andererseits halten 36 Prozent einen Krieg für wahrscheinlich und drei Prozent für unausweichlich.

Enge Beziehungen

Ein Krieg gegen die Ukraine wäre auch unpopulär. Nach wie vor sehen viele Russen in den Ukrainern keine Gegner, sondern haben sogar oft verwandtschaftliche Beziehungen zu Ukrainern. Auch – und teilweise gerade – in den Streitkräften, wo eine Offizierslaufbahn oft Familientradition ist und die Väter zu Sowjetzeiten mitunter in der Ukraine stationiert waren.

Wirtschaftlich sind die Auswirkungen schon jetzt zu spüren, auch wenn nicht nur hochrangige Diplomaten wie der russische Botschafter in Stockholm sagen: "Wir scheißen auf eure Sanktionen." Der Rubel ist aufgrund der Gerüchte über einen möglichen Einmarsch hochvolatil, was die Inflation beschleunigt und die Zentralbank jüngst zum Anheben des Leitzinses auf 9,5 Prozent gezwungen hat. Auch die Moskauer Börse ist am Montag wieder deutlich eingebrochen. (André Ballin aus Moskau, 14.2.2022)