Der Geologe Thomas Hofmann betrachtet in seinem Gastblog drei Karrieren renommierter Forscher.

Hobbys und Leidenschaften haben alle. Oft ist der Berufsalltag ein enges Korsett, das dafür kaum Freiraum lässt. Erst die Pension eröffnet neue Möglichkeiten. Wilhelm Haidinger, renommierter Geologe im 19. Jahrhundert, fand mit 75 Jahren Zeit, um am 22. Mai 1870 "Erinnerung an den Schwimm-Unterricht" zu verfassen. Vorher fand er, der 1849 die k. k. Geologische Reichsanstalt gründete, einfach nicht die nötige Muse.

Andere lebten ihre Passionen deutlich früher aus. Manche wählten ein Pseudonym, um das Alter Ego als Künstler strikt von der wissenschaftlichen Karriere zu trennen.

Der Geologe Bruno Sander als Vater der Gefügekunde

Geboren am 23. Februar 1884 in Innsbruck, verstarb Bruno Sander am 5. September 1979 ebendort. So weit die Eckdaten des Geologen. Als im Herbst 1979 Geologen den Nachruf verfassten, suchten sie Unterstützung beim Innsbrucker Germanisten Walter Methlagl, der das literarische Schaffen – Werkverzeichnis inklusive – von Anton Santer, dem Alter Ego Bruno Sanders, würdigte.

Der junge Bruno Sander während des Ersten Weltkriegs.
Foto: Brenner-Archiv, Nachlass Ludwig v. Ficker

Doch zunächst zum Geologen, dessen Name seit 1987 im mächtigen Bau des ab 1975 errichteten Bruno-Sander-Hauses der Universität Innsbruck an der Adresse Innrain 52 weiterlebt. In dem achtstöckigen Glas-Beton-Block nahe der Universitätsbrücke am Inn hat heute die Fakultät für Geo- und Atmosphärenwissenschaften ihren Sitz. Sander hatte in Innsbruck Geologie studiert, 1912 folgte seine Habilitation. Ab 1913 war er in Wien an der k. k. Geologischen Reichsanstalt angestellt, um geologische Aufnahmen in Südtirol zu machen, 1922 folgte er einem Ruf als Ordinarius an die Universität Innsbruck; freilich war seine Bestellung nicht unumstritten, wie der Historiker Peter Goller ausführlich darstellte: "Zum 1. Oktober 1922 wurde Bruno Sander gegen den scharfen Widerstand der 'Wiener Schule' um Friedrich Becke zum Professor der Mineralogie und Petrographie ernannt." Sander hat sich als Begründer der Gefügekunde, samt zweibändigem Lehrbuch "Gefügekunde der geologischen Körper" (1948/50), einen Namen gemacht.

Der Dichter Anton Santer, als Alter Ego des Geologen

Nun zum Literaten, dem Autor von Lyrik und Prosa. Santer war schon vor dem Ersten Weltkrieg literarisch tätig, hatte Kontakt zu den Autoren der "Brenner-Gruppe", darunter Georg Trakl. Er publizierte bevorzugt beim Innsbrucker Brenner Verlag, der auch die Literaturzeitschrift "Der Brenner" von 1910 bis 1954 herausgab. Wesentliche Aspekte zur Person von Anton Santer, beziehungsweise Bruno Sander, finden sich in einem Brief des Schriftstellers Friedrich Punts an den Germanisten Walter Methlagl vom 17. März 1969.

Faksimile des Gedichts "Dolinen" aus Anton Santers Buch "Abseits" (1925).
Foto: Brenner-Archiv, Innsbruck

"Was Sander aber meiner Meinung nach ganz besonders zu dem gemacht hat, was ihn als Dichter und Denker und Wissenschafter ausgezeichnet, das waren seine jahrelangen Alleingänge im Gebirge als Aufnahmsgeologe." Dazu eine Passage aus Santers "Nachruf" (1921): "Ringsum bannten mich die Tiefen des Raumes. Unter meiner Linken lockten Streifen weißen Firns, wie lechzende Wünsche in graue Steinwüsten weisend. Zu meinen Rechten spannte sich leerer Himmel. Vor mir ruhte der Fels; in Linien, die sich wie Schreie zum Himmel warfen und brachen, ruhte er. So saß ich König und Kind und spürte wie ich erschuf, was ich Gebirge nenne." Weiter bei Punt: "Eine solche Tätigkeit erfordert ein Eremitenleben und Eremit war S. als Gelehrter und als Dichter."

Julius Payer: Vom Polarheld vom Historienmaler

Julius von Payer (1842–1915) ist vor allem im Zusammenhang mit Carl Weyprecht (1838–1881) bekannt. Die beiden Polarforscher sorgten mit der Österreichisch-Ungarischen Nordpol-Expedition der Jahre 1872 bis 1874 für Schlagzeilen. Auch wenn sie ihr Forschungsschiff, die Tegetthoff, im ewigen Eis aufgeben mussten, wurden sie durch die Entdeckung von Franz Josefs-Land am 30. August 1873 berühmt. Bei ihrer Rückkehr am 25. September 1874 am Wiener Nordbahnhof wurden sie als Helden gefeiert.

Selbstbildnis Julius von Payer in Matrosenkleidung (um 1890). Sammlung Wien-Museum.
Foto: B. & P. Kainz

Payer, der zunächst die Militärakademie in Wiener Neustadt absolviert hatte, dann in der Südtiroler Bergwelt alpinistische Bergtouren machte, ehe er sich ab 1869 der Polarforschung widmete, hatte ein Talent zum Zeichnen: Dies belegen zahlreichen Skizzen seiner Polarfahrten. Dass er sich später ganz der Malerei widmen würde, kam – so gesehen – nicht von ungefähr, erstaunlich sind allerdings die Dimensionen. Dies betrifft sowohl die Größe seiner Bilder – sein berühmtestes Werk "Nie zurück!" (1892, Öl auf Leinwand) misst stolze 330 mal 460 Zentimeter – wie auch die Ausstellungsorte und seine internationale Anerkennung.

Payers Ölbilder finden sich unter anderem im 1889 eröffneten Naturhistorischen Museum. In Saal VI, wo heute die Entstehung der Erde und des Lebens thematisiert wird, sind die Tegetthoff (1884) und Franz Josefs-Land (1886) zu sehen. Hier ist er vereint mit dem Who's who der damaligen Landschaftsmaler, denn für das Haus am Ring war das Beste gerade gut genug.

Nach der Polarfahrt absolvierte Payer Ende der 1870er-Jahre eine künstlerische Ausbildung, zunächst in Frankfurt und ab den 1880ern auch in München. 1883 begann seine Zeit als Künstler in Paris. Mehrfach wurden seine Gemälde mit Medaillen belohnt, ab den 1890er-Jahren zog Payer nach Wien in den dritten Wiener Gemeindebezirk (Bechardgasse 14). Erwähntes Monumentalgemälde, heute im Heeresgeschichtlichen Museum, beeindruckte am 1. April 1892 den Kaiser im Wiener Künstlerhaus. "Den besonderen Beifall des Monarchen fand das Bild 'Nie zurück' des Nordpolfahrers Payer, den derselbe mit einer huldvollen Ansprache auszeichnete." (Prager Tagblatt, 2. April 1892).

Das Bild "Die verlassene Tegetthoff" (1884) von Julius Payer schmückt Saal VI im Naturhistorischen Museum in Wien.
Foto: Naturhistorisches Museum/A. Schumacher

Theodor Billroth: Chirurg, Musikfreund und Komponist

Der am 26. April 1829 in Bergen auf der deutschen Insel Rügen geborene Theodor Billroth verstarb 1894 in Abbazia (heute: Opatija in Kroatien) und ist als Chirurg bekannt. Doch auch eine Musikerkarriere stand anfangs im Raum. Kein Wunder, seine Mutter entstammte einer Berliner Musikerfamilie; Billroths Vater war evangelischer Pfarrer. 1834 zog die früh verwitwete Mutter mit Billroth und seinen vier Brüdern nach Greifswald, wo er sich im Klavier- und Geigenspielen übte. "Lieber wäre er Musiker geworden", schreibt die Medizinerin und Historikerin Sonia Horn. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er wohl eine Musikerkarriere gemacht. Doch Mama Billroth drängte den Filius zum Medizinstudium, was er auch tat; zunächst in Greifswald und ab 1849 in Göttingen. 1852 promovierte er in Berlin und wandte sich der Chirurgie unter Bernhard von Langenbeck (1810–1887) zu. 1856 folgte die Habilitation für Chirurgie und pathologische Anatomie. Zwei Jahre später heiratete er Christel Michaelis, Tochter eines Mediziners und einer Sängerin (Karoline Eunike).

Von 1860 bis 1867 lebten beide in Zürich. Hier erschien 1863 sein Lehrbuch "Die allgemeine chirurgische Pathologie und Therapie in 50 Vorlesungen". Nebenbei arbeitete er auch für die "Neue Zürcher Zeitung" als kompetenter Musikkritiker. Anlässlich eines Konzerts von Clara Schumann am 18. Februar 1862 – sie spielte das Klavierkonzert Nr. 4 in G-Dur von Beethoven – schrieb er: "War es der Zauber, der um die Künstlerin schwebt, war es der Dirigent, war es die Begeisterung für die Komponisten, was das Orchester beseelte? – Noch nie hörten wir hier so eine gute Orchesterbegleitung zu einem Solostück …"

Theodor-Billroth-Mosaik (1956) von Rudolf Hausner in Wien-Döbling (Billrothstraße 77).
Foto: T. Hofmann

Billroth war nicht nur Kritiker, er komponierte auch zahlreiche Stücke, darunter Trios, ein Klavierquintett und ein Streichquartett. Lediglich drei sind erhalten, über den Verbleib der anderen schrieb er 1883: "Meine sämmtlichen Compositionen habe ich vor einigen Jahren den Flammen übergeben, es war schreckliches Zeug und stank gräßlich beim Verbrennen!"

Billroth und Brahms – eine enge Freundschaft

Noch in Zürich lernten Brahms (1833–1897) und Billroth im Jahr 1865 einander kennen. Später, so wollte es das Schicksal, sollten beide nach Wien gehen. Billroth wurde 1867 als leitender Chirurg an das AKH berufen, ab 1869 hatte auch Brahms seinen festen Wohnsitz in der Donaumetropole. Billroths Verdienste lagen vor allem in der Viszeralchirurgie; die Magenresektion ist eng mit seinem Namen verbunden. Seine Freizeit gehörte ganz der Musik, in seiner Wohnung (Alser Straße 20) hatte er einen Musiksalon eingerichtet. Hier erklangen viele Werke von Brahms. Mit dabei war fast immer der Musikkritiker Eduard Hanslick (1825–1904), der mit beiden freundschaftlich verbunden war.

"Todessehnsucht", Klavierlied von Theodor Billroth vom 27. Jänner 1885, ist eine der wenigen veröffentlichten Kompositionen des Chirurgen.
Foto: ConBrio Verlagsgesellschaft, Regensburg

Lesenswert ist Billroths Briefwechsel mit Brahms. Erstaunlich breit ist die Palette der Themen. Als am 16. Oktober 1888 der Geologe Eduard Suess als Rektor der Universität Wien seine Antrittsrede, "Über den Fortschritt des Menschengeschlechtes", hielt, war Billroth begeistert. Noch am selben Tag schrieb er seinem Freund Johannes Brahms: "Ich schicke Dir unter Kreuzband [= Drucksache] die heutige Rede von Sueß. […], von pag. 21 mußt Du lesen. Wie geistvoll und fein alles, wie packend die gewählten Beispiele, wie maßvoll alles, was zwischen den Zeilen abgelehnt wird." (Thomas Hofmann, 18.2.2022)