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Der Schießstand ist ein sicherer Ort, weil die Organisatoren von Biathlon-Rennen keinen Raum für Fehler zulassen.

Foto: REUTERS/Athit Perawongmetha

Biathletinnen und Biathleten brauchen gar nicht viel. Sie haben keinen Jagdschein und auch keine Waffenbesitzkarte. Alle fünf Jahre müssen sie zur Bezirkshauptmannschaft für einen Europäischen Feuerwaffenpass. Der berechtigt sie, ihr Gewehr zu Wettkämpfen mitzunehmen.

Was Aktive jedenfalls brauchen, ist Präzision am Schießplatz. Wer keine ruhige Hand hat, hat hoffentlich kräftige Beine für die Strafrunde. Die Schießeinlage ist ein komplexer Ablauf, bei jeder braucht es mehr als 30 Handgriffe. Lisa Hauser absolviert diese Übung vergleichsweise schnell. Damit das so bleibt, setzt sie auf Trockentraining.

Sie malt fünf Ziele auf einen Zettel, hängt diesen an die Wand und macht Halteübungen. "Dadurch werden die Abläufe schnell", sagt Hauser dem STANDARD. Vor allem die Position für das Liegendschießen soll perfektioniert werden, Hauser nennt ein Beispiel: "Ich muss darauf achten, dass die Ellbogen immer auf derselben Position liegen." Bei den Olympischen Spielen von Peking ist Trockentraining nicht so einfach. Im Weltcup nimmt Hauser die Waffe oft mit in ihr Hotelzimmer. In China müssen die Waffen in einem Raum im Stadion von Zhangjiakou lagern.

Kommt Hauser an eine neue Strecke, muss sie sich erst einmal auf den Schießstand einstellen. Der Höhenunterschied zu den Zielscheiben ist nicht überall gleich, es kommt auf die Schneelage an. In Zhangjiakou, sagt Hauser, verlaufe die Schusslinie leicht nach oben. Sie passe im Training die Schulterkappen beim Schaft an, beim hintersten Teil einer Waffe.

Perfekter Stand

Ihr Kollege Simon Eder bezeichnet sich als "unempfindlich". Falls er die Scheibe verfehlt, weil er zu weit nach oben oder unten gezielt hat, müsse er aber den Schaft verstellen. "Ich will mir das aber ersparen", sagt er. Felix Leitner wiederum sagt, er brauche eine gewisse Zeit, bis er sich an einen Schießstand gewöhne. Beim Stehendschießen experimentiert er im Vorfeld eines Rennens an der Positionierung auf der Matte. Auch die Schrittstellung kann er ändern. "Wenn ich schmäler stehe, bin ich mit der Waffe weiter oben", sagt er. Das Wichtigste sei, so wenig wie möglich mit der Hüfte zu wackeln.

Jedenfalls verausgaben sich Hauser, Leitner und Eder auf der Strecke, ehe sie am Schießstand zur Ruhe kommen müssen. Die Belastungen in der Loipe sind immens, vor allem im stumpfen, langsamen Schnee von Zhangjiakou. Es dürfen keine Fehler passieren, immerhin hantieren sie mit einer Waffe.

Biathlon ist eine äußerst sichere Sportart, sagt Christoph Sumann. Der Steirer ist Ex-Profi, bei Olympischen Spielen gewann er drei Medaillen. "Die Athleten haben ja nicht erst gestern angefangen zu schießen und nehmen heute an einem Rennen teil", sagt er. Bis zum Alter von 14 Jahren sind in Wettkämpfen nur Luftdruckgewehre erlaubt.

Am Schießplatz muss der Lauf der Waffe immer in Richtung der Zielscheiben schauen. Sumann: "Du kannst dich nicht umdrehen, mit Trainern reden oder die Zuschauer grüßen. Wenn du das machst, kannst du zusammenpacken und heimgehen."

Offener Verschluss

Solche Fehler sind ganz selten, führen aber sofort zur Disqualifikation. Ein Profi aus Deutschland, Florian Graf, hatte bei starkem Schneefall einmal ein Blackout. Er hatte einen Wassertropfen in der Zielvorrichtung. Weil er es wegblasen wollte, schaute er kurzzeitig in den Lauf seiner geladenen Waffe. "Das war grob fahrlässig, das geht gar nicht", sagt Sumann. Graf blieb unversehrt.

Sumann sagt, es habe fatale Unfälle gegeben, die seien aber beim Putzen der Waffe passiert. Die Zeitung Deseret News aus Utah, USA, berichtete Anfang der 90er-Jahre von einem Todesfall eines Biathleten, der bei einem Stehendschießen einen Zusammenbruch erlitt und sich beim Hinfallen selbst anschoss. Sumann kennt keinen Fall, bei dem jemand am Schießplatz getroffen wurde.

Die wichtigste Regel im Biathlon ist, dass der Verschluss der Waffe abseits des Rennens stets geöffnet ist. Wenn eine Patrone im Lauf wäre, würde sie dadurch herausfallen. Transporttaschen für die Waffen haben deshalb ein Sichtfenster, ein durchsichtiges Loch im Stoff, damit jeder sieht, ob der Verschluss auch wirklich offen steht.

Bei seiner Heim-WM 2000 in Oslo lief der Norweger Frode Andresen mit einem angesteckten, vollen Magazin in der Waffe los. Das ist streng verboten, er wurde disqualifiziert. Heute ist das nicht mehr möglich, die Athletinnen und Athleten werden beim Start kontrolliert. Der Verschluss wird vor Rennbeginn einmal geöffnet und geschlossen. Das macht es unmöglich, dass sich beim Start ein Schuss im Lauf befindet. Falls schon, wird er bei der Kontrolle aus der Waffe repitiert.

Tag der letzten Chance

Am Freitag stehen in Zhangjiakou die letzten Biathlon-Wettkämpfe der Winterspiele von Peking an. Der Massenstart der Frauen (8 Uhr MEZ) wurde um einen Tag vorverlegt, weil es am Samstag auf weniger als minus 18 Grad abkühlen soll, zudem ist eisiger Wind vorhergesagt. Der Massenstart der Männer (10 Uhr MEZ) ist dann die letzte Medaillenentscheidung. Österreichs Team verpasste bisher eine Top-drei-Platzierung, das war zuletzt nach den Dopingvorfällen bei den Spielen von Turin 2006 der Fall. (Lukas Zahrer aus Zhangjiakou, 18.2.2022)

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