Stoßstange an Stoßstange wälzen sich die Lkws auf Inntal- und Brennerautobahn Tag für Tag durch Tirol.

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Wien – "Die Frachtbranche hat gewonnen." Die Abgeordnete der deutschen Grünen im EU-Parlament, Anna Deparnay-Grunenberg, ist ernüchtert – und frustriert über das, was bei der seit Jahren debattierten Reform der EU-Wegekostenrichtlinie am Donnerstag herauskam. Es sei dem Europäischen Parlament nicht mehr gelungen, die sogenannte Eurovignette noch einmal in eine Verhandlungsschleife mit der EU-Kommission hineinzubekommen.

Das Ergebnis der eigentlich auf Ökologisierung abgestellten Reform der Eurovignette ist ein Wirrwarr, das mit Binnenmarkt nicht mehr viel gemein habe, sagt auch Barbara Thaler, Europaabgeordnete der ÖVP. Die neue Eurovignette bestehe aus so vielen unbestimmten Übergangsregeln und Ausnahmen, dass nicht einmal mehr klar sei, wann welche Neuerung tatsächlich eingeführt werde.

Auch Verbilligung möglich

Die Differenzierung der Mauthöhe etwa werde künftig nicht notwendigerweise auf Basis des CO2-Ausstoßes der Fahrzeuge, der Achslast und der zurückgelegten Wegstrecke erfolgen, sondern auch über eine Absenkung des Infrastrukturnützungsentgelts. "Das ist völlig absurd", echauffiert sich die Tiroler Mandatarin, Straßengütertransport wird dadurch billiger. Externe Kosten und Belastungen für Mensch, Umwelt und Natur würden

Statt der ursprünglich angestrebten flächendeckenden Einführung einer fahrleistungsabhängigen Maut für Lkws und Pkws in allen Ländern, könne bald jedes Mitgliedsland machen, was es wolle. Lkw-Vignetten sind noch bis 2030 erlaubt, jene für Pkws sogar für weitere zehn Jahre – zahlreiche Ausnahmen noch gar nicht inkludiert. Dass der – nicht zuletzt durch Onlinehandel und Zustellung befeuerte – Anstieg von sogenannten Klein-Lkws eingedämmt werden könnte, hofft kaum jemand. Sie sind gar nicht erfasst von der Eurovignetten-Richtlinie, unterliegen weiterhin dem Pkw-Maut-Regime, also dem Fixpreis der Vignette, die Vielfahrer klar bevorzugt.

Zwist mit Nachbarn

Plakatives Beispiel für eine Bestimmung, die statt Klarheit Zwist zwischen Nachbarn bringt: die Mitbestimmung, die Nachbarstaaten bei der Festsetzung der Mauthöhe eingeräumt wird. Ein gemeinsamer Mautkorridor zwischen München und Verona rückt damit in weite Ferne. Denn wohl hat der bayerische Ministerpräsident Söder (CSU) vor zwei Wochen eine Erhöhung der Maut auf der Brennerroute vorgeschlagen und Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FPD) einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet – möglich wäre auf stark belasteten Abschnitten künftig ein Aufschlag von bis zu 50 Prozent.

Ob dies je Realität wird, steht aber in den Sternen. Italien habe bereits signalisiert, dass man Österreich und Bayern diesbezüglich genau beobachten werde, sagten die beiden Europaparlamentarierinnen am Donnerstag in einer Pressekonferenz. Wie stark dieses Mitspracherecht ausgelebt werden kann, sei völlig unklar, sagt Deparnay-Grunenberg, es werde möglicherweise Gerichte beschäftigen.

Steiniger Weg

So werde man die Verkehrswende nicht schaffen und schon gar nicht Fit-for-55, wie das Green Deal und Klimaschutzprogramm der EU bis 2055 vorsehen. Als "großer Bremser" habe sich Italien entpuppt, aber nicht nur, sagt die Grüne. Vor allem der sachlich noch unbestimmte Plan der EU-Kommission, ab 2026 einen eigenen Emissionshandel für Verkehr (einzuführen, habe Angst vor doppelter CO2-Belastung geschürt und klare

Das Problem: Ein wirksames Instrument zur Steuerung von Transit-Lkws bis hin zur Verlagerung der Fracht auf die Schiene sind sehr lange Lkw-Strecken zu hohen Mautkosten und die Kontingentierung von Fahrkapazität. 120 teure Kilometer auf A12-Inntalautobahn und A13-Brennerautobahn hingegen bewirken nichts, belasten nur die lokale Wirtschaft.

Strenge Auflagen wirken

Das fanden Wifo-Ökonomen bereits vor 15 Jahren heraus, als sie die Veränderung der Verkehrsflüsse anlässlich der Sperre des Mont-Blanc-Tunnels (nach dem Brand) analysierten. Das Ergebnis des ab 1999 zwei Jahre laufenden Feldversuchs mit strengen Sicherheitsauflagen wie Fahrtrichtungswechsel alle zwei Stunden, mit denen die Kapazität der Röhren eingeschränkt und Wartezeiten produziert wurden: Die Lkws wurden von der kürzesten Transitroute zwischen Großbritannien, Belgien und Italien zum großen Teil auf Mont Cenis und Fréjus umgeleitet. Aufgrund hoher Mauten für Autobahn- und Tunnelbenützung brachen Transit- und Transportvolumen über die französischen Alpen um 25 Prozent ein – und stiegen 2002 nach der Wiedereröffnung des Tunnels nicht wieder an.

Alarmierendes Detail hinsichtlich der Milliardeninvestitionen in Brennerbasis- und andere Tunnels: Die Bahn profitierte nicht, ihr Anteil ging von 28 Prozent im Jahr 1997 auf neun Prozent im Jahr 2006 zurück.

Schatten und Licht

Nicht nur Schatten, sondern auch Licht sieht Franz Greil von der Abteilung Umwelt und Verkehr der Arbeiterkammer Wien. Der sogenannte Querfinanzierungszuschlag" sei eine Verbesserung. Damit können zusätzlich 15 Prozent der Lkw-Maut für die Entlastung des Verkehrs auf der Autobahn verwendet werden, etwa für den Ausbau des Öffi-Verkehrs, die Rollende Landstraße oder S-Bahn-Ausbau.

Grundsätzlich sei auch der Umstieg von einem zeit- auf ein kilometerbasierten Mautsystem ein Fortschritt. Auch könnten erstmals Zuschläge für den CO2-Ausstoß eingehoben werden, nicht nur für Feinstaub oder Stickoxide. Allerdings dürfen die EU-Staaten auf diese Gebühren verzichten, wenn diese zur Umleitung von Verkehren und negativen Folgen führen würde. Einnahmen aus Staugebühren sind möglich. (Luise Ungerboeck, 17.2.2022)