Manchmal erntet man Trophäen trotz erheblicher struktureller Nachteile: Silbernen Bären gab es bei der Berlinale im vergangenen Jahr für die Schauspielerin Maren Eggert.

Foto: Alexander Janetzko / Berlinale

Für ein "gendergerechteres Bewusstsein in der Filmbranche" tritt die seit 2020 amtierende Doppelspitze der Berlinale, Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian, ein. Anstatt die beste Schauspielerin, den besten Schauspieler auszuzeichnen, gehen die Bären nun genderneutral an die beste Haupt- und Nebenrolle. Und prompt gewannen letztes Jahr dann auch zwei Frauen, was auch die Debatte rund um die Einführung der neuen Kategorien beruhigte, in der die Sorge überwog, dass Frauen benachteiligt werden könnten. Barbara Rohm, die Vorsitzende von Pro Quote Film, gab etwa zu bedenken, dass Schauspielerinnen einen Wettbewerbsnachteil hätten, solange die Filmbranche von Männern dominiert werde und es mehr und reizvollere Rollen für Schauspieler gebe. Stattdessen schlug sie einen zusätzlichen Preis für "gendersensible Darstellung" vor, damit ein Anreiz für diverse Rollen geschaffen werde.

Bei einer Lösung, die alle zufriedenstellt, kann es Haken geben. Denn weitere Kategorien werden die Gleichstellung nicht zwangsläufig befördern – und wo fände man hier heutzutage ein Ende? Da lohnt sich ein Blick zurück, denn die Aufteilung in Männer- und Frauendarstellungen ist nicht das Resultat emanzipatorischer Kämpfe, sondern entspringt bürgerlichen Kunstvorstellungen voriger Jahrhunderte.

Zweierlei Maß

Laut der Theaterhistorikerin Theresa Eisele wurden im 18. und 19. Jahrhundert bei der Bewertung von Schauspiel unter anderem geschlechtliche Dualismen herangezogen. "Männliches" und "weibliches", "reflektiertes" und "gefühlvolles" Spielen sei in aufklärerischen Theatertraktaten oft gegeneinandergesetzt und abgewogen worden. Im Film gibt es separate Schauspielpreise seit etwa 1930, als die Oscars und die Filmfestivals von Venedig und Moskau ins Leben gerufen wurden. Ebendas hat jedoch, wie Hannah Pilarczyk im Spiegel bemerkt, in den letzten 90 Jahren keineswegs zu mehr Gleichberechtigung geführt. Vielmehr scheint die Rolle von Frauen im Film auf den Bereich der Schauspielerin und Filmdiva reduziert worden zu sein, zulasten anderer Positionen hinter der Kamera.

In Österreich beginnt die Auseinandersetzung mit dem Thema erst. Iris Zappe-Heller, die Beauftragte für Gender & Diversity des Österreichischen Filminstituts, sieht in genderneutralen Schauspielpreisen eine "sehr schöne Sache – insbesondere auch, da die bisherige Herangehensweise meist auf einem binären System beruht und damit eigentlich zu eng greift". Doch sie gibt zu bedenken, dass in der Branche noch zu viele Baustellen existieren würden. Auch bei Jurybesetzungen und Selektionen sei Geschlechtergerechtigkeit gefragt.

Forderung nach Bewegung

Elena Wolff bezeichnet sich selbst als Schauspieler:in, Comedian und Filmemacher:in. Wolffs Langspielfilm Para:dies feierte gerade beim Max-Ophüls-Filmpreis Premiere (wo Hauptdarstellerin Julia Windischbauer als Nachwuchsdarstellerin prämiert wurde). Wolff fordert mehr Bewegung in der Branche. Als eine der Unterzeichnenden des Manifests #ActOut – eines Aufrufs deutschsprachiger Schauspielender für mehr Diversität in Besetzungsfragen – sieht Wolff genderneutrale Preise als positive Geste in einer Branche, in der neben Frauen auch nichtbinäre und nichtweiße Kunstschaffende bei Preisvergaben kategorienübergreifend gerne übersehen werden.

Das sei ein Problem, denn Preise seien "viel mehr als bloßes Zeichen künstlerischer Wertschätzung": "Sie bieten eine Plattform, schaffen ökonomische Möglichkeiten und erweitern das berufliche Schaffensfeld." Deshalb gelte es, "durch Bewusstseinsschaffung, Förderungen und Quoten Chancen zu kreieren, die allen gleich ermöglichen, sich zu etablieren, sichtbar zu werden und zu brillieren."

Die Berlinale scheint allerdings einen Stein ins Rollen gebracht zu haben, denn nach anfänglicher Kritik will nun auch der Berufsverband Schauspiel in Deutschland seine Preiskategorien völlig neu überdenken. Wie diese Debatte weitergeht und an wen die Preise anno 2022 schließlich gehen werden, wird in Österreich nicht nur wegen der großen Präsenz österreichischer Filme in Berlin aufmerksam verfolgt. (Valerie Dirk, 16.2.2022)