Das Antwortschreiben Russlands an die USA ist am Donnerstag übergeben worden – es lässt keine Entspannung erkennen.

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Nach langer Ankündigung hat Moskau am Donnerstag dem US-Botschafter in Russland, John Sullivan, ein Schreiben überreicht, mit dem man auf Washingtons Angebote für einen diplomatischen Ausweg aus der aktuellen Krise reagiert. Diese Angebote hatten die USA Russland vor einigen Wochen als Reaktion auf einen Dezember veröffentlichten Forderungskatalog Moskaus zu umfangreichen Sicherheitsgarantien überreicht. In dem Schreiben heißt es, die USA seien auf die Forderungen aus Moskau nicht eingegangen und hätten die Bedürfnisse Russlands ignoriert.

Sollte Washington nicht doch noch auf die Forderungen eingehen, werde sich Russland zu "militärisch-technischen Maßnahmen" gezwungen sehen. Diese Forderungen gelten im Westen als nicht annehmbar, unter anderem will Russland eine schriftliche Garantie, wonach die Ukraine nicht in die Nato aufgenommen werde, und den Abzug aller Nato-Truppen aus den nach 1997 aufgenommenen Mitgliedsstaaten.

Zugleich teilte Moskau mit, dass die Nummer zwei der US-Botschaft, Bartle Gorman, des Landes verwiesen werde. Einen Grund gab Russland nach Angaben der amerikanischen Regierung nicht an. Später teilte der Kreml aber mit, es handle sich um eine Reaktion auf den Landesverweis eines russischen Diplomaten in den USA. Allerdings gab Russland in dem elfseitigen Dokument auch bekannt, dass man bereit sei, über gegenseitige Inspektionen von Raketenstandorten zu verhandeln.

Spannung in der Ostukraine

Die USA und viele westliche Staaten verdächtigen Russlands Präsident Wladimir Putin, eine Invasion in die Ukraine zu planen. Sie verweisen darauf, dass die russische Armee in den vergangenen Wochen 150.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen hat. Dies weist Russland zurück – auch im Antwortschreiben heißt es, eine Invasion in die Ukraine sei nicht geplant. Allerdings haben am Donnerstag auch die Scharmützel zwischen den prorussischen Separatisten in den international nicht anerkannten "Volksrepubliken" Luhansk und Donezk auf dem östlichen Staatsgebiet der Ukraine und der ukrainischen Armee massiv zugenommen.

Unter anderem beschossen die Separatisten eine Schule in einem Gebiet, das von der Ukraine kontrolliert wird. Todesopfer waren nicht zu beklagen. Russische Staatsmedien berichteten am Donnerstag von einer angeblichen Eskalation, die von der Ukraine ausgehe. Kiew betont hingegen, dass die Soldaten strikten Befehl hätten, auf Provokationen nicht zu reagieren. Die Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) auf dem Gebiet meldete, die Verletzungen der Waffenruhe hätten Donnerstag stark zugenommen. Die USA fürchten, Moskau könnte Eskalationen schüren, um diese als Vorwand für einen Angriff auf die Ukraine zu nutzen.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow teilte laut Agentur Interfax mit, Kiew habe seine "provokativen Handlungen in den vergangenen Tagen nur noch verstärkt". 2008 hatte er wenige Tage vor dem russischen Angriff auf Georgien wörtlich den gleichen Satz verwendet.

Biden fürchtet Krieg

US-Präsident Joe Biden sagte Donnerstagabend, er gehe von einem Angriff Russlands aus. Dieser werde vermutlich "innerhalb der nächsten Tage" passieren. Die Gefahr dafür sei "sehr hoch". Alles deute darauf hin, dass Russland bereit dazu sei, die Ukraine anzugreifen. Der US-Präsident betonte zugleich, es gebe nach wie vor die Möglichkeit einer diplomatischen Lösung.

Welches Ausmaß die Invasion seiner Ansicht nach annehmen werde, ließ er offen. Einen von Russland in den vergangenen Tagen angekündigten Rückzug von Truppen von der ukrainischen Grenze konnten bisher jedenfalls weder die USA noch die Nato oder die Ukraine bestätigen. Laut der Nato seien die Soldaten in den vergangenen Tagen sogar noch näher an die Ukraine herangerückt.

Blinken nennt Szenarien

US-Außenminister Antony Blinken erklärte vor einer von Russland einberufenen Sitzung des UN-Sicherheitsrats sprechen, Moskau wolle einen Vorwand für eine Invasion schaffen. "Dies könnte ein gewaltsames Ereignis sein, das Russland gegen die Ukraine vorbringen wird, oder eine unerhörte Anschuldigung, die Russland gegen die ukrainische Regierung erheben wird", so Blinken am Donnerstag. Möglich seien ein vermeintlicher Terroranschlag in Russland, die "erfundene Entdeckung eines Massengrabes" und Vorwürfe eines Völkermordes, ein inszenierter Drohnenangriff auf Zivilisten oder ein vorgetäuschter oder echter Angriff mit Chemiewaffen.

Bei der Sitzung sollte es um die Minsker Friedensabkommen gehen, die 2015 abgeschlossen worden waren und eine Deeskalation und Befriedung der Ostukraine zum Inhalt hatten. Ihre Umsetzung fordern sowohl Moskau als auch Frankreich und Deutschland, die sie als Garantiemächte mitverhandelt hatten. Sie dürfte nach aktuellem Stand allerdings in weiter Ferne liegen – ihre Interpretation ist unter den Unterzeichnern umstritten, und auch Kiew hat in den vergangenen Jahren wenig für ihre Umsetzung getan. Weil sie in einer Schwächephase der Ukraine unterzeichnet worden waren und unter anderem eine Dezentralisierung des Landes und Amnestie für die Führer der "Volksrepubliken" vorsehen, würden sie nach Ansicht maßgeblicher Gruppen in der Ukraine die Westorientierung des Landes gefährden.

Atomwaffen nach Belarus?

Neben einer Invasion der Ukraine scheinen als russische "militärisch-technischen Maßnahmen" auch die Neustationierung von Raketensystemen möglich zu sein. Einen Hinweis darauf gab am Donnerstag der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko. Sein Land sei im Falle einer Bedrohung durch den Westen zur Stationierung russischer Atomwaffen bereit. "Wenn es notwendig ist", werde sein Land nicht nur Atomwaffen, "sondern auch Supernuklearwaffen, vielversprechende Waffen" aufnehmen, um "unser Territorium zu verteidigen", sagte Lukaschenko nach Angaben der belarussischen Nachrichtenagentur Belta am Donnerstag. Lukaschenko will am Freitag in Moskau mit Putin zusammentreffen. (red, 17.2.2022)