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"Gefängnis" oder in "menschlicher Obhut": Schon bei den Begriffen zu Zoos sind sich Tierschützer und Zoobetreiber uneinig.

Foto: Octavio Jones / Reuters

Mit lautem Geschrei stürzen sie sich von den Felsen. Die Affen wollen die Ersten sein, die das Futter ergattern, binnen weniger Sekunden hat sich in der Schlucht eine Gruppe von zehn bis 15 Tieren gebildet. Fast könnte man meinen, tatsächlich mit den Tieren im Gebirge zu stehen. "Ich will zu den Löwen", schreit ein Kind. Hinter der Absperrung machen Besucher noch einige Fotos. Dann ist die Fütterung auch schon wieder vorbei. Der Tross zieht weiter zum nächsten Gehege.

Es ist ein frühlingshafter Nachmittag im Tiergarten Schönbrunn. Eltern schieben Kinderwägen über den Schotter, Kinder drücken ihre Nasen an das Glas des Gepardengeheges, an den Imbissständen bilden sich die ersten Schlangen. "Gut, dass sie den Zoo umgestaltet haben. Früher, als Kind, war der Zoobesuch noch eine Qual", erinnert sich eine Frau, die gemeinsam mit einer Freundin vor dem Nilpferdteich steht. Früher, als Gehege noch Betonblöcke waren und mehr wie Gefängnisse aussahen, als "ausgemergelte" Raubkatzen noch ewig dieselben Kreise drehten. "Da hat sich zum Glück viel verändert", sagt die Besucherin. "Wobei: Ein Drama ist es schon noch mit den eingesperrten Tieren."

Viele Herausforderungen

Die Idee des Tierparks befindet sich im Umbruch. Während Corona vielerorts die Besucherzahlen einbrechen ließ und den Weiterbetrieb so mancher Zoos gefährdete, pochen an anderer Front Tierschützer, Wissenschafter und Besucher auf neue Tierwohl- und Umweltstandards, Zoodesigns und Naturerlebnisse. Kann der Zoo diesen Anforderungen gerecht werden, oder ist die Institution gemeinsam mit ihren tierischen Bewohnern eines Tages selbst vom Aussterben bedroht?

Verändert hat sich tatsächlich schon einiges: Statt an tristen Gehegen vorbei führen die Wege der heutigen Zoos in die Serengeti, die Antarktis, die Wüste oder in den Amazonas-Regenwald – zu Anlagen, die tatsächlich mehr wie die natürliche Umgebung der Tiere aussehen. In einer Welt, in der viele Menschen der Wildnis höchstens noch in Universum-Dokus begegnen, soll ihnen der Zoo diese im Alltag näherbringen – hautnah, aber geordnet und sicher.

Millionen Menschen zieht es jährlich in den Zoo, wie hier nach Schönbrunn.
Foto: Andy Urban

Nachwuchs als Publikumsmagnet

Dabei ist der Zoo seit jeher im Spannungsfeld zwischen Bildungsstätte und Attraktion, Tierschutz und Geschäft, Echtheit und Illusion. Ein Ort, der vor allem dann in die Schlagzeilen gerät, wenn es Nachwuchs und damit kleine Tierbabys gibt – Publikumsmagneten wie Knut, Nuka, Tilla oder Mana – oder wenn über Tierrechte und deren Verletzung gestritten wird.

Für viele Besucher mag zählen, wie viele und welche Tiere es im Zoo gibt, wie groß dieser ist und wie hoch die Eintrittspreise sind. Doch nur unterhalten soll keiner der mehr als 60 Zoos in Österreich. Insider messen die Qualität vielmehr an anderen Kriterien, etwa daran, wie sehr Zoos die Forschung weiterbringen, Menschen bilden und Arten und Tiere schützen.

Natur live

Spricht man mit Zoodirektorinnen und -direktoren über diese Ziele, scheint es an deren Umsetzung kaum Zweifel zu geben. "Zoos bieten in der immer urbaneren Welt noch die Möglichkeit, Natur und natürliche Zusammenhänge live zu erleben", sagt Stephan Hering-Hagenbeck, Leiter des Tiergarten Schönbrunn, im STANDARD-Gespräch. Sie sollen Tiere so präsentieren, wie sie sind, und für Begeisterung und nicht für Mitleid sorgen. Gleichzeitig wolle man Menschen über Social Media, Hinweistafeln und mithilfe von kommentierten Fütterungen für Tiere sensibilisieren und dadurch deren Schutz vorantreiben.

Seit etwas mehr als zwei Jahren leitet Hering-Hagenbeck den Tiergarten Schönbrunn. Trotzdem ist der studierte Biologe als Tiergärtner bereits ein alter Hase. Im Tierpark Hagenbeck in Hamburg plante er millionenschwere Anlagen wie das Tropen-Aquarium oder das Neue Eismeer – Landschaften, in die nicht nur Tiere, sondern auch Besucher eintauchen sollen.

Neue Gehege

Nun sollen auch in Schönbrunn neue Gehege unter seiner Federführung entstehen, wie bisher etwa jenes für die Berberaffen und Mähnenspringer. Die Anlage ist mit ihren Felsen und Bäumen dem nordafrikanischen Atlasgebirge nachempfunden und soll möglichst nahe an die natürliche Lebensweise erinnern, sagt die Zoologin Simone Haderthauer und führt bis an den Rand der Absperrung. "In den Felsen haben wir Löcher eingebaut, aus denen sich die Affen das Futter suchen müssen." Im Winter werden die Felsen von unten beheizt, damit sich die Affen dort aufhalten, wo sie von Besuchern gut gesehen werden. Dass die Berberaffen gemeinsam mit den Mähnenspringern in dem Gehege leben, soll für zusätzliche Beschäftigung sorgen und beiden Tierarten mehr Platz bieten.

Indem das Futter versteckt wird, sollen die Affen länger beschäftigt werden.
Foto: Andy Urban

So schön einzelne Anlagen sein mögen, Tierethikerinnen wie Judith Benz-Schwarzburg können der Zoowelt dennoch wenig abgewinnen. "Zoos, wie sie heute sind, sind kein Zukunftsmodell", sagt die Wissenschafterin, die an der Veterinärmedizinischen Universität und der Universität Wien forscht, zum STANDARD. Es gebe viele Tiere, die komplexe kognitive und soziale Fähigkeiten hätten, die dann aber einzeln, in den falschen Gruppen oder auf zu engem und reizarmem Raum gehalten würden. Bei vielen Tieren wisse man noch nicht einmal genau, welche Fähigkeiten und Bedürfnisse sie haben, so Benz-Schwarzburg.

Unterhaltung und Konsum

Auch den von Zoos gepriesenen Bildungseffekt sieht die Tierethikerin kritisch. Die Verweildauer pro Gehege sei extrem niedrig. Durchschnittlich würden Besucherinnen und Besucher weniger als 40 Sekunden vor einem Gehege und weniger als eine Minute mit dem Lesen von Informationstafeln verbringen. "Was lernen sie in dieser kurzen Zeit?", fragt Benz-Schwarzburg. Zoobesucher würden in der Regel kaum mehr über Tiere wissen als Menschen, die nie in den Zoo gehen.

Stattdessen beobachtet die Expertin einen gewissen Trend zur "Disneyisierung" in Zoos: Es gehe immer mehr um Unterhaltung und Konsum. "Nach einem Kaffee im Themenrestaurant amüsiert man sich über küsschengebende Seelöwen in der Fütterungsshow, kauft dann im Zooshop ein und feiert abends im angemieteten Aquarium eine Cocktailparty", sagt Benz-Schwarzburg.

Gemeinschaftsanlagen

Zoobetreiber bestreiten die Vorwürfe. Man habe nicht nur neue Beschäftigungsformen für Tiere entwickelt, beispielsweise, indem sich diese das Futter selbst erarbeiten müssen, sondern auch größere Gehege gebaut, in denen weniger Tiere und verschiedene Tierarten miteinander interagierten, sagt Tanja Kurzmann, Direktorin des Zoo Linz. Eine Disneyisierung gebe es, wenn, dann nur im Ausland.

Ähnliches hört man auch aus anderen Zoos. "Es geht immer mehr in Richtung naturnah gestalteter großflächiger Gemeinschaftsanlagen, die gleichzeitig Lebensräume für viele unterschiedliche Tierarten sind", sagt Andreas Artmann, Direktor des Zoo Schmiding, zum STANDARD. Das führe dazu, dass Besucher nicht immer alle Tiere sehen, was bei einer Expedition in den natürlichen Lebensraum aber auch nicht der Fall wäre.

"Vergesellschaftung" nennen Betreiber das Prinzip von Anlagen, in denen mehrere Tierarten, wie hier Berberaffen und Mähnenspringer, zusammenleben.
Foto: Andy Urban

Virtuelle Führungen

Informationen zu Tieren will man laut Kurzmann künftig noch mehr mit kommentierten Fütterungen und Führungen, auch virtuell, vermitteln. Gleichzeitig investiere man in Tier- und Artenschutzprojekte vor Ort.

Doch bleibt dafür überhaupt Geld? Seit der Corona-Pandemie sind vielen Tiergärten die Einnahmen weggebrochen. Schon allein die Aufrechterhaltung des Betriebs kostet jeden Tag zigtausende Euro.

"Ein bestimmter Prozentsatz" fließe jedes Jahr in internationale Tier- und Artenschutzprojekte, heißt es vom Zoo Linz. Rund eine halbe Million Euro im Jahr seien es beim Tiergarten Schönbrunn, heißt es auf Nachfrage. "Letztlich liegen die Einnahmen, die Zoos direkt wieder in Artenschutzprojekte investieren, meist nur im einstelligen Prozentbereich", sagt Tierethikerin Benz-Schwarzburg.

Der Zoo als Arche

Nichtsdestotrotz betonen Betreiber die Wichtigkeit dieser Investitionen. Denn es sei nicht das Leben im Zoo, sondern jenes in der Natur, das eine Bedrohung für die Tiere darstelle. "Die Lebensräume von Tieren werden schneller denn je zerstört", sagt Zoodirektorin Kurzmann. Tatsächlich sind laut Weltnaturschutzunion (IUCN) allein in Europa 1677 von bisher 15.060 beschriebenen Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht. Die Bestände von manchen Tierarten, wie etwa Waldelefanten, seien in den vergangenen 30 Jahren um mehr als 80 Prozent eingebrochen. Die größte Ursache dafür ist der Mensch.

Geht es nach vielen Zoobefürwortern, sollen diese als Art Arche Noah fungieren, um genetisch gesunde und reproduktionsfähige Tiere als Back-up für bedrohte Bestände zu halten. Sofern der Lebensraum nicht vollständig zerstört wurde, könnte man die Tiere dann eines Tages wieder auswildern. Dafür arbeiten viele Zoos in internationalen Zuchtprogrammen zusammen. In einzelnen Fällen ist die Auswilderung in der Vergangenheit laut Betreibern auch bereits gelungen, wie etwa beim Waldrapp, einer Vogelart, die vor rund 400 Jahren in Europa ausgerottet wurde und von der es nun wieder einige Hundert Exemplare in den Alpen gibt.

Das Zootier ist dann nicht nur Individuum, sondern ein "Botschafter seiner Art", wie die Betreiber gerne betonen. Gewissermaßen soll es seine Artgenossen in freier Wildbahn im Zoo vertreten – und Menschen auf die Wichtigkeit und Bedrohung seiner Art aufmerksam machen. Weil das Zootier für diese Rolle benutzt wird, ist das für Tierschützer allerdings ein schwieriger Spagat zwischen Tier- und Artenschutz.

Weniger Arten

"Viele Arten können auch nicht mehr ausgewildert werden oder sind von vornherein nicht für die Auswilderung vorgesehen", sagt Benz-Schwarzburg. Vergleiche man die Anzahl bedrohter Arten mit denen, die bisher von Zoos ausgewildert wurden, sei dies nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Für jene Arten, bei denen eine Auswilderung möglich sei, könnten die Zucht auch Organisationen übernehmen, ohne die Tiere zur Schau zu stellen, sagt Benz-Schwarzburg. Denn bedrohte Tiere seien nicht immer auch die beliebtesten unter Besuchern.

Die Zukunft der Zoos sieht die Expertin darin, die Anzahl der gezeigten exotischen Tierarten zurückzuschrauben und sich stattdessen auf einige wenige Arten zu konzentrieren. Bestimmte Arten, von denen man wisse, dass sie eine hohe kognitive und emotionale Intelligenz besitzen, wie etwa Delphine oder Elefanten, sollten möglicherweise überhaupt nicht mehr in Zoos gehalten werden.

Kein perfektes Leben in Wildnis

Angela Stöger-Horwath, Zoologin an der Universität Wien, die sich seit vielen Jahren mit der Kommunikation von Tieren beschäftigt, plädiert dafür, größere Tiere wie etwa Elefanten eher in größeren Zoos zu halten, wo es auch mehr Mittel für deren artgerechte Haltung und Betreuung gebe. Eine perfekte artgerechte Haltung sei aber auch dann nicht immer möglich. Sollte man Zoos deshalb abschaffen? "Nein", sagt Stöger-Horwath. "Die Leute müssen verstehen, dass wir nicht in einer perfekten Welt leben, in der freilebende Tiere das perfekte Leben haben."

Verbesserungsbedarf gebe es trotzdem: Zoos müssten Erkenntnisse aus der Verhaltensforschung von Tieren künftig mehr in ihre Konzepte einbauen, etwa jene über Elefantenbullen, die länger im Familienverband bleiben sollten und Möglichkeiten brauchen, ihre Kraft auszutesten, sagt Stöger-Horwath. Besuchern könnte man künftig mittels Kopfhörern vor den Gehegen die Sprache der Tiere näherbringen und erklären, worauf sie bei der Kommunikation achten müssen. "Tiere, zu denen man eine emotionale Bindung aufbaut, schützt man eher", sagt Stöger-Horwath.

Tor in die Natur

Von den großen Exoten haben sich kleinere Zoos, wie etwa der Tiergarten Wels, ohnehin bereits verabschiedet. Der Eintritt ist frei, gemütlich schlendern Paare und Familien an den Gehegen vorbei, setzen sich auf eine der vielen Bänke oder beobachten die Störche im Teich. "Der Zoo sollte ein Tor in die Natur und Erholungsraum für die Menschen sein", sagt Gyula Gajdon, Leiter des Welser Tiergarten.

Der Quereinsteiger aus der Forschung hat viel über den Zoobetrieb nachgedacht. Darüber, wie er künftig aussehen kann. Und was besser laufen könnte. "Wir müssen die lokale Bevölkerung noch mehr in die Zooentwicklung einbinden, müssen mehr Verbindungen schaffen zwischen Mensch und Natur", sagt er. Große Fütterungsshows sucht man in dem Zoo vergeblich. Dafür können Besucher Hirsche und Ziegen berühren und selbst füttern. Zumindest ein wenig sollen sie damit auch über die Zusammenhänge und den Wert der Natur mitnehmen. Und vielleicht danach auf das Schnitzel im Restaurant verzichten.

Ob alle kleineren und größeren Zoos in Zukunft überleben werden, ist aber längst nicht gewiss. Allerdings auch nicht, was in diesem Fall mit den Tieren passieren soll. Denn für die meisten Zootiere wird es außerhalb des Zoos keine Heimat mehr geben. Damit ist die menschengemachte Wildnis vielleicht die beste Wildnis, die ihnen bleibt. (Jakob Pallinger, 20.2.2022)