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Präsident Wolodymyr Selenskyj besuchte am Donnerstag Truppen an der Kontaktlinie in Donetsk.

Foto: Reuters/Ukrainian Presidential Press Service/

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Ukrainische Soldaten dokumentieren in Vrubivka Schäden durch Artilleriebeschuss.

Foto: AP/Vadim Ghirda

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Die ukrainische Seite veröffentlichte am Donnerstag Bilder, die einen Granateneinschlag in einem Kindergarten in der von der Regierung kontrollierten Stadt Stanyzja Luhanska zeigen sollen. Der britische Premierminister Boris Johnson sprach von einer "Operation unter falscher Flagge".

Foto: AP/Oleksandr Ratushniak

Das russische Verteidigungsministerium veröffentlichte am Freitag Bilder, die zeigen sollen, wie Panzer Belarus verlassen.

Foto: AFP/Russian Defence Ministry

Washington/Brüssel/Kiew – Die Gewalt in der Ostukraine hat zugenommen: Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) meldete am Freitag für die Regionen Donezk und Luhansk 591 Verstöße gegen die Waffenruhe, im Tagesbericht vom Donnerstag waren es noch 154 gewesen. Die internationalen Beobachter überwachen die Einhaltung der Waffenruhe mit Drohnen, fix installierten Kameras und Patrouillenfahrten.

Die Konfliktparteien werfen einander vor, ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung das Feuer aus Mörsern und Artilleriegeschützen eröffnet zu haben, die Ukraine meldete am Freitag, dass zwei Soldaten durch feindlichen Beschuss verletzt worden seien.

In der Nähe eines Regierungsgebäudes im ostukrainischen Donezk explodierte am Freitag laut Angaben der von Russland unterstützen Separatisten ein Auto.

Aufständische sprechen von Evakuierung nach Russland

Denis Puschilin, der Präsident der international nicht anerkannten Volksrepublik Donezk, erklärte am Freitag, dass Frauen, Kinder und Betagte aus der Konfliktzone nach Russland evakuiert würden. Moskau habe dem zugestimmt, die russische Seite erklärte allerdings nichts davon zu wissen.

Die Separatisten warfen dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor, er wolle "in nächster Zeit" eine Offensive starten.

Ähnlich wie Puschilin äußerte sich kurze Zeit später auch die Führung der zweiten Separatisten-"Republik" Luhansk. Auch von dort sollten Zivilisten evakuiert werden. Wenig später berichteten Augenzeugen davon, dass im Zentrum der Separatistenhauptstadt Donezk lautes Sirenengeheul zu hören war.

Die Moskauer Nachrichtenagentur Interfax meldet, dass in in einem Waisenhaus in den abtrünnigen Gebieten Kinder auf ihre Evakuierung warten. Wenig später berichteten Augenzeugen davon, dass im Zentrum der Separatistenhauptstadt Donezk lautes Sirenengeheul zu hören war.

Im Westen wird befürchtet, dass Russland die Situation als Vorwand für ein Eingreifen nützen könnte.

Die Ukraine bestritt den russischen Vorwurf von Angriffen oder Sabotage-Akten. "Wir weisen kategorisch russische Desinformations-Berichte über angebliche Angriffe oder Sabotage zurück", erklärte der ukrainische Außenminister Dmitro Kuleba auf Twitter. Die Ukraine führe weder solche Operationen aus noch plane sie solche.

Der Kreml bezeichnete die Lage in der Ost-Ukraine als potenziell sehr gefährlich. Außenminister Sergej Lawrow zeigte sich alarmiert. Es kämen Waffen zum Einsatz, die gemäß des Minsker Friedensprozesses verboten seien, zitierte die Nachrichtenagentur Tass den russischen Chefdiplomaten. Der Sonderbeobachtungsmission der OSZE warf er laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Interfax vor, sie versuche, Verstöße gegen die Waffenruhe durch ukrainische Regierungstruppen zu beschönigen.

Raketentests am Samstag

Inmitten der angespannten Lage erproben die russischen Streitkräfte am Wochenende ihre Raketenbewaffnung. Ziel sei es, die Zuverlässigkeit der strategischen Nuklearwaffen zu testen. Die Armee will demnach ballistische Raketen und Marschflugkörper abfeuern. Die Übungen sollen in der Barentssee, vor der Pazifikinsel Kamtschatka und im Schwarzen Meer stattfinden, Fluglinien wurden gewarnt, die Manövergebiete bis Dienstag nächster Woche zu vermeiden.

Dem russischen Präsidialamt zufolge stehen die Übungen nicht in Zusammenhang mit der Ukraine-Krise, sondern gehören zum regulären Trainingsprogramm des Militärs. Die Teilnahme von Kremlchef Wladimir Putin sei wichtig, er werde wahrscheinlich in einem der Lagezentren sein.

Biden kontaktiert Verbündete

US-Präsident Joe Biden wird am Freitag ein Gespräch über die Krise mit Russland um die Ukraine mit Regierungen Kanadas, Frankreichs, Deutschlands, Italiens, Polens, Rumäniens, Großbritanniens sowie Spitzenvertretern der Europäischen Union und der Nato führen. Biden befürchtet trotz aller gegenteiligen Beteuerungen aus Moskau in den nächsten Tagen einen russischen Einmarsch in die Ukraine.

Biden sagte am Donnerstag in Washington, die Gefahr einer Invasion sei "sehr hoch". Sein Außenminister Antony Blinken sprach am Freitag bei der Sicherheitskonferenz in München von einer "zusätzlichen Truppenverlegung" Moskaus an die Grenze zur Ukraine "in den vergangenen 24 bis 48 Stunden". Am Donnerstag hatte er vor dem Uno-Sicherheitsrat erklärt, Russland bereite sich auf einen Angriff "in den kommenden Tagen" vor.

Moskau wolle einen Vorwand dazu schaffen. "Dies könnte ein gewaltsames Ereignis sein, das Russland gegen die Ukraine vorbringen wird, oder eine unerhörte Anschuldigung, die Russland gegen die ukrainische Regierung erheben wird". Möglich seien ein vermeintlicher Terroranschlag in Russland, die "erfundene Entdeckung eines Massengrabs" und Vorwürfe eines Völkermords, ein inszenierter Drohnenangriff auf Zivilisten oder ein vorgetäuschter oder echter Angriff mit Chemiewaffen.

Treffen zwischen Blinken und Lawrow geplant

Die Diplomatie sei weiter der wichtigste Weg zur Lösung der Krise, so Blinken weiter. Russland wies indes die Befürchtungen des Westens vor einem bevorstehenden Einmarsch Moskaus in die Ukraine erneut zurück. Wie Biden will sich auch Blinken am Freitag mit Vertretern dies- und jenseits des Atlantiks über den russischen Truppenaufmarsch um die Ukraine austauschen, wie das Weiße Haus mitteilte.

Blinken nimmt zudem eine Einladung zu einem Treffen mit seinem russischen Kollegen Lawrow an. Das Treffen soll Ende nächster Woche stattfinden, sofern Russland nicht in die Ukraine einmarschiert, teilt das US-Außenministerium am Donnerstag (Ortszeit) mit. Blinken hatte auch erklärt, er habe Donnerstag einen Brief an Lawrow geschickt, in dem er ein Treffen für nächste Woche in Europa vorgeschlagen habe.

Die Verteidigungsminister Russlands und der USA, Sergej Schoigu und Lloyd Austin, werden einem Agenturbericht zufolge am Freitag miteinander telefonieren. Die Initiative für das Gespräch sei von den USA ausgegangen, meldet die Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf das russische Ministerium. Austin besucht am Freitag auch seinen polnischen Amtskollegen Mariusz Blaszczak in Warschau.

EU trifft erste Vorbereitungen für Flüchtlinge

Der Vizepräsident der EU-Kommission, Margaritis Schinas, rechnet bei einer weiteren Verschärfung der Krise mit der Flucht zahlreicher Menschen in die Europäische Union. "Es wird geschätzt, dass zwischen 20.000 und mehr als einer Million Flüchtlinge kommen könnten", sagte er der deutschen Zeitung "Die Welt". Zudem gebe es derzeit rund 20.000 EU-Bürger, die in der Ukraine lebten und Unterstützung bei einer möglichen Ausreise benötigen dürften. Die EU sei auch bereit, eine "bedeutende humanitäre Hilfe zu mobilisieren und beim Zivilschutz zu helfen".

Polens Regierung traf bereits erste Maßnahmen für den Fall eines "massiven Flüchtlingsstroms", wie es aus Warschau hieß. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) erklärte dazu im Ö1-"Morgenjournal" des ORF-Radios: "Wir werden solidarisch zueinanderstehen." Ob Österreich mit einer Migrationswelle aus der Ukraine konfrontiert werde, bezeichnete der Regierungschef als vorerst "theoretische" Frage. Es gebe aber in allen zuständigen Ministerien entsprechende Vorbereitungen. Das gelte auch für mögliche Versorgungsengpässe mit russischem Gas, etwa als Reaktion auf westliche Sanktionen nach einer potenziellen Militäraktion Moskaus. Es sei vorgesorgt, beruhigte Nehammer. "Es gibt ausreichend Alternativgasversorgung."

Russland berichtet von Truppenabzug

Angesichts des russischen Truppenaufmarschs im Grenzgebiet zur Ukraine bestehen international Sorgen vor einer Invasion des Nachbarlands. Befürchtet wird, dass die Verlegung zehntausender Soldaten der Vorbereitung eines Kriegs dienen könnte.

Russland hat nach eigenen Angaben mit dem Abzug weiterer Soldaten und militärischer Ausrüstung von der ukrainischen Grenze begonnen. Einige Soldaten seien nach dem planmäßigen Abschluss ihrer Militärübungen in ihre Garnisonen in der westrussischen Region Nischni Nowgorod zurückgekehrt, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau am Freitag mit. Ebenfalls abgezogen worden sei militärisches Gerät, das Panzerarmeeeinheiten im westlichen Militärdistrikt gehöre.

Laut einer separaten Mitteilung des Ministeriums wurden auch zehn Kampfflugzeuge vom Typ Su-24 von der Schwarzmeer-Halbinsel Krim abgezogen, die Russland im Jahr 2014 annektiert hatte. Russland hatte in dieser Woche bereits mehrere Teilabzüge von Truppen aus der Grenzregion zur Ukraine verkündet. Die angekündigten Teilabzüge hatten zunächst Hoffnungen auf eine Deeskalation in der Ukraine-Krise genährt. Die USA warfen Russland in dieser Woche allerdings vor, die Truppen in der Nähe der ukrainischen Grenze weiter zu verstärken, und warnten vor einer weiterhin möglichen russischen Invasion in der Ukraine.

Russland hatte in den vergangenen Monaten mehr als 100.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen. Für zusätzliche Besorgnis im Westen sorgt ein gemeinsames Manöver von Belarus und Russland nahe der belarussisch-ukrainischen Grenze, für das Russland nach US-Angaben rund 30.000 Soldaten in die Ex-Sowjetrepublik verlegt hat und das noch bis Sonntag andauern soll. Russland weist jegliche Angriffspläne zurück und gibt seinerseits an, sich von der Nato bedroht zu fühlen. (APA, red, 18.2.2022)