Produkte des täglichen Bedarfs bleiben inflationsdämpfend, sagen Wirtschaftsforscher.

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Wien – Der Handel ist kein Lichtschalter, den man einfach anknipst, stellt Rainer Trefelik klar. Das Ende der 2G-Kontrollen verheiße noch lange nicht die Rückkehr in frühere Einkaufserlebnisse. Noch weniger, wenn Pflicht zur Maske die Konsumlaune ebenso trübe wie die Regelmäßigkeit der Demonstrationen.

"Standortpolitischen Wahnsinn", nennt der Handelsobmann der Wirtschaftskammer die steten Sperren des Wiener Rings, die Geschäfte in der Innenstadt lahmlegten. Dutzende Polizeibusse, die vielfach nur wenige Demonstranten flankierten, seien kein Umfeld fürs Einkaufen.

Orte des Protests?

Trefelik schlägt einmal mehr vor, den Wiener Schwarzenbergplatz als Ort des Protestes zu verankern. Dieser sei zentral gelegen, mache öffentliche Anliegen sichtbar, ohne dabei wichtige Hauptverkehrsadern der Innenstadt zu blockieren. Es brauche hier mehr Balance. "Die Freiheit, die man einfordert, gehört auch den anderen gewährt."

So sehr Demonstrationen Wiener Betriebe auf die Barrikaden bringen – die größten Hürden für eine Erholung nach zwei Jahren der Krise liegen anderswo. Österreichweit fehlen dem Handel rund 16.000 Mitarbeiter. Das ist ein Drittel mehr als im Jahr 2020.

Viele Angestellte reduzierten ihre Arbeitszeit, andere wechselten die Branche. Industrie und Dienstleister suchen ebenso rege nach Arbeitnehmern wie Gastronomie und Tourismus. "Übrig bleibt, wer die schlechtesten Bedingungen bietet", resümiert Handelsgewerkschafter Karl Dürtscher im Gespräch mit dem STANDARD.

Jobanreize

Trefelik sieht durch höhere Einstiegsgehälter deutliche Signale im Handel für den Kampf um gute Leute gesetzt. Was es dafür jedoch brauche, seien durchgehend offene Geschäfte und Erleichterungen bei den Corona-Maßnahmen. "Es macht keinen Spaß, monatelang mit Maske im Geschäft zu stehen und stundenlang auf Kunden zu warten."

Für Dürtscher ist das allein an Jobanreiz zu wenig. Ohne höhere Grundgehälter werde der Handel im Wettlauf um Personal den Kürzeren ziehen. Verbesserungen, die im Kollektivvertrag vereinbart wurden, wie etwa die Möglichkeit zur Vier-Tage-Woche, müssten in der Praxis von den Unternehmen auch gelebt werden, sagt er. "Arbeit im Handel muss für seine Mitarbeiter planbarer werden, sich besser mit Familie und Privatleben vereinbaren lassen."

Dienste an Samstagnachmittagen und lang in den Abend hinein seien eben keine "Burner". Auch mit Rufen nach Sonntagsöffnung werde man keine neuen Leute gewinnen. "Der Handel wurde zum Nachfragemarkt und wird seine Hausaufgaben machen müssen."

"Hausaufgaben machen"

Unterm Strich ist die Zahl der Handelsbeschäftigten 2021 im Vergleich zu 2020 um fast drei Prozent auf 301.300 gestiegen. Treiber dafür waren boomende Lebensmittelgeschäfte wie der stark gewachsene Onlinehandel, der sein Personal um mehr als ein Viertel ausbaute. Im Schuhhandel wiederum, der zu den großen Verlierern der Pandemie zählt, mussten mehr als sechs Prozent der Mitarbeiter gehen.

59 Tage war Österreichs Handel im Vorjahr Covid-bedingt behördlich geschlossen. Weitere 31 Tage mussten Wiener Betriebe verdauen. Trefelik wertet dies ebenso als erhebliche Wettbewerbsverzerrung wie die seit Juli 2020 durchgehende Pflicht zur FFP2-Maske.

Vorsicht sei gut, sagt er, man dürfte Standortnachteile aber nicht vergessen. "Wir müssen wieder ein normales Leben im Fokus haben." Auf jeden Fall brauche es einen klaren Plan für den Herbst. "Ich will eine österreichische Ballsaison gesichert wissen."

Zwei Welten

Knapp 74 Milliarden Euro netto hat der Einzelhandel 2021 umgesetzt. 2019 waren es rund 70 Milliarden, rechnet Peter Voithofer vom Economica-Institut vor. Doch Corona zog einen tiefen Graben durch die Branche. Während Geschäfte rund um Lebensmittel und die eigenen vier Wände auflebten, stürzten Modehändler in ein tiefes Loch.

Für heuer stellen Wirtschaftsforscher steigende Konsumausgaben, geringere Sparquoten und sinkende Arbeitslosigkeit in Aussicht. Lieferengpässe ließen die Preise im Großhandel um ein Zehntel steigen, sagt Voithofer. Die Preisentwicklung im Lebensmittelhandel sei jedoch inflationsdämpfend.

Eine große Schließungswelle macht er im Handel bisher nicht aus. Zwar sei die Zahl der Unternehmen 2020 um 4000 gesunken. Den Markt verlassen hätten in erster Linie jedoch Einzelkämpfer wie Handelsvermittler.

Trefelik lobt die Hilfen der Regierung. Dass diese teilweise stockten, lasse sich nicht wegdiskutieren. Im internationalen Vergleich seien sie jedoch ordentlich und rasch geflossen. (Verena Kainrath, 17.2.2022)